Petra Dubilski* schreibt heute über irische Landpolizisten bei der Arbeit . . .  

 

Garda Pauric Monaghan stapfte mit den Füßen und zog den Kragen seiner Uniformjacke hoch. Die Neumondnacht war kalt und schwarz und der Sprühregen vom Atlantik hinter den Dünen durchdrang selbst die drei Schichten Wolle, dier er trug. Plötzlich sah er in der Ferne die fahlen Augen von Autoscheinwerfern über die holprige Landstraße heranblinken. Rasch drückte er mit dem Stiefel seine Zigarette aus, zog sich lautlos hinter die Hecke des einsamen Hauses zurück und gab seinen versteckten Kollegen ein stummes Signal. John Joe Gallagher. Endlich. Seit Monaten war er hinter ihm her. Jetzt konnte er ihm nicht mehr entkommen, die Falle war perfekt …

Garda Pauric Monaghan scheint ein guter Polizist zu sein, einer wie aus einem mehr oder weniger spannenden Krimi, wo Gut und Böse noch schön klar getrennt sind. Ein wahrer Freund und Helfer, der keine Mühe und keinen irischen Nieselregen scheut, um die Bösewichter dieser Welt zu fassen (und der wahrscheinlich auch noch gut aussieht und sexy ist, jedenfalls wenn es mein Krimi wäre). Wir in Irland dürfen uns unter ihm und seinen ebenso heldenhaften und moralisch rechtschaffenen Kollegen sicher fühlen. Oder?

Krimis erfüllen die Funktion, uns in unsicheren Zeiten das Gefühl von Sicherheit und unserer eigenen moralischen Überlegenheit zu geben. Aber die Realität sieht anders aus. Denn manche Gardaí dieser irischen Welt scheinen nicht viel dranzusetzen, irgendwen zu fassen oder grundsätzlich ihren Allerwertesten vom Sessel zu heben. Von moralischer Überlegenheit ganz zu schweigen.

An Garda Síochána, die „Wächter des Friedens“ sind seit Jahrzehnten von Skandalen gebeutelt. Korruption, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft werden in einem Land, wo diese Dreieinigkeit zum Amtseid des öffentlichen Dienstes zu gehören scheint, als Kavaliersdelikt betrachtet und nur schleppend geahndet. Das liegt ein bisschen an der Geschichte der Guards, entstanden aus dem Unabhängigkeitskrieg, aber auch an der Rekrutierung aus dem ländlichen Umfeld und der Kultur einer Inselbevölkerung, die sich noch immer nicht vom Trauma der britischen Kolonialisierung erholt hat.

Diese Dreieinigkeit beschränkt sich aber nicht nur auf die Kommandoebene, sondern blüht in kleinerem Maße in den kleinen Polizeistationen auf dem Land, wo buchstäbliche Vetternwirtschaft farbenprächtige Blüten treibt.

„Wir machen das hier auf dem Land immer so, ist normal“, teilte mir einst ein Guard mit, bei dem ich Anzeige erstatten wollte, weil ein Bauer ein geladenes Gewehr auf offener Straße auf mich richtete und mich übelst xenophob beschimpfte. Warum, ist eine längere und letztlich komplexe Geschichte und ein Grudge, der seit nunmehr fast 15 Jahren anhält.

Der gemütliche Dorf-Guard also erklärte mir, dass er die Anzeige nicht annehme, weil „das auf dem Land schon immer so ist und er schließlich auch vom Land sei“. Kurz: Get used to it to be shot at.

Ich rief beim Superintendenten in der nächstgrößeren Stadt an: „Ich will eine Schießerei melden“, sagte ich, um Gehör zu finden. Das nun ließ sie aufhorchen. Schießerei auf dem Land, damit kann man als Landei in Dublin vielleicht durchkommen? Ich spitzte die Geschichte zu, um endlich gehört zu werden, betonte auch die Fremdenfeindlichkeit. Immerhin erhielt der Dorf-Guard darauf hin den Befehl, ein Protokoll aufzunehmen. Aus dem aber nicht viel wurde, außer dass der schießwütige Bauer seine Schießlizenz erneuern musste, was für ihn mit einigen Unannehmlichkeiten verbunden war (grudge, siehe oben).

„Wir sind eigentlich nicht zuständig, ich bin jetzt hier auch allein in der Wache“, sagte mir vor nicht allzu langer Zeit ein junger, etwas hilfloser Guard, als ich ihm mitten in der Nacht meldete, dass ein offensichtlich betrunkener Zeitgenosse über unsere Auffahrt auf den Rasen gefahren ist und verzweifelt versuchte, über die Mauer (!) wieder auf die Straße zu kommen. Das Rumms Rumms des Autos gegen die Mauer hatte mich geweckt.

„Könnte der gefährlich sein?“, fragte der Guard. Ah, bless you, junger Mann, dachte ich. Warum würde ich sonst die Guards anrufen, wenn mir nicht mulmig wäre?

Ich sagte: „Ich schau mal nach, der könnte ja verletzt sein. Aber könnten Sie nicht trotzdem einen Streifenwagen vorbeischicken? Just in case?“ „Ich weiß nicht, eigentlich sind wir nicht zuständig“.

Kurz: Ich ging selbst raus, um nachzuschauen (mit meinem Hund, der das ganz interessant, aber nicht bedrohlich fand). Der Mann war komatös betrunken, die Temperatur war unter Null (Winter), Mauer und Auto ziemlich verbeult. Gefahr im Verzug? Jedenfalls für das Überleben des Betrunkenen, nachdem er mich schwankend und lallend zu attakieren versuchte und schließlich auf den frostigen Rasen fiel.

Schließlich, nach etwa einer Stunde, in der mich ein potenziell gefährlicher Zeitgenosse längst hätte abgemurkst haben könnte, tauchte ein Polizeiwagen mit zwei sehr missmutigen Guards auf, die aber erst bei mir anfragten, ob der Betrunkene gefährlich sein könnte. Ich habe sie zum Komasäufer begleitet, damit den Jungs in Blau auch ja nichts passiert. Wenigstens hatte der Trunkenbold danach eine warme Zelle und überlebte.

Gerne jedoch scheinen diverse Guards hier auf dem Land die Schließzeiten in Pubs durchzusetzen („Closing time. Please leave the premises. Finish your drink? Okay, no rush.“), Verkehrskontrollen durchzuführen (zumindest in Kerry:„Have you been drinking? No? Okay so. Safe home and god bless.“) und ihre Autorität einzusetzen, wenn es um das Eigeninteresse geht: lukrative Nebenjobs anzunehmen oder ahnungslose Bürger zur Kooperation welcher Art auch immer zu bewegen, die mit Verbrechensbekämpfung nichts zu tun hat.

Und wie ging es mit unserem fiktiven Helden Garda Pauric Monaghan weiter?

John Joe Gallagher ahnte, dass etwas faul war, sobald er in die Abkürzung abzweigte. Er hatte die Straße mit dem einsamen Haus hinter den Atlantikdünen seit Langem vermieden, aber er hatte keine andere Wahl nach dem Pub-Besuch. Die Hauptstraße war voll mit Kontrollen an diesem Wochenende vor Weihnachten. Er konnte es sich nicht leisten, geschnappt zu werden. Aber er würde vielleicht auch hier draufzahlen, besonders wenn dieser Bastard Monaghan am Haus wartete. Typische Situation zwischen Baum und Borke. Was tun?

Der Bungalow war verdächtig dunkel. Normalerweise schien noch ein bläuliches Licht aus dem Wohnzimmer, wenn die Frau mal wieder vor dem Fernseher eingeschlafen war. Diesmal: Nichts. John Joe bremste sanft ab und dachte nach. Monaghan würde nie aufgeben. Aber die Alternative auf der Hauptstraße war schlimmer nach fünf Pints. Seufzend ließ er das Auto ausrollen und ergab sich seinem Schicksal.

Garda Pauric Monaghan sprang mit einer Geschmeidigkeit aus dem Gebüsch, die ihn angesichts seiner beachtlichen Wampe selbst überraschte, und riss die Autotür von John Joe auf. „Habe ich dich! Seit Monaten ist meine Heizung kaputt und du antwortest noch nicht einmal auf meine SMS! Glaubt ihr Klempner, dass ihr einen Guard ignorieren könnt?“ Pauric zog seine Waffe und packte John Joe am Kragen. „Die Heizung funktioniert in zehn Minuten oder ich kriege dich wegen Drogenschmuggel oder sonstwas ran! Capisce?“

 

Anmerkung der Redaktion: Anfang und Ende des Beitrags sind fiktiv (in Kursiv-Schrift). Der Rest ist erlebte Wirklichkeit.

 

* Die Autorin: Petra Dubilski, geboren und aufgewachsen in Berlin, mit längeren Zwischenstationen in Baden und Schwaben, studierte an der Uni Freiburg und der FU Berlin alles mögliche, was die Welt und den Menschen erklären könnte, mit Abschluss in Soziologie. Nach Jahren in meist sozialen oder kreativen Berufen arbeitete sie als Redakteurin bei einer überregionalen Tageszeitung, machte sich anschließend selbstständig und schrieb Reisebücher. Heute lebt sie als freie Autorin und Übersetzerin in Irland, wo sie sich seither mit Realitäten auseinandersetzt, die sie seit über 18 Jahren auf der grünen Insel noch immer verblüffen – und faszinieren.

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Foto: privat.