Stille Orte Irlands

 

Die stillen Orte Irlands (10). Winter. Stille. Ruhige Zeit, kurze Tage. In diesen Wochen zum Jahresende hin besuchen wir auf Irlandnews die stillen, die dunklen und die dünnen Orte Irlands. Heute stellt der Kölner Künstler und Irlandkenner René Böll einen faszinierenden Ort auf der Insel vor, auf der er seit seinen Kindheitstagen viel Zeit verbracht hat.

Der aufgelassene Friedhof von Dugort
Achill Island, County Mayo

Die Geschichte Achill Islands ebenso wie die Topographie der Insel hält ein sozialgeschichtlich wie kulturhistorisch gleichermaßen bedeutsames Zeugnis bereit: die Friedhöfe der ungetauft verstorbenen Kinder, die sogenannten Cillinís. Die traditionelle Lehre der Kirche besagt(e), daß Kinder, die gestorben waren, bevor sie getauft wurden, nicht auf einem gesegneten Friedhof beerdigt wurden durften, so wurden sie namenlos außerhalb der Friedhöfe auf ungeweihtem Grund beerdigt. Die Eltern glaubten, dass sie sie nie wiedersehen würden, dass sie im Limbus Puerorum, dem Limbus der Kinder, seien, bestraft nach dem Tod, getrennt in alle Ewigkeit.

Der Schmerz und die Trauer der Familien war und ist unendlich. Den Cillinís von Achill Island als der Topographie und Geschichte der Insel untilgbar eingeprägte Signaturen habe ich mich nach vielen Jahren der Beschäftigung im Rahmen eines Projekts konkret und direkt zugewendet – in einem Projekt, das sich diesen als kulturgeschichtlichem Zeugnis in zwei wesentlichen Aspekten widmet: künstlerisch und dokumentarisch. (Einen Beitrag zu René Bölls Projekt Die Friedhöfe der ungetauften Kinder Irlands gibt es hier.)

Diese Cillinís finden sich an mehreren, zumeist bereits in der Vergangenheit als Gedenkorte dienenden Plätzen der Insel – sichtbar in ihrer steinernen Spur, und doch für den, der nicht weiß, worauf diese wie lose gestreut sich darbietenden Zeichen aus Stein verweisen, dem Erkennen entzogen. Im Sichtbaren gegebene Spuren auf etwas Abwesendes, das in ihnen dennoch präsent, anwesend ist; ein Zugleich von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, in dem Geschichte und Landschaft der Insel miteinander verwoben sind. Diese Cillinís liegen oft auf einer Grenze, quasi in einem Niemandsland in einem Nicht-Land. Oft an abgelegenen Plätzen, manchmal auch mitten auf einem privaten Feld, nicht weit von einer Siedlung. Begraben wurden dort auch unbekannte Seeleute, die angeschwemmt wurden und deren Konfession man ja nicht kannte und – in Ausnahmefällen – auch getaufte Kinder, deren Eltern ein normales Begräbnis nicht bezahlen konnten.

 

Stille Orte Irlands

 

So stieß ich auch auf das verschwundene Dorf Finsheen, das sich dort befand, wo heute die protestantische Kirche und der Friedhof sind, auf dem inzwischen so viele Menschen begraben wurden, die wir als Kinder oder Jugendliche gekannt haben. Zu diesem Dorf machte ich eine Ausstellung, veröffentlichte einen Katalog mit Bildern und Gedichten.

Im Rahmen der Suche nach Friedhöfen erzählte mir ein älterer Anwohner des sogenannten Settlements der protestantischen Missionssiedlung in Dugort von dem seit langem aufgelassenen Friedhof höher oben am Slievemore, dem „Großen Berg“.
Ich fand nach längerem Suchen diesen Friedhof, der seit Jahrzehnten, vielleicht seit über einem Jahrhundert nicht mehr benutzt wird. Auf ihn sind auch – anonym ohne Grabstein oder Kreuz – viele Opfer der sogenannten Großen Hungersnot, An Gorta Mór, begraben (Fotos oben).

Der Friedhof strahlte eine ungeheure Ruhe aus, er erinnerte auch an viele Gruselfilme mit Dracula und ähnlichen Gestalten, war aber gleichzeitig auch ein Ort der Stille, überwachsen und den Elementen preisgegeben. Kein Autolärm drang bis hierhin vor, ein Ort des Memento Mori. ”

Vielen Dank, lieber René Böll, für diese Schilderung.

Eure stillen Orte

Als LeserInnen seid Ihr eingeladen, hier Eure eigenen stillen Orte zu zeigen: Deine Mail mit Foto und kurzer Beschreibung bitte an markus@irlandnews.com.

 

Fotos: René Böll; Mehr Informationen über den Maler René Böll gibt es hier.

Achill Island, Dugort