Eviction auf der Beara Halbinsel in Irland

Geschichten von der Beara-Halbinsel im Süd-Westen Irlands (Teil 6)

von Peter Bernhardt* 

Heute setzen wir auf Irlandnews den Geschichten-Zyklus über das ländliche Irland an der Atlantikküste fort. Geschrieben von unserem Freund Peter Bernhardt. Er forscht gern in der Vergangenheit und lässt ein Stück “altes Irland” lebendig werden. Heute erzählt uns Peter eine Episode aus der tragischen Geschichte der Zwangsräumungen und Vertreibungen von Iren durch die englischen Landlords. 

Noch Anfang 1900 mußten die Bewohner Irlands befürchten, von ihrem Grund und Boden vertrieben zu werden, wenn sie die Pacht an ihre Landlords nicht bezahlen konnten. Und so waren die Goulaner, die Menschen im Townland auf Beara, in dem ich heute wohne, in heller Aufregung, als an einem Maimorgen im Jahr 1907 gegen 8 Uhr morgens der Sheriff Mr. J. Gale in Begleitung von vierzehn zivilen Beamten und Gerichtsvollziehern, geschützt von 300 Polizisten sich in Castletown auf den Weg machten, um die fälligen Steuern in Kilmacowen und Goulane einzutreiben. Man kann sich gut vorstellen, wie auf beiden Seiten der Straße die Bewohner von Castletownbere Spalier standen, um diesen „Zug“ mit Hohn und Spott zu begleiten. Unter ihnen auch ein Journalist,  der das Geschehen in der Ausgabe des „Cork Examiner“ vom 29. Mai 1907 beschrieb.

Eviction Irland

Zeitgenössische Darstellung der Vertreibung einer irischen Familie durch einen englischen Landlord aus ihrem Haus.

Hier ein paar frei übersetzte Auszüge aus seinem Bericht, der vor allem Eines zeigt: Die irische Landbevölkerung wusste sich an diesem Tag trotz gravierender Waffenungleichheit zu helfen und gegen die bewaffnete Obrigkeit zu behaupten: 

Der „Zug“ erreichte das erste Haus in Kilmacowen, und als der Sheriff ins Haus trat, präsentierte ihm der Vorstand des Hauses ein medizinisches Attest, daß eines seiner Kinder sich in einem gefährlichen Gesundheitszustand befinde und auch seine Frau bettlägerig sei und in einem schwachen Zustand.

Während der Sheriff und der Agent des Grundbesitzers sich im Haus ein Bild von der Situation machten, gab es draußen zwischen den Polizisten und den Anwohnern heftige Auseinandersetzungen. Die Frauen begannen die Polizei mit Dung zu bewerfen, die Polizisten hatten keine rechte Handhabe gegen Frauen.

Im Hause verständigte man sich darauf, daß man die Zwangsräumung verschiebe, bis die Patienten gesund seien – im der Hoffnung, dass die Pacht noch bezahlt würde.

Danach zog man weiter zum nächsten Pächter. Während der Sheriff und der Agent mit dem Pächter verhandelten, rückten ein paar junge Frauen aus der Umgebung den Gerichtsvollziehern auf die Pelle, mit der Absicht sie mit Schlamm und anderen üblen Sachen zu „verputzen“! Als dann die Polizei brutal eingriff, um die Frauen von ihrem Tun abzuhalten, begann erst recht eine wahre Schlammschlacht. Nachdem sich die Polizei entschloß, sich zurück zu ziehen, begann man die Möbel aus dem Haus zu tragen, bis auch in diesem Falle ein Gesundheits-Attest vorgelegt wurde. Die alte Mutter des Pächters wurde erst kürzlich „gesalbt“! Und so verschob man auch hier den „Rauswurf“ auf einen späteren Termin.

Mit den nächsten drei Pächtern einigte man sich auf eine Art Ratenzahlung. Und so marschierte der „Zug“ unter Spott und Gejohle weiter nach Goulane, wo weitere Zwangsräumungen anstanden.

Der Zugang zu diesem kleinen Dörfchen war nur über einen schlechten, schmalen Feldweg zu erreichen und die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, um die „Offiziellen“ von den Attacken der Landbevölkerung zu schützen, die auf beiden Seiten des Weges auf den Wällen standen. Auf halber Strecke fand man den  Weg durch große Steine blockiert. Jetzt mußte erst der Karren mit Werkzeug nachgeholt werden, um den Zugang frei zu bekommen.

Schließlich erreichte man das nächste Haus und begab sich in Verhandlungen mit dem Pächter. Nach einer schier endlosen Zeit ordnete der Gerichtsvollzieher an, die Möbel aus dem Hause zu tragen. Das wiederum führte zu einer vertrackten Situation. Wieder flogen Unrat und Steine und verfehlten nur knapp die Gerichtsvollzieher, die bei ihrer widerlichen Pflicht waren. Doch die Ladies trafen besser mit ihren „weichen“ Geschossen. Als sich die Polizisten wieder grob der Frauen annahmen, entstand eine handfeste Rauferei, während sich der Sheriff, der Agent und der Pächter gütlich einigten.

Bei den nächsten Pächtern handelte es sich um zwei Häuser unter einem gemeinsamen Dach. Die Verhandlungen dauerten recht lange, bevor man sich einigen konnte. Die Pächter konnte in ihren Häusern verbleiben. Auch bei diesem Haus empfingen die Frauen die Polizei mit einer ekelhaften „Dusche“ aus den oberen Fenstern.

Wir können uns wohl vorstellen, was das war.

Im nächsten und letzten Haus wohnten die Murphys. Als der Sheriff Mr. Murphy aufforderte, seine Pacht zu zahlen oder man würde ihn vor die Türe setzten, blieb dieser standhaft und verweigerte beides. Daraufhin trat Mr. Muphy vors Haus und verkündete mit lauter Stimme, wenn das Gesetz in diesem Lande noch etwas gilt, dann kann man ihn und seine Familie nicht vor die Türe setzen, denn er habe ein mündliches Versprechen vom alten Landlord, daß ihn niemand mehr in seinem Haus stören würde und dies sei auch in schriftlicher Form vom jetzigen Landlord bestätigt worden. Doch der Gerichtsvollzieher ignorierte das und veranlasste umgehend die Räumung des Hauses. Während dessen stapfte Mr. Jerry Murphy wütend vor dem Haus auf und ab. Die Menge unterstütze ihn mit aufmunternden Worten: Don’t pay the rent, Jerry, we will stick by you!“ Einer der Söhne warf einen Stock in Richtung Sheriff, verfehlte ihn aber, traf dafür ein Fenster, das zu Bruch ging!

Während einer kurzen Lunch-Pause warf ein weiterer Sohn des Pächters einen Stein auf einen Gerichtsvollzieher. Der Stein traf den Mann direkt hinters Ohr und verletzte ihn leicht. Sofort griffen die Polizisten zu und führten den Jungen in Handschellen ab. Da sitzt er nun in Castletownbere im Gefängnis.

Das waren harte Zeiten für die irische Bevölkerung, die sich aber nicht kleinkriegen ließ. Was aus dem Jungen geworden ist, das könnte eine andere Geschichte werden . . . 

Peter in Clogher 2013_IMG_1710Der Autor: Peter Bernhardt lebt seit dem Jahr 2000 in Eyeries auf der Beara Peninsula in West Cork. Bis zu seinem Ausscheiden aus seinem Arbeits-Leben war er Art Direktor und Werbeleiter. Seine Liebe zu Irland hat er 1967 auf einer 5-wöchigen Fahrradtour durch den Süden entdeckt. Danach folgten mehrere Irland-Urlaube mit Familie, bis 1987 ein altes Cottage seine Aufmerksamkeit weckte und darum warb erworben zu werden. Peters Interessen sind unter anderem Archäologie, lokale Geschichte und Storytelling

Peters Geschichten von der Beara Peninsula erscheinen regelmäßig hier auf Irlandnews.

Fotos: Peter Bernhardt