The Grudge

 

Petra Dubilski über die irischen Parade-Disziplinen Übelnehmen und Missgunst.

 

Es gibt eine (un)schöne Tradition im freundlichen Irland, nämlich das ewige Grummeln über Generationen hinweg. Es gibt Familien, vor allem auf dem Land, die können sich seit Generationen nicht ausstehen. Man möchte gerne sagen, dass keiner mehr weiß warum. Aber dem ist nicht so. Der Ire an sich und für sich hat ein sehr langes Gedächtnis für Feindseligkeiten – genannt The Grudge.

Grudge 2Das sollten vor allem fröhliche Zuwanderer bedenken, bevor sie irgendeine Meinung äußern. Nicht umsonst drehen sich Gespräche hauptsächlich um das harmlose Thema Wetter – obwohl auch das für Ausländer eine Falle sein kann, wenn sie über den ewigen Regen auf dieser verdammten Insel schimpfen, während der Ire von einem “soft day” spricht, heißt: Es pisst nicht aus dem Himmel, es ist halt nur ein bisschen feucht. Und von wegen verdammte Insel! Irland an sich zu beleidigen kann zu was führen? Genau. The Grudge.

Aber Blow-Ins, Hereingewehte, wie die Zugezogenen hier bekanntermaßen heißen, wird eigentlich eine Menge verziehen. Sie wissen es halt nicht besser und eigentlich sind sie auch nicht wirklich wichtig – solange sie sich nicht in Dinge einmischen, die sie nichts angehen, und niemals einem Iren widersprechen. Wie mir mal durchaus freundlich gesagt wurde: “You are part of the village, but not part of the parish.”

Zurück zum Grudge. Es gibt Familien, die führen ihre gegenseitige Aversion bis auf den Bürgerkrieg 1922/23 zurück, als die Vorfahren auf jeweils feindlichen Seiten standen (für oder gegen den anglo-irischen Vertrag, der letztlich zur Abspaltung Nordirlands führte und bis heute in gewissen Kreisen, nun ja, umstritten ist). Da passiert es schon, dass heutigen Kindern eingeredet wird, nicht mit gewissen anderen Kindern zu spielen, weil der Ururgroßvater auf der falschen Seite stand. Was den Kindern meist schnurz ist, aber den Grudge nicht aus der Welt schafft. Es zeigt sich bis heute im Wahlverhalten für die Parteien, die damals für oder gegen den Vertrag waren und noch heute existieren. Grudge!, wenn die falsche Partei gewählt wird.

The Grudge kann aber auch aus ganz banalen Dingen entstehen, sei es ein falsches Wort nach dem fünften Pint im Pub oder sei es die Auseinandersetzung um Land oder auch nur um einen gefällten Baum. The Grudge kann auch einen Dorfpriester befallen, wenn er altgedienten Damen die Aufgabe des kirchlichen Blumenschmucks entzieht, um sie jemand anderem zu übertragen. Das wird nie und nimmer verziehen und kann zum Wechsel in eine andere Kirchengemeinde führen. Eine wie auch immer falsche Predigt übrigens auch.

Die Auflösung des Grudge wäre nach vernünftigem Ermessen, sich einfach mal zu treffen und seinen Ärger zu diskutieren. Dann erfährt vielleicht auch der Betroffene, warum ihn keiner mehr lieb hat und man kann das Problem lösen. Im besten Fall natürlich nur.

Aber Iren kennen das linke deutsch-urbane Prinzip des “Zusammensetzens, um sich auseinanderzusetzen” nicht. Dörfliche Iren sind außerordentlich diskussionsscheu, wenn es um Auseinandersetzungen geht. Da geht man lieber zum Anwalt oder noch besser: Man hält The Grudge. Dauert länger, kostet nichts und gibt Gesprächsstoff für Jahre, ach was sage ich, Generationen! Im schlimmsten Fall greift der Farmer zum Gewehr. Auch schon wegen eines Grudge vorgekommen.

Wird man als Blow-In Opfer eines Grudge, bedeutet es, dass man wirklich angekommen ist, also nix da von wegen “gehört nicht dazu”. Kann man als Ehre sehen oder auch nicht. Aber dann kommen auch, meist weil bessere Argumente fehlen, die ausländerfeindlichen Bemerkungen. Ist aber Teil des Grudge und sollte Ausländer nicht kratzen. Wirklich. Es könnten genauso gut frauenfeindliche Spitzen sein oder Aversionen gegen Haarfarbe, Tierliebe/-hass, Essensgewohnheiten (“feckin vegetarians!”) oder religiöse Vorlieben (“effin Protestant/Buddhist/Atheist!”) und hat im Prinzip nichts mit den wahren Gefühlen zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit The Grudge.

Und wo wir schon mal beim Grudge sind: Es gibt da noch die Variante des Begrudgery. Das ist das grünäugige Monster der Missgunst, geht oft Hand in Hand mit dem Grudge und trifft in der Regel Leute, die aus dem alten Trott ausbrechen oder ganz neue Ideen vermitteln wollen.

Dieses Monster taucht immer dann auf, wenn sich jemand für “etwas Besseres” hält. Die Tochter des Farmers studiert? Stuck-up bitch, was denkt sie denn, wer sie ist. Der Pubbesitzer versucht, halbwegs gute Küche einzuführen? Ja was glaubt er denn, wer er ist! Gordon-fecking-Ramsey?

Jeder persönliche Erfolg anderer Zeitgenossen ist eine Beleidigung für jene, die erfolglos vor sich hinwurschteln. Und das wird übelgenommen. Und kann zum lebenslangen Grudge führen.

Ah, The Grudge! Was wäre das Dorfleben ohne ihn!

 

Die Autorin: Petra Dubilski, geboren und aufgewachsen in Berlin, mit längeren Zwischenstationen in Baden und Schwaben, studierte an der Uni Freiburg und der FU Berlin alles mögliche, was die Welt und den Menschen erklären könnte, mit Abschluss in Soziologie. Nach Jahren in meist sozialen oder kreativen Berufen arbeitete sie als Redakteurin bei einer überregionalen Tageszeitung, machte sich anschließend selbstständig und schrieb Reisebücher. Heute lebt sie als freie Autorin und Übersetzerin in Irland, wo sie sich seither mit Realitäten auseinandersetzt, die sie seit über 18 Jahren auf der grünen Insel noch immer verblüffen – und faszinieren.

Eine Auswahl von Petras Büchern gibt es hier.

 

Fotos: Google Search; privat. [ed110517]

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