Irish Graveyard. Ein schöner Platz für den kleinen Rest der Ewigkeit

 

Die stillen Orte Irlands (3).  Hast Du einen wichtigen Rat von den Eltern auf den Weg mit bekommen, der Dich ein Leben lang begleitet? Einer alten Freundin riet deren Mutter einst, sie solle sich immer einen Wohnsitz mit einem guten und weiten Ausblick wählen. Das sei wichtig für die Wahrnehmung und den eigenen Horizont. Die Freundin hat es beherzigt und ich erinnere mich an die Geschichte, weil auch ich den Blick aus dem Haus für wichtiger halte als den Blick ins Haus. Ich genieße die Aussicht von Schreibtisch aufs Meer. Ich liebe den Blick aus dem Fenster ins Grüne, auf den Wald, das Wasser. Ich mag es auch, auf Berggipfeln zu stehen, um den weiten Blick in alle Richtungen zu genießen.  Und ich stelle mir vor, dass die Toten auf dem irischen Friedhof von Kilcatherine oder dem von Castlehaven oder dem von Kilmakilloge, ein besonders schönes Fleckchen für den Rest der Ewigkeit “bewohnen.” Weil sie den Blick aufs Meer haben, hätten . . .

 

Friedhof Irland

Kilmakilloge Graveyard, Irland, County Cork

 

Dass Tote den ewigen Blick auf das Meer genießen, scheint ein etwas irrationaler Gedanke, und doch wird er seit vielen Menschengenerationen so oder ähnlich gedacht. Robert Macfarlane hat darauf hingewiesen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der wilden Natur, dem Totsein, dem Toten und dem Ausblick gibt. Hier eine Passage aus seinem lesenswerten Buch Karte der Wildnis, in dem Macfarlane sprachmächtig die Suche nach den letzten unberührten Flecken Natur in Großbritannien und Irland beschreibt:

Das Wilde und das Tote waren lange Zeit eng miteinander verwoben. Auch wenn wir es heute gewohnt sind, unsere Toten ordnungsgemäß in geweihter Erde zu bestatten – Reihen um Reihen von Grabsteinen -, ist dies nicht immer so gewesen. Oft war die Wildnis der Ort, an den die Toten zurückkehrten, wo sie in die Erde glitten wie in Wasser.

Am 18. April 1430 wurde John Reve, ein Handschuhmacher aus dem Dorf Beccles in Suffolk, zum Bischofspalast in Norwich beordert, um Rechenschaft über seinen Irrglauben abzulegen, da er es für richtig hielt, die Toten in der Wildnis zu begraben. Reves Verteidigungsrede ist überliefert. „Ich denke, glaube und bekräftige“, lautete seine mutige Erklärung vor dem Tribunal, „dass es ein ebensolcher Verdienst, Lohn und Gewinn für jeden Christenmenschen ist, auf Misthaufen, Wiesen und in der freien Natur bestattet zu werden, wie in Kirchen und Kirchhöfen.“

Irischer Friedhof

Castlehaven Graveyard, Irland, County Cork

 

Reves bewegender Glaube an die Richtigkeit des Begräbnisses in freier Natur würde später noch oftmals aufgegriffen, inner- und außerhalb der christlichen Tradition. Im 17. Jahrhundert begruben die Quäker ihre Toten als Zeichen des Protests auf Obstwiesen und in Gärten, während der Marquis de Sade in seinem Testament verfügte, sein Leichnam möge von einem Holzhändler aus seiner Gegend auf einen Wagen geladen, in ein Waldstück seiner Ländereien gebracht und dort in ein frisch ausgehobenes Grab gelegt werden. „Sobald das Grab zugeschaufelt ist“,  forderte er, „sollen Eicheln darüber gesät werden, damit neue Bäume die Stelle bewachsen und das Gehölz wieder so dicht sein wird wie vordem und die Spur meiner Grabstätte von der Erdoberfläche verschwindet.“  . . .

Ein irischer Freund erzählte mir einmal, wie seine Tante die ganze Familie aufgebracht hatte. Eines Sommers, als alle außer Haus waren, war ein Verkäufer zu ihr an die Tür gekommen. Sie ließ ihn herein, hörte ihm zu und kaufte sein Produkt: eine Grabstelle. Die Familie meinte, dass sie sich hatte neppen lassen, und wollte, dass sie ihr Geld zurückverlangte. Aber sie dachte gar nicht daran. Die Grabstelle liege ganz oben auf einer Klippe, sagte sie, in seltener Lage, und zeigte den Ort auf der Landkarte. Von dort konnte man weit über den Atlantik schauen. Ein schöner Platz für den Rest der Ewigkeit, sagte sie.

Viele wilde Landstriche in Großbritannien und Irland wimmeln von gekennzeichneten wie ungekennzeichneten Gräbern. Viele alte Bestattungsplätze befinden sich in Sichtweite eines Flusses oder auf Uferklippen und Felsvorsprüngen mit Blick auf das Meer. . .

. . . Bei einer Wanderung zwischen den alten Gräbern des Burren überkommt einen ein unerklärlich erhebendes Gefühl. Hier, so denkt man, finden Glaubensvorstellungen Ausdruck, von denen man möglicherweise etwas lernen kann. Eine gewisse Orientierung vielleicht, oder eine Verbindung. Das Hochgefühl, das man verspürt, hat mit der arglosen Behauptung dieser Grabstätten zu tun, ihrer unerschrockenen Vorstellung einer Kontinuität zwischen Leben, Tod und Ort. Und mit der einfachen Tatsache, dass so viele Menschen in so vielen Zeiten für einen guten Ausblick ihrer Toten über die Gegend sorgten.

 

Wahrscheinlich ist die Vorstellung vom schönen Plätzchen mit Ausblick für die Ewigkeit eher ein Trost für die Lebenden als ein Stück Totseinqualität für die Verblichenen . . .

 

Karte der Wildnis

 

Aus: Robert MacFarlane: Karte der Wildnis (Berlin, 2015)

PS: Wir von Wanderlust erkunden mit unseren Gästen regelmäßig die schönsten alten irischen Friedhöfe in Irlands Südwesten und atmen dort ein Stück Ewigkeit . . . Wir laden Sie ein: Markus Bäuchle und www.irland-wandern.de

 

Titelfoto: Antje Wendel, Fotos (2): Markus Bäuchle; [ed050216]