Auswandern, Ortswechsel, Neubeginn: Warum zieht es Deutsche (auch Schweizer und Österreicher) ausgerechnet nach Irland? Wie leben sie dort? Wurden ihre Erwartungen erfüllt, was gefällt ihnen, womit haben sie Probleme? Wir stellen Menschen vor, die den Sprung gewagt haben und auf der Insel leben.


Doris Affeldt (51) lebt seit 26 Jahren in der Gegend von Belmullet im County Mayo. Sie zog im Jahr 1983 nach Irland und ist heute als Unternehmerin mit einem eigenen Mode-Label tätig.

 

:: Doris, warum lebst Du in Irland? Was hat Dich hierher geführt?

Ja, das ist lange her. Ich war jung und abenteuerlustig. Erlebte hier in Irland eine schöne Mischung aus einem bedingungslosen willkommen sein und viel Raum zum wachsen und werden. Die einfache und warme Art der Menschen hier, von denen ich mich einfach so akzeptiert fühlte. Die fantastische Landschaft, die mich nährte und inspirierte. Der lebhafte Wechsel des Wetters der alles spannend und frisch hält. All dies hat mich sofort angesprochen und ich habe den Schritt gewagt, mit meinem damaligen Mann und meiner kleinen Stieftochter hier in diesem kleinen freundlichen Dorf an der Westküste Mayo’s ein neues Leben zu gestalten.

:: Ist Dein Aufenthalt zeitlich begrenzt?

Nein.

 

:: Haben sich die Erwartungen an das Leben in Irland erfüllt?

Mehr als erfüllt. Meine Erwartungen waren damals wohl etwas romantisch angehaucht, so a la ‘Leben auf dem Lande’, viel Zeit haben für Kreativität usw. In der Realität ging’s dann schlicht ums Überleben. Verregnete Ernten, Feuer in Gang halten, Wäsche trocken kriegen, Auto kaputt usw. Rückblickend sehe ich, dass grade diese profane Realität mein eigenes Wachstum gefördert hat. Ich habe so viel gelernt.

Zuerst wurde ich zur Selbstversorgerin, alles auf dem Tisch war aus eigener Herstellung. Vom Gemüse über Brot, alle Milchprodukte zu Eiern, Fleisch und Salami. Das war zwar arbeitsintensiv aber auch sehr befriedigend (und lecker). Als meine Tochter Glenna eingeschult wurde, fing ich an zu malen und hatte prompt einigen Erfolg damit.

Nach einigen Jahren fand ich es gesünder, nicht unbedingt mit der Kunst Geld verdienen zu müssen und startete eine kleine Textilwerkstatt. 1998 habe ich dann einen Stoff entwickelt, den es in dieser Form noch nicht gab: einen Polarfleece aus hoch-feiner Merinowolle. Nach und nach ist daraus eine umfangreiche Kollektion entstanden, die ich weltweit exportiere ( www.fastnetoutfits.ie ). Von all diesen Sachen hatte ich, als ich hier ankam keine Ahnung. Weder vom Gartenbau, noch vom Käse machen, malen oder gar vom Führen einer Firma. So habe ich oft aus der Not heraus oder aus Spaß am Ausprobieren gelernt, natürlich auch viele Fehler gemacht und auch so mein Lehrgeld bezahlt. Einfach und bequem war’s nie, spannend immer, und an meine Grenzen kam ich wohl des Öfteren.

So hat sich die Erwartung, mich hier entfalten zu können wirklich erfüllt. Damals hätte ich mir diese Vielfalt gar nicht erträumen kön
nen. Das war auch gut so, ich hätte mir das nämlich alles gar nicht zugetraut und hätte den Schritt wohl nicht gewagt.

 

:: Wie gefällt es Dir heute?

Sehr gut. Immer noch spannend. Meine Firma läuft gut. Das ist mein Standbein. Klein aber fein. Das ist auch für die Qualität gut. Es bringt mir genug ein, um alles tun zu können was mir Freude bringt und läßt mir dabei noch genug Zeit und Raum für Neues.


Die Werkstatt von Fastnet Out Fits, wo die Kollektion in Handarbeit gefertigt wird

Ich lebe inzwischen allein in meinem Cottage und habe genug Zeit und Mittel für die Malerei und Photographie und meine Ausbildung zur ELPH-Therapeutin/-Lehrerin (www.elph-centrum.com ). Ich fange gerade an, als Spirituelle Therapeutin zu arbeiten.

Ein weiterer, sehr reicher Teil meines Lebens und meines Werdegangs hier ist das Fünf Rhythmen Tanzen, Meditation, Contact Improvisation und Trommeln in Gruppen. Ich habe viele sehr liebe Menschen in meinem Leben. Das Wachsen und Entfalten scheint immer weiter zu gehen und ich bin inzwischen sehr gespannt was die Zukunft noch alles bringt.

:: Wie lebt es sich als Deutsche auf der Insel?

Sehr gut. Zwar beneide ich die Iren um mich herum manchmal um das Eingebettet sein in diese großen Clans, fühl mich aber doch sehr viel freier als sie, gerade dadurch, dass ich einen gewissen Aussenseiter-Status habe.

:: Wir kommst Du mit der Irischen Mentalität und mit den Menschen zurecht?

Ich mag die Irische Mentalität. Den Humor, wie Menschen hier einander begegnen, sich selbst und andere akzeptieren. Das Geschichten-Erzählen, das Zuhören. Mir gefällt, wie wir uns, oft auch nur im Vorübergehen, sagen wie wir das Wetter gerade finden und uns damit erzählen, wie wir gerade drauf sind. Die feinen Töne des Miteinanders.

Ich genieße es, dass sich fremde Menschen begrüßen und im Zug oder beim Warten irgendwo ins Gespräch kommen. Am Anfang musste ich natürlich auch erstmal lernen, dass es hier anders ist als in Deutschland. Das wenn jemand nein sagt, wenn ich ihm eine Tasse Tee anbiete, heißt es hier noch lange nicht, dass er keine möchte . . . und noch so einige’Finessen’.

 

:: Was magst Du besonders an Irland?

Die Menschen, die Natur. Beides gleich wichtig. Früher bin ich wahnsinnig oft mit meinem alten Morris Minor irgendwo liegen geblieben. Es hielt immer sofort das nächste Auto an. Ich hab dabei die nettesten Menschen kennengelernt. Eigentlich ist hier alles persönlicher, menschlicher.

Die Irische Sprache klingt wie aus einer anderen wahreren Zeit.Sie repräsentiert für mich auch eine andere, sehr poetische Sichtweise der Iren.

Ich liebe den Klang der Seanois Lieder. Den Geruch der Torffeuer. Die multi-kulturelle Szene in Galway, die Art des offenen kreativen Miteinanders dort. Ich bin sehr beeindruckt von den Menschen in dieser Gegend, die sehr mit ihrem Land verbunden sind, und die Ausdauer und Wahrhaftigkeit haben, um es gegen die Ausbeutung von Firmen wie Shell zu verteidigen (Rossport 5).

Das Land selbst unter meinen Füßen scheint ein altes leises Lied zu singen, wenn ich drauf gehe. Am wilden Atlantik zu leben nährt mich und gibt mir tatsächlich viel inneren Frieden. Nie fühle ich mich so lebendig wie wenn ich drin schwimme. Der hohe lichte Himmel inspiriert mich und beschert mir ein Gefühl von Raum und Platz. Der schnelle reiche Wolken- / Wetterwechsel hält mich wach und im Moment.

Das Licht hat eine ga
nz eigene, besondere Magie. Ich staune wie am ersten Tag.

 

:: Was magst Du nicht an Irland?

* Midgies ! (Die kleinen Stechmücken).

* Das Schulsystem, in dem selbstständiges kreatives Denken nicht genug gefördert wird, stattdessen wird zuviel auswendig gelernt.

* Die Trink- und Drogen–Kultur gerade bei sehr jungen Leuten macht mich traurig.Vielleicht ist es hier nicht anders als in anderen Ländern? Ich beobachte, dass es hier als cool gilt, sich mehr oder weniger bewußtlos zu trinken.Mehr Informationen und mehr Alternativen wären gut.

* Vetternwirtschaft, korrupte Politiker, mangelnde Opposition.

* . . . und manchmal wird mir der Wind ‘n bisschen viel . . .

 

:: Was aus der alten Heimat vermißt Du hier?

Einige liebe Freunde, und an einem nassen kalten Tag die Sauna und Thermen–Kultur.

 

:: Würdest Du den Schritt noch einmal tun?

Auf jeden Fall.

 

Doris stellt ihre Photos im eigenen Laden, dem ‘cocoon’ in Galway, aus.