Immer dienstags: Heute sät Ralf Sotscheck Zweifel an der Theorie, dass das Leben der Iren im 16. Jahrhundert ein einziges langes Saufgelage war. Schwer vorstellbar, dass Arbeiter mit acht Litern Starkbier intus den Hammer noch halten konnten . . .
Früher war das Leben in Irland eine endlose feuchtfröhliche Party. Im 16. Jahrhundert tranken Männer, Frauen und Kinder gemeinsam Unmengen Bier, es war neben Brot das wichtigste Nahrungsmittel. Das behauptet Susan Flavin, Dozentin für Geschichte an der Anglia Ruskin University in Cambridge.

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck. Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs
Die Times, vor fast genauso langer Zeit eine ernstzunehmende Tageszeitung, griff die Untersuchung begierig auf, weil sie die englischen Vorurteile über die trunksüchtigen Nachbarn zu bestätigen schien. In einem älteren Artikel, der mir neulich beim Ausmisten wieder in die Hände fiel, erklärt Flavin, dass jedem Arbeiter in einem Steinbruch bei Dublin im Winter täglich 14 Pints Bier zugeteilt wurden. Das sind fast acht Liter. Welcher Steinmetz kann nach einer solchen Menge noch das Stemmeisen halten?
Am Ende des Arbeitstages kamen Frauen und Kinder in den Steinbruch, und es wurde weiter gesoffen. „Die Vorstellung, dass Frauen damals kaum aus dem Haus kamen, trifft auf Dublin nicht zu“, sagt Flavin. Es habe sogar Besäufnisse nur für Frauen gegeben. Das gehe aus den Akten aus dem Jahr 1565 hervor. Dort stehe auch, dass die Angestellten im Dublin Castle, wo die englischen Besatzer residierten, 264.000 Pints im Jahr tranken, also knapp 150.000 Liter oder acht Pints pro Person und Tag.
Irland sei bei Produktion und Konsum von Bier in der Welt führend gewesen, behauptet Flavin. Jedes Pint enthielt angeblich 400 bis 500 Kalorien. Heutzutage sind es höchstens 200. Und es enthielt sieben bis zehn Prozent Alkohol – ähnlich wie ein leichter Wein, falls man solche Hefe verwendete wie heute. Das ist schon der erste Haken in den Berechnungen. Woher weiß Flavin, dass die Menschen die gleiche Hefe benutzt haben? Und das Pint, jene 0,56 Liter, um das sich heutzutage im Pub alles dreht, wurde in Irland erst 1824 eingeführt.
Außerdem untersuchte Flavin offenbar keine Manuskripte in irischer, sondern in englischer Sprache. Die werden im Dublin Castle aufbewahrt. Das englische Herrschaftsgebiet beschränkte sich damals auf die Gegend rund um Dublin, um das man einen Zaun gezogen hatte, um die rebellischen irischen Barbaren fernzuhalten.
Trotz der offenbar schlampigen Untersuchung hat der European Research Council Flavin 1,5 Millionen Euro bewilligt, um herauszufinden, was die Iren damals zum Bier aßen. Die Reichen hatten Zucker, Truthähne, Ananas und Artischocken, glaubt Flavin. Aber womit hat sich das einfache Volk ernährt? Flavins Team wird dazu ein paar Knochen auf alten Friedhöfen ausbuddeln und sie forensisch untersuchen. Außerdem will sie Bier nach den Rezepten des 16. Jahrhunderts brauen. Endlich ein lohnenswerter Ansatz! Ich habe mich um einen Job als Testtrinker beworben.
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Titel-Stich: Bierbrauer, von Jost Amman aus dem Jahr 1568. Quelle: commons.wikimedia.org
14 pints Bier wären eine enorme Menge Flüssigkeit sowie Alkohol. Sie ergäben je nach Trainingzustand grob geschätzt einen Promillewert von 5 bis 6.
Also Totalausfall, Koma, Lähmungen, unkontrollierte Ausscheidungen. Ein Wert von über 4 Promille gilt bereits als tendenziell tödlich.
Solch große Mengen Bier pro Mann scheinen also in der Tat unrealistisch gewesen zu sein.
Es sei denn es wäre ein sehr dünn gebrautes Erfrischungs-Gesöff gewesen, sozusagen ein Guiness Ultra Light….
Verglichen mit den von Susan Flavin geschilderten Verhältnissen waren die Saufgelage in deutschen Klöstern relativ bescheiden. So lag Ende des 16. Jahrhunderts der Jahresverbrauch an Bier pro Mönch im bayrischen Kloster Prüfening bei nur 1000 Litern.
Interessant ist – falls es sich wirklich so zugetragen haben sollte- dass der irische Arbeiter sein Bier nicht im Steinbruch alleine zischte, sondern mit seiner (wahrscheinlich großen) Familie teilte. Des Pudels Kern liegt wohl darin, dass Bier damals als ‚flüssiges Brot‘ ein wichtiger Kohlenhydrat-Lieferant war. Nach dem Motto: Familie besoffen, aber satt. Traurig genug, dass der arme Kerl seine Familie nicht besser ernähren konnte.
Dass Iren gerne einen über den Durst trinken kann ich nur bestätigen. Die Deutschen aber auch. Sie vertuschen es nur besser.
Die 1,5 Millionen wären woanders besser ausgegeben, nämlich als Spende für die Arbeit des AA Ireland. Nicht der Automobilclub, sondern die anonymen Alkoholiker…..
Na, 1,5 Millionen Euro wären in aktuellen Zeiten sicherlich besser investiert in die Förderung lokaler Lebensmittel-Produktion, gesünderer Felder, Aufklärung in Sachen „gutes Essen unterstützt das Immunsystem“, Kindern zu erklären, warum der Fraß der globalen Corporates keine Nahrung ist etc… anstatt anhand von verrotteten Knochen zu spekulieren, was in uralten Zeiten zum Bier gegessen wurde. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln und mich fragen, welch weiterer Unsinn mit unseren Steuergeldern „untersucht“ wird. Vielleicht „schnitzten die Iren doch Kürbisse zu Samhain“ oder „wurden jemals Schafe gemolken und rechte Mengen Schafkäse in Irland hergestellt“ (Letzteres interessiert mich sogar, denn warum so viel Kuhmilchkäse importieren, wenn überall so viele Schafe herum laufen und noch nicht mal mehr die Wolle verwertet wird).
Es heißt, die Engländer lenkten mit dem verurteilenden Blick auf die Iren von ihrem eigenen grassierenden Problem mit der Trunksucht ab. Dr. Susan Flavin allerdings ist eine Irin aus Tipperary . . .