Geschichtsschreibung ist immer ein Abbild der herrschenden Verhältnisse, das offizielle Geschichtsbild das Ergebnis der vorherrschenden Deutung.


Garinish Island, die weltberühmte Garteninsel in der Bucht von Glengarriff in Irlands Südwesten, feiert in diesem Jahr den 100. Geburtstag. Im Jahr 1910 kaufte John Annan Bryce, ein wohlhabender schottischer Geschäftsmann, das 15 Hektar große Inselchen, das nur ein paar Steinwürfe von Glengarriff entfernt liegt. Eineinhalb Jahrzehnte vor der Unabhängigkeit Irlands hatten der in Belfast geborene Brite Bryce und seine Frau Violet L’ Estrange große Pläne für Garinish. Sie begannen, einen großen repräsentativen italienischen Garten anzulegen, die Konstruktionszeichnungen für ein herrschaftliches Wohnhaus waren fertig: Da ging den Bryces nach dem 1. Weltkrieg das Geld aus. Annan hatte sich in Russland verspekuliert. 


Das Wohnhaus wurde nie gebaut, der mehrteilige Garten mit Gebäuden, Casita und Glockenturm, präsentiert sich heute als prächtige Parklandschaft. Heute besuchen bis zu 80.000 Menschen im Jahr die Garteninsel, um die Bäume, Sträucher und Blütenpflanzen aus aller Welt zu bewundern. Bryce-Sohn Roland, ein Junggeselle, hatte die Insel im Jahr 1953 dem irischen Staat vermacht, Vater Annan war bereits 1923 gestorben. Die offizielle Geschichte von Garinish Island jedenfalls errichtet John Annan Bryce und seinen genialen Gartenarchitekten Harold Peto ein Denkmal. Wenig Aufmerksamkeit in der bis heute patriarchalischen Welt im ländlichen Irland gibt es bislang für Frau Violet Bryce (unser Foto).

Violet übernahm die Insel nach dem Tod ihres Mannes, sie war wohl auch die treibende Kraft für den Kauf gewesen. Violet galt als moderate Frauenrechtlerin und war eine Fürsprecherin der republikanischen Sache für eine selbstbestimmtes Irland. Sie wurde wegen ihrer Ansichten sogar von der britischen Polizei verhaftet und machte zweifellos nicht immer das, was ihrem Gemahl politisch opportun erschien. In der von Männern formulierten Ortsgeschichte hatte eine Frau dieses Kalibers jedenfalls wenig zu suchen.



Der 100. Geburtstag von Garinish Island könnte deshalb ein guter Anlass sein, die Rolle der Violet Bryce in der Geschichte der Insel und Gegend von Glengarriff, gebührend zu würdigen. Ja, es gab sie, die Frauen, die in der Geschichte Irlands eine wichtige Rolle gespielt haben, allerdings fanden sie bis heute wenig Erwähnung und keine gebührende Würdigung: von der irischen Piraten-Königin Grace O’Malley (1530-1603), die wohl auf eigene Weise bis hin zum Musical gefeiert wird, zur Botanikerin Ellen Hutchins (1785-1815) bis zur Revolutionärin Baronesse Constance Markievicz (1868-1927).


In einer Zeit, da sich Irland längst auf den Weg in eine egalitäre und offene Gesellschaft gemacht hat, bietet das nur auf den ersten Blick harmlose Insel-Jubiläum sogar die Chance, dass sich Iren, Briten, Anglo-Iren, und vor allem die Iren untereinander mit der eigenen Vergangenheit aussöhnen können. Während die offizielle Geschichte von Garinish Island seit Jahrzehnten in bunten Hochglanzbroschüren und Reiseführern den früheren britischen Eigentümern Respekt zollt, existiert eine andere Geschichte bis heute nur in der mündlichen Überlieferung der irischen Bevölkerung: Noch immer erzählt man sich in der Bantry Bay die Geschichte von Mike Garinish. Der Farmer soll im frühen 20. Jahrhundert auf Garinish Island gelebt haben und soll dann von der Insel vertrieben worden sein. 


Um für eine anderweitige Nutzung Platz zu schaffen? Man weiß es (noch) nicht. Die Geschichten der Alten bestehen auf alle Fälle darauf, dass Bauer Mike Garinish in seiner Verzweiflung keinen Ausweg mehr sah und sich das Leben nahm. Diese Geschichte steht bis heute in keinem Inselführer. Sie erklärt aber, auch wenn sie streng wissenschaftlich nicht gesichert ist, warum viele Iren bis heute ein ambivalentes Verhältnis zu Garinish Island pflegen.


Here is a version for our English speaking friends:


It is time to honour Mike Garinish


What we call history is one version of truth. The version of those in power of interpretation.
Garinish Island, world famous garden island in Glengarriff harbour, is celebrating 100 years in existence. In 1910 Scottish businessman John Annan Bryce bought the island to turn it into one of the great gardens of Western Europe. Bryce was driven by the idea of building a substantial residence on top of the island – and he was driven by his wife Violet L’Estrange – a woman who sympathised with the ideas of womens liberation and of an independant Ireland. While Annan Bryce and his genious garden architect Harold Peto have been praised in brochures and travel guides over and over again, very little is known about the highly interesting wife, Violet Bryce. Due to the fact that mainly men have written and interpreted the history of Ireland so far, women were mostly left in the dark of past times. The Centenary Celebrations for Garinish Island would therefore be a great opportunity to honour those, who have not been honoured until this very day.


To honour Mike Garinish: In times, as Ireland has long been on the way into an egalitarian and open society, this island anniversary offers another great opportunity.Irish, British and Anglo-Irish could in a true way reconcile with a part of their own common history. While the official history of Garinish Island is well known and accessible from every computer screen, another version of this history is only shared between local people:


According to oral tradition Garinish Island has been the home of a farmer known as Mike Garinish. Irish people have learned from their grandparents, that Mike Garinish was expelled from the island in the first years of the 20th century and that he lost his livelyhood. Lore knows the poor farmer took his life when chased away from his island home. This story cannot be read in any guidebook so far. Anyhow: Although there is no strict scientific proof, Mike Garinish´s story explains, why some local Irish people until this very day feel ambivalent about the famous garden island. 


We feel: It is time to honour Mike Garinish – as a symbol in a symbolic gesture; and more than that, it is time to honour the hard working Irish people who created Garinish Island with their own hands. 1oo years on is the time.