Millionen Menschen auf dem “Alten Kontinent” sind mittlerweile von der Vulkanaschewolke aus Island betroffen, die große Teile West- und Nordeuropas bedeckt. Alle Triebwerke stehen still. Kein Flugzeug am Himmel, nirgends. Eine solche Unterbrechung des modernen, mobilen Lebens durch ein Naturereignis hat Europa noch nicht erlebt.  Diese Auszeit ist einzigartig – und wir merken das allmählich.

Man kann von einem mächtigen Comeback der Natur in unsere Lebenswelt sprechen. Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüche – das waren in den vergangenen Jahrzehnten Nachrichten aus anderen, entfernten Gegenden der Welt. Uns betraf das nicht, unsere hoch technisierte Welt funktionierte weiter, einschließlich der virtuellen Parallelwelt im Internet. Natur galt uns allenfalls als nette Hintergrundkulisse für den gelungenen Ausflug.

Nun ist plötzlich alles anders: Ein Vulkan auf einer kleinen nordeuropäischen Insel, dessen Eruptionskraft sogar vergleichsweise klein sein soll, macht uns einen Strich durch unsere Reisepläne: Geschäfte stehen still, Ferien fallen aus. Wir sind gezwungen zu bleiben, oder uns als Erdkriecher langsam fortzubewegen. Wir können uns darüber beschweren, aber wir können es nicht beeinflussen. Wir können noch nicht einmal sagen, wie lange wir kollektiv am Boden bleiben werden.

Viele Menschen haben sich in den vergangenen Tagen geärgert. Sie mussten ihr Alltags-Drehbuch umstricken, mussten in fremden Betten, im schlimmsten Fall auf Pritschen oder Feldbetten übernachten. Sie bleiben getrennt von ihren Geschäftspartnern, ihren Freunden und Verwandten, ihren Geliebten. (N.B: So manchem mag der Stillstand der Triebwerke auch das Leben gerettet haben. Stellen wir uns vor, was in den vergangenen drei Tagen sich alles nicht ereignet hat.)

Andere Menschen nahmen das mächtige Comeback der Natur dagegen gelassen, manche sogar freudig. Wo höhere Gewalt herrscht, muss man sich keine Vorwürfe machen, kann man sich entspannt zurücklehnen und durchatmen. Wie schön, sagten manche, dass dieses verrückte System, das wir das moderne Leben nennen und das uns Tag für Tag auf Trab hält wie den Hamster im Rad, schön, dass dieser Vulkan mit dem schier unaussprechlichen Namen Eyjafjallajökull dieses Rad für ein paar Tage (?) gestoppt hat. Es kann uns nun bewusst werden, dass wir Menschen dieses Hamsterrad eigenhändig gebaut haben – ein wenig Abstand hilft vielleicht sogar zu sehen, wie und wo wir uns zu unseren eigenen Gefangenen gemacht haben.


Mit ein wenig Phantasie lässt sich ausmalen, wozu eine entfesselte Natur sonst noch imstande ist: Nichts gegen diese mächtige Aschewolke in 10.000 Metern Höhe, aber sie greift nicht wirklich schmerzhaft in unser aller Leben ein. Was sind schon ein paar Millionen nicht angetretene Flüge, ein paar Millionen nicht gegebene Küsse, ein paar hunderttausend nicht abgeschlossene Geschäfte? Die Aschewolke bedroht uns nicht existentiell. Sie macht uns aber bewusst, dass die vielfach romantisierte Natur, diese vermeintliche bunte Phototapete der Zivilisation zu Mehr, zu Größerem und auch zu Schlimmerem imstande ist. 


Noch halten wir in Europa die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels für genauso weit entfernt von unserem Leben wie diese Aschewolke des Eyjafjallajökull. Und doch merken wir, dass die Gefahren manipulierter Naturkreisläufe längst genauso über unseren Köpfen drohen wie diese Wolke – und dass wir die Symptome genauso wahrnehmen können wie diese riesigen, bunt bemalten Blech-Ameisen auf den Flughäfen von Frankfurt, London, Dublin oder  Paris. Das Comeback der Natur – ihre Rückkehr in unser Leben – ist in vollem Gange.