Kartoffeln Irland

Im Kartoffelbeet. Ein Bild gemalt vom irischen Künstler Gerard Dillon

 

Die Irinnen und Iren gelten nicht nur als Langzeit-Weltmeister im Teetrinken, die globalen Legenden sehen Irland auch noch immer als die Champions des Kartoffelkonsums. Tatsächlich lag der Pro-Kopfverbrauch im 19. Jahrhundert, als das Nahrungsangebot sich auf der verarmten Grünen Insel sehr in Grenzen hielt, bei sagenhaften 2.000 Kilogramm im Jahr. Damals stand auf dem Speiseplan des einfachen Volkes nur eines: Kartoffel, Kartoffel, und noch mal Kartoffel. Als deshalb ab 1845 mehrere Jahre die Kartoffelernte ausfiel und die englischen Kolonialisten tatenlos zuschauten, war die Katastrophe da: Eine Million Menschen starben an den Folgeerkrankungen des Hungers, 1,5 Millionen wanderten notgedrungen aus, die Bevölkerungszahl fiel innerhalb weniger Jahrzehnte von fast 9 auf 3,8 Millionen.

Das Trauma der großen Hungersnot (“Famine”) ist auch heute noch gegenwärtig in Irland. Die Kartoffel hat Ihre existentielle Bedeutung zwar verloren – was eng mit dem hohen Lebensstandard der zu Wohlstand gekommenen Irinnen und Iren zusammen hängt. Doch einem Landmann hier im Südwesten beim Genießen der ersten neuen Kartoffeln im Jahr zu zu sehen, lässt einen das Herz aufgehen: Es ist pure Verzückung. Heute konsumiert der Durchschnitts-Insulaner noch gut 100 Kilogramm Erdäpfel, immerhin weit mehr als Deutsche, Italiener und Franzosen, deutlich weniger allerdings als Polen, Russen, Rumänen oder Ukrainer. Die Kartoffeln, die man hier Spuds nennt, gedeihen auf der Insel heute zuverlässig: Es gibt sowohl Fäulnis-resistente Sorten als auch wirksame chemische Hilfen aus der Sprühanlage. Die Versorgung der Spuds-verliebten Bevölkerung ist gesichert. In überdurchschnittlichen Erntejahren exportieren irische Farmer sogar größere Mengen ihrer geschätzten Krummbirnen ins Ausland: Roosters und Kerr Pinks für die Welt.

 

Kartoffeln Irland

 

Irland ist und bleibt ein Kartoffel-verrücktes Land in Westeuropa – und auch wenn sich die Küche in den vergangenen zwei Jahrzehnten prächtig internationalisiert hat: Die Aussichten, in einem echt irischen Restaurant eine Lasagne garniert mit Kartoffelsalat, Kartoffelbrei und ein paar Pommes zu bekommen, sind noch immer ganz gut. Auch als Chips (hier: Crisps) werden die Erdknollen in degenerierter Form tonnenweise konsumiert. Mr. Tayto, das Maskottchen der Firma, die die aromatisierten Chips erfunden hat, genießt bis heute den Status des kleinen Nationalheiligtums.

Die Love Story mit der Kartoffel hält auch dem Wohlstand stand. Wer es sich leisten kann, kauft die Kartoffel jetzt eben in kleinen Mengen und sauber gewaschen. Die großen preiswerten Zehn- und 20-Kilogramm-Säcke mit der erdigen Rohware sind aus der Mode gekommen. Iren konsumieren heutzutage bevorzugt die kleinen Zwei- oder Fünf-Kilo-Beutel mit sauberen, kochfertigen Knollen. Oder gleich den mit mächtig Mayonnaise gepimpten Kartoffelsalat und die frittierten Spicy Wedges aus der Convenience-Abteilung.

Das innige irische Verhältnis zur Kartoffel könnte sogar als Wohlstandsbarometer taugen. Wer in etwas längeren Zeitläuften denkt, beispielsweise von der Einführung der Patate in Irland im Jahr 1588 bis zur Gegenwart, der kommt ohne Umschweife zum Schluss: Diesem Land und seinen Einwohnern geht es prächtig. Besser als den meisten anderen Menschen weltweit und so gut wie nie zuvor. Darauf einen Poitin – destilliert aus feinsten heimischen Kartoffeln.

 

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Fotos: Das Titelfoto zeigt ein Gemälde von Gerard Dillon. Eine Story über diesen interessanten irischen Künstler gibt es hier.
Foto Mitte: Wikipedia; unten: Tayto