Gerard Dillon

Gerard Dillon: Moon over the Bog (1954)

 

 

Ein Beitrag von Gabriele Gérard, Berlin und Calla, Connemara. 

 

Auf den Spuren von Gerard Dillon. Manchmal beginnt ein Tag in Irland ohne jegliche Erwartung – und endet in einem beglückenden Ereignis. So erging es meinem Mann Hans und mir im September 2017, als wir uns aufmachten, die vor Roundstone, Connemara in Sichtweite liegende Insel Inishlacken zu erkunden.

Die Insel offenbart sich als unbewohnte, steinige, wunderschöne Wildnis und als Arena aus meist verfallenen und einigen wenigen restaurierten Häuschen und anderen Zeugnissen eines früheren Lebens, die von kristallklarem Wasser umgeben sind. Die Stille, die Weite auch die Geschichte, an die man durch die Ruinen auf Schritt und Tritt erinnert wird, nahmen uns völlig gefangen.

 

Inishlacken

 

Als ein junger Mann in Gummistiefeln auftaucht, stört er für einen Moment das Bild der Einsamkeit. Diese Begegnung wird jedoch schicksalhaft in Bezug auf die Entdeckung eines der wichtigsten irischen Maler des 20. Jahrhunderts – Gerard Dillon.  Der Einsiedler lebt heute während der Sommermonate in dem Cottage, in dem der Künstler 1951 ein ganzes Jahr verbrachte, noch immer ohne Elektrizität und fließendem Wasser. Kaum etwas hat sich geändert.

Er nennt den Namen Gerard Dillon . Wir hören ihn zum ersten Mal und er führt uns hin zu einem Maler, der, wir wir heute denken,  zu wenig Aufmerksamkeit in Irland erfährt. Vielleicht ist es die Vielzahl an irischen Künstlern, die Dillon nicht das Gewicht geben, das er sicherlich verdient.

 

Gerard Dillon

Island Man von Gerard Dillon

 

Mich hat die Entdeckung seines umfangreichen Werkes nicht mehr losgelassen. Fast all seine Bilder sind in Privatbesitz und schon zu Lebzeiten verkauft worden. Nachstehend habe ich versucht, das – viel zu kurze Leben – dieses Künstlers zu skizzieren.  Es gibt nicht viel Material und ich war gezwungen, auf das zurückzugreifen, was das Internet mir zugänglich machte.

Gerard Dillon

Selbstporträt

Gerard Dillon (20. April 1916 – 14. Juni 1971, Foto) war ein irischer Maler. Er wurde als jüngstes von acht Kindern als Francis Gerard Dillon in der Lower Clonard Street in Belfast geboren. Seine Eltern waren ein sehr gegensätzliches Paar: Mary, seine gläubige Mutter, hegte Sympathien für die republikanische Sache, oft in direkter Opposition zu Joe, ihrem Ehemann, der in der britischen Armee gedient hatte. Joe arbeitete für die Post und war treuer Royalist.

Der junge Dillon verließ die Schule mit 14 Jahren und arbeitete einige Jahre lang als Maler und Dekorateur, hauptsächlich in London. Als Teenager interessierte er sich bereits für Kino, Kunst und traditionelle Musik. Er konnte Geschichten erzählen, Balladen singen und er sammelte Volkslieder. Dillon erlernte die Fähigkeit, mit einer Nadel umzugehen, die er später in der Anfertigung von Wandteppichen umsetzte.

Inspiriert von den Gemälden von Marc Chagall und Sean Keating, kehrte er schließlich von London nach Irland zurück und besuchte Kurse am Belfast College of Art und begann als Künstler zu arbeiten. 1939 veränderte eine Radreise nach Connemara sein Leben und inspirierte seine weitere Kunst. Die raue Schönheit der Landschaft begeisterte den Stadtjungen, der wusste, dass er etwas Besonderes entdeckt hatte.

 

Irland Malerei

Ausschnitt aus einem Wandteppich des Künstlers

 

Nach Kriegsausbruch kehrte Dillon nicht nach London zurück und ließ sich in Dublin nieder. Der Westen wurde zur Muse, während Dublin und Belfast den Rahmen für seine Ausstellungen bildeten.

 

 

Dillons Homosexualität war für alle offenkundig, die ihn kannten, aber nie fühlte er sich wohl oder ging offen damit um. Der Großneffe des Künstlers, Martin Dillon, erinnert sich, dass er nach seinem Tod einen Tagebucheintrag gefunden hat, der eine Begegnung am Hafen von Dublin beschreibt. „Es stank nach Schuld“. Dillons Sexualleben war verstohlen, weit entfernt von den Salons und Soireen seiner kunstliebenden Freunde. Seine hyperreligiöse Mutter war ein weiterer Grund für extreme Diskretion. Dillons Homosexualität war wahrscheinlich auch die Wurzel seines Bruches mit der katholischen Kirche.

 

The Wall

 

Die männliche Figur ist ein zentrales Motiv in seiner Malerei. In späteren Arbeiten, insbesondere nach dem Tod von dreien seiner Brüder in den 1960er Jahren, ist die Figur eines Pierrots ein immer wiederkehrendes Symbol für Einsamkeit und Trauer.

 

Pierrot

In den nächsten Jahren lebte und arbeitete Dillon als Maler in Dublin und Belfast. Sein Werk erinnert an Chagall, Matisse und an Picasso. Der Kubismus prägte Dillon ebenso wie der Symbolismus. Auch die Ikonographie und insbesondere die Erzählmotive irischer Hochkreuze gingen nicht an ihm vorbei. Seine Arbeit ist stark narrativ und autobiografisch.

1942 wurde seine erste Einzelausstellung von dem Freund und Künstlerkollegen Mainie Jellett im The Country Shop in St. Stephens Green, Dublin, eröffnet. “Vater, vergib ihnen ihre Sünden” zeigte seine Besorgnis über den neuen Krieg, der ausgebrochen war.

Trotz seines wachsenden Ansehens war das Geld knapp und zwang ihn, 1944 nach London zurückkehren, um mit Bombenräum- und Abrissarbeiten seine finanzielle Situation aufzubessern.

Glücklicherweise wurde Gerard nach dem Krieg durch eine Reihe von Ausstellungen und anderen Aktivitäten bekannter und seine Werke begehrter. 1946 und 1950 ermöglichte ihm der Rat für die Förderung von Kunst und Musik (der Vorläufer des Arts Council of Northern Ireland) Einzelausstellungen. Außerdem wurden seine Gemälde in den Associated American Artists Galerien in New York gezeigt. Seine Bilder begannen sich zu verkaufen und er hatte 1950 und 1953 weitere Einzelausstellungen in Dublin in den Victor Waddington Galleries.

 

Stillife

Stilleben (etwa 1950)

Im Jahr 1951 lässt sich Dillon für ein Jahr auf Inishlacken (Roundstone, Connemara)  nieder und besucht regelmäßig die Aran-Inseln. Er gibt sich diesem einfachen Inselleben hin und es verändert seine Kunst: einfache Szenen des täglichen Lebens im Westen Irlands in kräftigen Farben und einem halb-naiven Stil.

Dillon sah die Menschen und die Rituale von Arbeit und Leben in dieser Landschaft. Er war eher nostalgisch als romantisch. Wenn er eine Landschaft malte, wurde sie oft durch ein Fenster gesehen dargestellt. Fenster sind ein Merkmal seiner Arbeit. Er hat nie im Freien gemalt. Stattdessen stellte er Menschen in die Landschaft, als würde man Spieler auf einer Bühne sehen. Sie sind in der Landschaft, weil sie etwas tun. Für ihn war die besondere Atmosphäre und das Licht in dieser Region ein wichtiger Kontrast zum grauen Stadtleben.

Irish Art

Gerard Dillon, Italian With Fowl (1948)

 

Wie viele seiner Zeitgenossen, etwa Jack Butler Yeats, Charles Lamb oder James Humbert, verwendete Dillon die unpolitischen Bilder des Westens, um eine neue Vision des nationalen Bewusstseins zu vermitteln.

 

Dillon Roundstone

Entertaining Country Girls

Diese Sichtweise der nationalen Kunst nutzte einen visuellen Code von unberührten, rauen Landschaften und einfachen, schüchternen Menschen, die sich auf dem Land bewegen, sowie religiöse Prozessionen und Hochzeiten.

 

Inishlackan

Ausschnitt aus Island People (1951)

 

Das Bild „Mascarade“ wurde 1960 als Beitrag für Irland in einer Guggenheim-Ausstellung in New York gezeigt.

 

Mascarade (um 1960)

 

1967 erlitt Gerard Dillon einen Schlaganfall, der ihm, zusätzlich zu dem vorzeitigen Tod seiner drei Brüder, seinen eigenen Tod vor Augen führte. Ab diesem Zeitpunkt wechselte seine Arbeit die Richtung. Der Gedanke an den bevorstehenden Tod transformierte sein Werk fast in eine andere Welt, ein Reich von Träumen und Phantasien.

 

Gerard Dillon

The Little Green Fields (etwa 1945)

 

Im Jahr 1969 zog Dillon seine Kunstwerke aus dem Belfaster Teil der irischen Ausstellung für lebendige Kunst zurück, um gegen die “Arroganz der Unionisten” zu protestieren, wie er es in einem Brief an die Irish Times vom 20. August 1969 formulierte. Michael Longley erwiderte in einem Brief: “Belfast brauchte Kreativität, es brauchte Leute wie Gerard Dillon”.

In seinen letzten Jahren wurde der Künstler eingeladen, an einem Kunstworkshop für Kinder in der National Gallery of Ireland teilzunehmen.

 

Gerard Dillon

Clown with Bird (1960)

Dillons Karriere war kurz und ohne Kompromisse. Früh entschied er, dass er weder dem „Meister“ noch dem kommerziellen Trend dienen würde, und wenn das bedeutete, dass er arm sein würde, war es in Ordnung für ihn.

Das Ergebnis sind aufregende Originalgemälde wie Yellow Bungalow. Als natürlicher Kolorist konnte er die Perspektive mit einer oft surrealen Vorstellungskraft kippen, gefiltert durch einen humorvollen, etwas pseudo-naiven Stil. Es gibt mehrere wundervolle Straßenszenen in Belfast sowie die spätere Clownserie Death in Life.

Der Tod lauerte auf Gerard Dillon, und er zeigte wenig Geduld: Dillon starb am 14. Juni 1971 im Alter von 55 Jahren an einem zweiten Schlaganfall. Scherzend hatte er gesagt:  “Ich wäre lieber auf einem alten, unordentlichen Friedhof in Belfast als auf einem Friedhof in London mit einem Team von Gärtnern.“

Auf seine Bitte hin ist sein Grab auf dem Belfast Milltown Cemetery nicht mit dem Namen versehen.

Dillon Painting

The End Or Not Your Turn Yet (etwa 1950)

 

Gerard Dillon war eine Säule der irischen Moderne. Er war 20 Jahre lang Mitglied der Dublin Painters Group und leitendes Mitglied der Ausstellung für lebendige Kunst. Er unterrichtete außerdem am National College of Art and Design und in der Hugh Lane Municipal Gallery of Modern Art in Dublin. Seine Gemälde sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen vertreten, darunter das Irische Museum für Moderne Kunst, das Ulster Museum Belfast, die National Gallery of Ireland Dublin und The Arts Council of Ireland.

Anlässlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages wurde ihm im Ulster Museum in Belfast eine Retrospektive als einem der bedeutendsten irischen Künstler des 20. Jahrhunderts gewidmet, die unter dem Titel Gerard Dillon – Maler, Träumer, Clown gezeigt wurde.

Die meisten seiner Gemälde befinden sich heute in Privatbesitz. Die größte zugängliche Sammlung befindet sich im Ballynahinch Castle Hotel in Connemara.

 

Gerard Dillon

Selbstporträt

 

Energie, Farbe, das Unerwartete, eine fast verkehrte Vision, seine Fähigkeit, das Kindliche mit dem Anspruchsvollen, dem Element der Geschichte und der Autobiografie in Einklang zu bringen – Dillon taucht oft in seiner eigenen Arbeit auf – sind einige der Gründe für seine Anziehungskraft. Wie viele Schriftsteller war der Maler vorrangig daran interessiert, das Gewöhnliche zu erforschen und das Heldenhafte darin zu sehen.

Auch heute, fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, ist es Zeit, ganz genau hinzuschauen und seine Bilder in sich aufzunehmen.

 

Sie sind ein Raum voller Selbstporträts,

Ein Gesicht, das uns überall folgt;

Ein Ohr am Boden, auf das man lauscht

Tote Brüder in Schichten; ein Auge

Das Schöne aufnehmen

Raubtiere –

Katzen auf der Fensterbank, Greifvögel

Und zwischen den winzigen Feldern,

Eine Libelle, Flügel voller Licht

Wo sich die Straße zum letzten Bauernhof verengt.

Aus Michael Longleys “In Erinnerung an Gerard Dillon”

 

Quellen: Irish Times vom 8.6.2002:  “To Inishlackan in the Footsteps of Gerard Dillon”; Wikipedia, Encyclopedia of visual artists in Ireland; Weitere Quellen: Dictionary of Twentieth Century Irish Artists (2002) by Theo Snoddy; MAGNI Drawings, Paintings and Sculptures: The Catalogue (2000) by E Black; Gerard Dillon: An Illustrated Biography (1993) by J Black.

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