Calf Rock

Vor Dursey Island sind die drei Rocks zu sehen (von links nach rechts): the Calf, the Cow und the Bull. Unsere Geschichte erzählt von der Ruine auf der kleinen Felseninsel . . .

Geschichten von der Beara-Halbinsel im Süd-Westen Irlands (Teil 5)

von Peter Bernhardt* 

Heute setzen wir auf Irlandnews den Geschichten-Zyklus über das ländliche Irland an der Atlantikküste fort. Geschrieben von unserem Freund Peter Bernhardt. Er forscht gern in der Vergangenheit und lässt ein Stück “altes Irland” lebendig werden. Heute erzählt uns Peter die Geschichte des Leuchtturms auf dem Calf Rock, einem Felsen vor Dursey Island. 

Irland zählt zu den kleinen Ländern in Europa, hat aber dafür enorm viel Küste. Eine Küste, die gerade wieder von der Reise-Branche neu entdeckt wurde. Kein Aprilscherz: Am 1. April 2014 wurde der Wild Atlantic Way offiziell eröffnet! Über 2500 fleißig zusammengerechnete Kilometer erstreckt sich eine der längsten Küstenstraßen der Welt. Auf gut ausgeschilderten und meist sicheren Straßen erlebt der Tourist die abwechslungsreiche und atemberaubende Landschaft – von Landseite her.

Calf Rock

Die Überreste des Leuchtturms auf Calf Rock. Gesehen von Dursey Island. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2003.

Von Seeseite betrachtet hat die Küste ein anderes, wechselseitiges Gesicht. Bei ruhiger See kann man die spektakulären, meist felsigen Abschnitte genießen. Doch wenn die Stürme von Westen über den Ozean heranbrausen und das Meer aufwühlen, dann sollte man froh sein, an Land und im Trockenen zu sitzen.

Seit Menschen Gedenken sind an diesen Küsten Menschen umgekommen, Schiffe an Felsen zerbrochen und gesunken. Die Liste der Wracks vor der Küste Irlands ist lang. Auch die unbesiegbare spanische Armada wurde weniger durch die englische Seemacht geschlagen, als durch den zwei Wochen tobenden Sturm vor der irischen und schottischen Küste. Von den 130 stolzen Schiffen trafen noch 68 Wracks im spanischen Hafen Santander ein.

Für die Schiff-Fahrt wurden die Fahrten an der irischen Küste immer zu einem Abenteuer. Und so wurde der Ruf der Schiffseigner, Kaufleute und lokalen Obrigkeit bald laut nach Leuchttürmen, die den Seeleuten in schwerer See wenigstens einen Anhaltspunkt geben konnten, auf welchem „Weg“ sie sich befanden.

Das westliche Ende von Dursey Island an der Spitze der Beara Halbinsel

Das westliche Ende von Dursey Island an der Spitze der Beara Halbinsel.

1858 legte der Architekt Georg Halpin einen Entwurf vor, für den Bau eines Leuchtturmes auf dem Calf Rock, einem Felsen vor Dursey Island, der auch genehmigt wurde. Vor Baubeginn musste allerdings das Eigentumsverhältnis dieses Felsens geklärt werden. Eine Anfrage dazu ergab: Eigentümerin war die Queen Victoria. Erbaut wurde der Turm von in den Jahren 1861 bis 1864. Die Lampen, die Optik und die Rotations-Maschine wurde 1865 eingebaut. In Betrieb genommen wurde der Leuchtturm 1866.

Freitagmorgen, 12. Februar 1869. Sturm und schwere See. Beobachter auf Dursey sahen eine Notflagge vom Turm flattern. Richard Howard, der Assistent des Leuchtturm-Wärters, traf eine schwierige und tapfere Entscheidung mit sechs weiteren Männern, alle kraftvolle Ruderer und erfahrene Seeleute, zum Leuchtturm zu rudern. Ihr Boot war beladen mit Proviant und Wasser. Ironischerweise war dieser „Ausflug“ unnötig. Wie sich herausstellte gab es ein Missverständnis über die Deutung der Notflagge. Denn die Besatzung des Leuchtturms war ganz sicher und gesund. Plötzlich stark einsetzender Regen verhinderte dagegen auf dem Meer für ein paar Minuten die Sicht. Das Heck des „Rettung“-Bootes verfing sich am Anlegesteg und eine heftige Welle ließ das Boot umkippen. Alle sieben Seeleute kamen ums Leben, ihre Körper wurden nie gefunden. Die Ertrunkenen hinterließen sieben junge Witwen, 19 Kinder – der älteste 13 – und zwei ungeborene Babies. Drei Monate nach diesem Unglück wurde der Turm generalüberholt.

Nur zwölf Jahre später, im Winter 1881, sah der Calf Rock wieder ein Ereignis von unvergesslicher Dramatik. Wieder zog ein gewaltiger Sturm aus Südwest über Irland und England. Es war der 27. November. Zu dieser Zeit teilten die drei Leuchtturm-Wärter ihr schmales Quartier mit drei Arbeitern, die zu Ausbesserungsarbeiten auf dem Felsen weilten. Die Ehefrau eines Arbeiters war gerade von ihrem sechsten Kind entbunden worden, war gar nicht angetan, daß ihr Mann bei einem solchen Wetter zum Leuchtturm mußte. Das konnte jeder gut verstehen, der wusste, daß sie ihren ersten Ehemann im Sturm von 1869 verloren hatte.

An jenem Abend steigerte sich der Wind zum Orkan. Das Barometer fiel und pausenlos blitzte und donnerte es, als die sechs Eingeschlossenen einen ohrenbetäubenden Krach über sich hörten. Der Leuchtturm-Wärter rief sofort seine Leute, um nachzusehen, wo und was man reparieren müßte. Doch als er die Türe zu den oberen Stockwerken öffnete, sah er nur das Schwarz des Himmels. Der gesamte obere Teil des Turmes war durch Riesenwellen ins Meer gespült worden. Die sechs Männer kämpften sich durch Wind und Wellen zum geschützten, betonierten Vorratsraum, gerade noch rechtzeitig, bevor die nächsten Wellen auch noch den letzten Rest des Turmes in die See spülten.

Als am nächsten Morgen die Menschen von Dursey und dem Festland erkannten, daß es keinen Leuchtturm mehr gab, kann man sich leicht vorstellen, wie groß das Geschrei und Gejammer gewesen sein mußte. Natürlich mussten sie annehmen, daß alle Männer im Turm umgekommen waren.

Es war aber auch nicht möglich überzusetzen, um zu sehen, was wirklich auf dem Calf Rock geschehen war, denn der Sturm wütete weiter ohne Unterlass. Erst am nächsten Tag konnten sich die auf dem Felsen Gefangenen bemerkbar machen. Das Aufatmen der Angehörigen war deutlich! Die Rettung allerdings konnte erst am zwölften Tage vollzogen werden. Es heißt in alten Originaldokumenten: „Auf Dursey und dem Festland gaben Trübsal und Mutlosigkeit der letzten 12 Tage den Weg frei für Jubel, mit viel Tanz und Feierlichkeit!“

Der Sturm von 1881 brachte aber nicht nur den Leuchtturm zum Einsturz, sondern richtete auch auf dem Festland heftige Schäden an. Die Dächer von hunderten Häusern wurden schwer beschädigt. Der Anlegesteg auf Dursey wurde komplett demoliert. Zwei Häuser nahe am Strand wurden weggespült und mit ihnen ein Junge, der glücklicherweise mit der nächsten Welle wieder an den Strand geworfen wurde. Er hatte Glück, verlor dabei nur ein Auge.

Jetzt mußte ein neuer Leuchtturm her. Aber das ist eine andere Geschichte . . .

Peter in Clogher 2013_IMG_1710Der Autor: Peter Bernhardt lebt seit dem Jahr 2000 in Eyeries auf der Beara Peninsula in West Cork. Bis zu seinem Ausscheiden aus seinem Arbeits-Leben war er Art Direktor und Werbeleiter. Seine Liebe zu Irland hat er 1967 auf einer 5-wöchigen Fahrradtour durch den Süden entdeckt. Danach folgten mehrere Irland-Urlaube mit Familie, bis 1987 ein altes Cottage seine Aufmerksamkeit weckte und darum warb erworben zu werden. Peters Interessen sind unter anderem Archäologie, lokale Geschichte und Storytelling

Peters Geschichten von der Beara Peninsula erscheinen regelmäßig hier auf Irlandnews.

Fotos: André Bernhardt