Neblige Dezember-Tage in Irland. Viele Menschen fürchten sich vor dem Nebel. Er nimmt uns die Sicht, den Überblick und die Orientierung. Der Nebel ist der weiße Bruder der Nacht. Auch sie wirft uns auf uns selbst zurück und verbirgt das Naheliegende vor uns. Der Nebel lässt uns unseren Standpunkt verlieren, wir wissen nicht mehr, wo wir sind, wir verlieren Ziel und Richtung. Es sei denn, wir vertrauen uns dem Nebel an, lassen uns einhüllen von ihm wie von einer weichen Decke und fühlen uns geschützt vor dem Blick auf die Welt und vor den Blicken der Welt auf uns.

Der Nebel ist nichts anderes als in der Luft schwebende Wassertröpfchen. Er kann uns genau so bedrohen wie beschützen. Wir selber treffen die Entscheidung.  Wenn wir mit dem Nebel gehen, müssen wir seine Regeln akzeptieren. Wir müssen uns eingestehen, dass er unserer Orientierung einen Streich spielen kann. Wir müssen Zeit mit bringen. Also tasten wir uns vorsichtig vorwärts, verweilen vielleicht für ein paar Stunden in dichtem Nebel an einem Ort.

Der Nebel ist eine Wolke in Bodennähe. Kürzlich gingen wir stundenlang auf der Höhe einen langen irischen Bergrückens. Nebel. Sichtweite: zehn Meter. Als wir zum Meer hinabstiegen, ließen wir den Nebel hinter und über uns, die Sicht auf Meereshöhe dehnte sich auf über einen Kilometer. Ein paar Worte mit einem entgegenkommenden Farmer: “Wie ging es da oben?” – “Ganz gut, trotz Nebel” – “Du meinst die Wolken?”.  Auch der Nebel ist eine Frage des Standpunkts. Ist der Bergnebel aus Talsicht eine Wolke?

Die Geschichten über den weißen Verführer Nebel sind unter Bergwanderern und Bauern legendär. Die alten Farmer Irlands verbreiten auch in Zeiten der Satelitennavigation noch immer die Ratschläge ihrer Väter: Bei Nebel geht man nicht in die Berge. Es ist viel zu gefährlich. “In hill fog you will get cliffted“, sagte einmal ein alter Bauer am Hungry Hill zu mir. Ich musste drei mal nachfragen, um zu verstehen: Bei Nebel droht das Kliff, die Felswand, Dich in die Tiefe zu ziehen.

Wer Pech hat, geht bei Nebel im Kreis und kommt wieder dort an, wo er die Orientierung zuerst verloren hat. Wer viel Pech hat und sehr unvorsichtig ist, geht beim Wattwandern versehentlich in Richtung des offenen Meeres und erkennt den Irrtum zu spät. Einer der erfahrensten Bergwanderer unserer Gegend wurde eines abends auf der Spitze eines Berges, den er viele Male schon gegangen war, von dichtem Nebel überrascht. Seine Erfahrung zeigte ihm nur vermeintlich den Heimweg nach Süden. Er landete im Norden der Halbinsel, war 180 Grad vom seinem Heimweg abgekommen und hatte bis fast zum Schluss geglaubt, auf dem richtigen Weg zu sein. Der dichte Nebel hatte den Berggänger gewaltig genarrt – und am Ende demütig werden lassen.

Nebel (fog) nennen wir die verdichteten Wassertröpfchen in der Luft, wenn die Sichtweite am Boden unter 1000 Metern liegt. Nebelschwaden oder Schleier, durch die wir hindurchsehen können und die eine Sichtweite von mehr als einem Kilometer ermöglichen, heißen Dunst (mist). Die Sichtschleier in der Luft, die im Englischen haze genannt werden, stammen dagegen von kleinen Trocken-Partikeln in der Luft. Sie lassen den Sonnenuntergang rot erscheinen.

Im Alltag sprechen wir erst von Nebel, wenn die Sicht mehr oder minder stark eingeschränkt ist. Wenn wir 180, 150, 100 oder nur 20 Meter weit sehen können. Wenn dichter oder dicker Nebel uns umhüllen, wenn Autofahren zum Glücksspiel wird und Skifahren zum Wagnis.

Manchmal, mit etwas Glück, agiert der Nebel für uns wie ein Regisseur. Er verbirgt, verhüllt, zeigt, offenbart und gibt frei. Teile, Ausschnitte, das gesamte Panorama. Wenn wir im Nebel auf einen Berg steigen, und der Blick hinab auf den Atlantik reißt in dem Moment auf, als wir ganz oben ankommen, wenn sich die weiße Wand vor unseren Augen wie ein Vorhang im Theater öffnet und den Blick frei gibt, auf die Bucht weit unter uns, dann fühlen wir uns belohnt . . .

Die Fotos in diesem Beitrag stammen aus dieser Dezember-Woche. Mit Ausnahme des blühenden Weiß-Dorns im Nebel (Mai 2017)

Wir genießen diese nebligen Tage vor Weihnachten in unsrer Wahlheimat Irland. Die Fotos stammen alle aus der Umgebung. Wer mit uns im kommenden Jahr in Irland wandern gehen will, ob mit oder (meistens) ohne Nebel: Hier finden Sie alle Informationen zu unseren Wander- und Naturreisen in Irland www.irland-wandern.de

Fotos: Markus Baeuchle / Wanderlust