Dublin Irland

Dublin — Hort der Ruhe und des sozialen Friedens?

Was ist der Unterschied zwischen Athen, Lissabon und Dublin? Athen brennt. Lissabon zündelt — und in Dublin macht der Letzte das Licht aus, bevor er geht.

Die Welt wundert sich derzeit über die ach so friedfertigen Iren, die sich so mustergültug abmelken lassen, die die Zeche für die Zocker-Banken zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken oder mit dem Pflasterstein zu drohen. Sind Mary und Paddy von der Insel wirklich so verantwortungsvoll und friedfertig oder sind sie nur bequem, resigniert, gleichgültig oder ganz einfach verschwunden?

Viele Beobachter betrachten die anhaltende Auswanderungswelle als das entscheidende Ventil, das ernsthafte soziale Konflikte in Irland erst gar nicht aufkommen lässt. Sicher, die geschätzt 1000 Menschen, die jede Woche ihre Heimat verlassen, um in Kanada, Australien, England oder Neuseeland eine Zukunft suchen, werden sichererlich keine Proteste anzetteln und Demonstrationen anführen.

Vielleicht aber erwartet die mediale Welt von den Kuschel-Paddies auf der Insel nichts anderes als mustergültiges Wohlverhalten und nimmt nicht zur Kenntnis, wie  viele Iren auf ihre eigene Weise ablehnend auf die finanziellen und sozialen Zumutungen von EU, IWF und eigener Regierung reagieren. Ralf Sotscheck, der Korrespondent der Tageszeitung taz, der seit vielen Jahren in Irland lebt, beobachtet dieses Reaktionen genauer als die meisten Kollegen und schreibt gestern:

“Der Widerstand ist leise. Während die irische Regierung von der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank als Musterknabe gelobt wird, weil sie die ihr aufgezwungenen drastischen Sparmaßnahmen klaglos umsetzt, verweigert ihr die Bevölkerung den Gehorsam.

Die Troika hat den Iren eine Haushaltssteuer auferlegt, die von jedem Hausbesitzer bezahlt werden soll, deren Höhe aber noch nicht feststeht. Da Hauseigentum in Irland traditionell verbreiteter ist als in anderen Ländern der Europäischen Union, trifft diese Steuer nicht nur die Reichen, sondern vor allem die unteren Einkommensschichten, deren Häuser ohnehin mit hohen Hypotheken belastet sind.

In Irland gibt es keine Meldepflicht, und so muss die Regierung erst mal Daten sammeln, um die Steuer eintreiben zu können. Seit Anfang des Jahres sollen sich die Hauseigentümer registrieren, Ende März läuft die Frist ab. Bis jetzt haben sich keine 5 Prozent gemeldet. Sollten die Drohungen bis zum Schluss nicht fruchten, müsste die Regierung mehr als eine Million Menschen vor Gericht zerren. Die Kosten dafür wären höher als die Einnahmen durch die Steuer.”

Stiller Protest also. Ziviler Ungehorsam gar? Dublin jedenfalls bleibt fürs Erste ein Hort der Ruhe. Auf dem Land allerdings, in den kleinen Gemeinden weitab der Hauptstadt und der Regierung, wo man sich schon immer benachteiligt fühlt, rumort es gewaltig. Neue  Steuern und Abgaben, die angedrohte oder bereits erfolgte Schließung oder Verkleinerung von Krankenhaus-Stationen, Schulen, ländlichen Polizeiposten, die Kürzung von Sozialhilfe und anderen sozialen Wohltaten, lassen viele Menschen langsam zu Wutbürgern mutieren.

Am meisten bringt die Landbevölkerung auf die Palme, dass nun in der großen Krise auch noch Wasser- und Abwassergebühren sowie eine neue Grund- und Wohnbesitz-Steuer eingeführt werden sollen und dass die Regierung androhte, ab 2013 flächendeckend auf die Sanierung von hunderttausenden (schlecht funktionierenden) Klärgruben im Land zu drängen. Man sieht hier nicht ein, warum man den Staat bezahlen soll, wo er sich mit seinem auf Dublin fixierten Service auf dem Lande traditionell stark zurück hält.

Viele Menschen “in der Fläche” müssen sich selber darum kümmern, woher sie ihr Trinkwasser bekommen und wohin die Abwässer fließen. Sie fahren auf schlechten Straßen,  und wissen nicht, ob sie im Notfall lebend im viele Kilomter entfernten nächsten Krankenhaus ankommen. Und dann soll man zu allem Überluss auch noch  5000 oder 10.000 Euro für eine neue Sickergrube lockermachen, nur damit sich die geldknappen Behörden neue Einnahmen besorgen wollen. So und ähnlich tönt es derzet in den Versammlungen wütender Land-Iren.

Wie sagte Nachbar Patrick kürzlich: “Wenn wir hier Revolution machen, dann wegen der Sch***gruben”. Droht Irland also der Aufstand der Provinz, eine Mistgabel-Revolution? Die Regierung jedenfalls zeigt sich schwer beeindruckt vom Grummeln in der Provinz und hat ihre “Septic-Tank-Sanierungs-Pläne” erst mal wieder drastisch entschärft.