Wie ein Ei dem Anderen

Touristen, Fremde, Freunde, Blow-ins: Die Tourismus-Vermarkter Irlands jubeln. Sie feierten im vergangenen Jahr zweistellige Zuwachsraten und die Prognosen für dieses Jahr stehen auf mehr Wachstum. Mehr Menschen denn je besuchen die grüne Insel am westlichen Rand Europas. Vielen Urlaubern gefällt dieses so besondere Land, sie wollen gerne wieder kommen. Viele kommen wieder, und sie wollen dann keine Touristen sein.

Obwohl wir alle, wenn wir uns in unserer Freizeit als Fremde in einem fremden Land bewegen, genau das sind, Touristen nämlich, wollen wir keine sein. Wir wollen vielmehr dazu gehören, nach W.B. Yeats altem Spruch: Es gibt keine Touristen, sorry . . .  Fremde. . ., nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.

Wer dann tatsächlich oft nach Irland kommt und länger bleibt, kann hinter die Fassaden der weltweit glorifizierten irischen Gastfreundschaft blicken, zum informierten Zaungast mutieren oder sich integrieren – durch Verlieben, durch Arbeit, durch Aufwachsen, durch Anpassung. Manche Fremde werden im Lauf der Jahre noch irischer als die Iren, eine Einschätzung von Iren für Assimmilanten, die einem vergifteten Lob gleich kommt.   

Hier auf dem Land an der irischen Südwestküste werden die Zugezogenen als Blow-ins, als vom Wind Herein-Gewehte bezeichnet, und mancher Blow-in zieht nach Jahrzehnten der beschränkten Zugehörigkeit in seiner neuen Wahlheimat das nüchterne Fazit: einmal Blow-in immer Blow-in. Dabei ist es ziemlich egal, ob er aus dem Nord-County Donegal, aus Birmingham oder aus Frankfurt am Main herein geweht wurde.

Touristen am Poulnabrone Dolmen im Burren

Warum aber bereist der Tourist fremde Länder? Was zieht uns in die Ferne? Mancher verlässt die Heimat, um nach dem Gewohnten zu suchen und sich im Zweifelsfall genau danach zu sehnen, mancher dagegen, um etwas Neues, Anderes, vom Gewohnten zu Unterscheidendes kennen zu lernen. Die kulturellen Unterschiede zwischen Ländern und Nationen  sind deshalb faszinierend, anziehend und trennend zugleich. Während diese Unterschiede einerseits mehr und mehr nivelliert werden, dienen sie andererseits gerade aktuell wieder stark als Mittel der Ab- und Ausgrenzung. Mir san mir, good to be Irish, Wir brauchen eine Leitkultur! Armes Europa. Die offensive Betonung der kulturellen Eigenheit, die das kulturell Andere ausschließt, nennen manche Sozialwissenschaftler Rassismus ohne Rassen. Diskriminierung der milderen Sorte.

Der Tourist bewegt sich in diesem Spannungsfeld und versucht gerne, der hinter der Gastgebermaske argwöhnisch beäugten Andersartigkeit durch Dazugehörenwollen oder Augenschließen zu entkommen. Beim gelingenden Zweiwochen-Urlaub helfen die professionellen Tourismus-Vermarkter, indem sie die erwarteten Images und Klischees pflegen und die mitgebrachten Vorurteile der Gäste wertsteigernd bestätigen. Und professionelle Gastfreundschaft verbraucht sich in zwei Wochen meistens auch nicht komplett. Immigranten und Umzügler spielen in einem anderen Spiel mit.

Gestern im Pub trug mir ein bekannter Geschichtenerzähler in West Cork diesen Dialog zwischen einem Iren und einem Urlaubsgast vor:
Ire: How are you, wie gehts? Machst du Urlaub hier?
Kroate: Ja genau, tolles Land.
Ire: Wie lange bleibst Du hier?
Kroate: Wir hatten zwei Wochen, übermorgen gehts leider schon wieder heim.
Ire: Ah, gut! 

 

Fotos: Markus Bäuchle

(ed060915)