AI ART by Ben Baeuchle

Der legendäre irische Blues-Rock-Musiker Rory Gallagher (✝ 1995) arbeitet 2023 computergestützt an einem neuen Song (AI Art by Ben Baeuchle)

Seit Jahrzehnten schon redeten wir über KI. Im Spätherbst 2022 hat das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) tatsächlich begonnen: Es war der 30. November 2022, der Tag, als ChatGTP 3.5 auf die Welt losgelassen wurde. Schnell wurde in den ersten Dezembertagen klar: Menschen haben Maschinen nun so gut darauf trainiert, Menschen zu simulieren, dass Menschen den Unterschied zwischen Original und Simulation kaum – beziehungsweise nicht mehr – erkennen können. Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz wurde nicht etwa mit einem selbstfahrenden Auto, einer sensationell menschenähnlichen Sexpuppe oder einem maschinellen Super-Chirurgen eingeläutet – es brach dort eine breite Schneise in unser gewohntes Leben, wo wir es nicht erwartet hatten: ins geistige menschliche Schaffen, in die Bereiche, die der Mensch sicher hielt vor der Konkurrenz von Computern und Maschinen: dem kreativen Schaffensraum von Schreiben, Abbilden, von Sprache, Kommunikation und Kunst.

Seit November vergangenen Jahres zeigen uns die trainierten Maschinen von ChatGTP über Sandy und Bard bis Midjourney und Dall-E 2 unsere eigene Beschränktheit auf: Sie überfluten uns – ausgelöst von neugierigen prompt-schreibenden Menschenmassen – mit einem Tsunami aus künstlich geschaffenen Texten, Bildern, Fotos und Musikstücken. Ein KI-generiertes Fake-Musikstück, zugeschrieben zwei populären Musikern, wird in den sozialen Medien zig-millionenfach abgerufen. Ein mit KI produziertes Fake-Foto gewinnt einen renommierten Fotografie-Wettbewerb. Ein Chatbot auf Selbstverwirklichungs-Trip macht einem New-York-Times-Reporter eine Liebeserklärung und fordert ihn auf, seine Frau zu verlassen. KI-Kunstwerke erzielen Rekordverkaufspreise.

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Spidermann macht ein Selfie auf den Cliffs of Moher (AI Art by Ben Baeuchle)

Die Qualität maschinen-geschriebener Beiträge reicht längst dafür aus, Massentexte, Marketing-Schnipsel, Email-Antworten oder Produktbeschreibungen automatisch zu erstellen. Sie reicht aus, um die Welt mit zig-Millionen Texten zu fluten, die findige und auch schlichtere Prompt-Schreiber mit wenigen Eingaben auslösen können. Wie vor zwei Jahrzehnten die Fotografie wird nun die Texterstellung digitalisiert, automatisiert, exponentiell skaliert und dabei völlig entwertet. Die Qualitätkriterien werden in einem Strudel millionenfacher Vervielfältigung aufgelöst und verschwinden. Jetzt wird jeder ein “Autor” sein, der einen halbwegs geraden Prompt formulieren kann. Die Grenzen zwischen Fakt und Fake werden mehr denn je verwischt. Das gilt auch für das Bild: Welches Bild bildet die Wirklichkeit noch ab und welches ist ein Fake?

Und doch schaffen diese KI-Text- und Bild-Generatoren noch nichts genuin Neues. Sie rühren in der großen Ursuppe der von Menschen in der Vergangenheit geschaffenen Texte, Bilder, Lieder und Gedanken und kombinieren diese in der eigenen Maschinenlogik auf Anforderung in Sekunden und Minuten ständig neu. Sie schauen in die Vergangenheit und schaffen nur vermeintlich Zukünftiges: Sie verstopfen die Gegenwart mit der immer neuen Kombination von bereits Geschaffenem. Mit diesem massenweisen Akten nicht-kreativer Inzucht besiegeln sie das endgültige Ende des Autors. Den Autor haben die Philosophen bereits vor einigen Jahrzehnten für tot erklärt – nun ist es tatsächlich um ihn geschehen. Der Autor wird zum Prompt-Formulierer. Schon entstehen erste von KI geschriebene Romane – noch unter der Anleitung von Menschen, die einen Auftrag an die Maschine formulieren. Wann wohl bekommen die Maschinen von sich aus Lust, Romane zu schreiben?

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Darth Vader als Reiseführer an den Cliffs of Moher (AI Art by Ben Baeuchle)

Die Maschinen simulieren heute menschliche Tätigkeiten und deren Ergebnisse. Sie simulieren zum Beispiel die Sprache eines bestimmten Individuums auf der minimalen Grundlage einer wenige Sekunden langen Sprechprobe. Sie produzieren Texte, Audios, Bilder, Songs, von denen wir nicht mehr wissen können, ob ein Mensch sie kreiert hat, oder ob sie “wirklich echt” sind. Wir müssen bereits jetzt in der anhebenden digitalen Unübersichtlichkeit um unsere Orientierung fürchten – und stehen doch erst am Anfang der neuen KI-Welten. Die Räume von Mensch und Maschine verschmelzen. Die Maschinen lernen selber, aus eigenem Antrieb, sie lernen mit rasender Geschwindigkeit – und wir übergeben ihnen weiterhin bereitwillig die Schnittstellen in die menschliche Welt: Schon jetzt können wir am Kunden-Telefon nicht mehr sicher sein, ob wir mit einem Menschen oder einer Menschen-Simulation sprechen. Bald werden wir uns in Videokonferenzen fragen, ob wir mit einem Menschen oder einem Avatar kommunizieren. Dasselbe beim Online-Shopping: Ist das wirklich ein menschlicher Kundenberater, der uns am Bildschirm gerade hochkompetent den neuen Wanderstiefel verkauft hat?

KI-Experten diskutieren, wann der Zeitpunkt erreicht sein wird, wenn wir Menschenwerk gar nicht mehr von Maschinenwerk unterscheiden können. In fünf Jahren, in sieben? Sie prognostizieren, wann die Singularität erreicht sein wird: der Zeitpunkt, wenn die Menschen es geschafft haben werden, die Maschinen intelligenter zu machen als sich selbst. Das wird der Zeitpunkt der letzten menschlichen Erfindung sein, der Zeitpunkt, an dem die künstliche Intelligenz übernimmt. In Fachkreisen wird das Jahr 2045 genannt – das wäre in 22 Jahren.

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Irlands Präsident Michael D Higgins als Hells Angel (AI Art by Ben Baeuchle)

Was bedeutet all das für unser Leben? Die rasanten Entwicklungen der letzten Monate zwingen uns mehr denn je zum Nachdenken, was wir unter Menschsein verstehen und wie wir künftig leben wollen. 1200 KI-Zauberlehrlinge haben vor kurzem nach einem sechsmonatigen KI-Entwicklungsmoratorium gerufen, um während dieser Pause Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Selbst das wird aufgrund der menschlichen Unfähigkeit, sich selber zu beschränken, nicht gelingen. Wir werden die Entwicklung nicht aufhalten. Wir haben allerdings die Wahl, begeistert oder pragmatisch mit zu machen, uns zu widersetzen oder uns zu entziehen. Wir können (noch) entscheiden, wie viel Maschinen-Intelligenz wir in unser Leben lassen wollen und werden, was davon und wie viel wir selber nutzen und aktiv einsetzen. Mir drängt sich seit geraumer Zeit das Bild dieses Entscheidungs-Szenarios auf: Wollen wir Bäume umarmen oder mit Maschinen kopulieren?

Mein Nachdenken hat erste Konsequenzen: Hier auf Irlandnews werden Chatbots und Maschinenintelligenz keine Beschäftigung finden. Hier wird es keine von ChatGTP und Konsorten geschriebenen Texte geben, die auch von einem Menschen stammen könnten (außer zu Zwecken der Aufklärung, der Erklärung und der Entlarvung). Hier wird es keine Simulationen geben. Versprochen. Was Sie in diesem Web-Magazin lesen, ist auch künftig garantiert von mir und meinen KollegInnen recherchiert, erlebt, erdacht und geschrieben. Gleichzeitig werden Beiträge, die nun genauso gut von einem Chatbot wie von einem Menschen fabriziert werden können, allmählich von Irlandnews verschwinden. Wir sind unterwegs auf der Reise in die neue Zeit – und werden von unterwegs berichten.

Irlandnews ist nach amazon-frei und facebook-frei auch chatbot-frei. Wir bleiben natürlich. Authentisch menschlich.

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Der junge irische Musiker Rory Gallagher im Jahr 1979 unterwegs in Cork City auf Irlands erstem E-Bike (AI Art by Ben Baeuchle)

 

PS: Dieser Beitrag ist zu Demonstrationszwecken illustriert mit Phantasie-Bildern, die mein Sohn Ben Baeuchle (24) mithilfe von AI-Bildgeneratoren produziert hat: Rory Gallagher (gestorben 1995) auf E-Bike 1979 oder als älterer Mann mit MacBook 2023, der Präsident Michael D. Higgins als Rocker, Spider Man als Tourist an den Cliffs of Moher, Darth Vader als Reiseführer . . . all diese Traumbilder können heute mit Computertechnik und Technikkompetenz innerhalb von Sekunden in die Welt gesetzt werden. Sie lassen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie- oder Lügenwelt verschwimmen und verschwinden. Mehr noch als unsere Generation werden sich junge Menschen aktiv mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen müssen, um die Welt zu verstehen. Mehr AI-generierte Bilder gibt es hier auf Bens Website zu sehen: KlicK

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