Immer dienstags. Heute verrät uns Ralf Sotscheck, wie er seinem Urinstinkt treu bleibt und alle Fitnessappelle nach der Weihnachtsvöllerei konsequent ignoriert.
Die Tage der Weihnachtsvöllerei sind vorbei. Es geht mir wie Max und Moritz, nachdem sie der Witwe Bolte die gebratenen Hühner geklaut, sie verspeist haben und danach vollgefressen im Gras liegen: „Und vom ganzen Hühnerschmaus guckt nur noch ein Bein heraus.“ Bei mir ist es allerdings der Truthahn. Jetzt wäre vielleicht etwas Bewegung angeraten.

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck. Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs
Voriges Weihnachten habe ich ein Fitnessarmband geschenkt bekommen. Es erfasst jeden Schritt, den man tut, und meldet ihn dem Handy. Allerdings nicht meinem Handy, sondern dem der Tochter, die mir das Armband geschenkt hatte. Ich wunderte mich zunächst, woher sie wusste, dass ich nach dem Essen nicht wie behauptet zwei Kilometer, sondern 200 Meter gelaufen war.
So band ich das Armband dem Nachbarshund ans Bein, was er widerstandslos geschehen ließ. Es nützte aber nichts, am nächsten Tag übermittelte die Fußfessel lediglich 20 gelaufene Meter ans Tochterhandy. Ob der Hund überraschend verstorben war, fragte ich den Nachbarn. Nein, meinte er, das Tier leide an Arthritis und laufe nur noch von der Couch zum Futternapf und zurück. Ein Bruder im Geiste, dachte ich und versenkte das Armband im Meer.
Vorigen Monat riet mir der Arzt in Anbetracht meines Übergewichts zu mehr sportlicher Betätigung, vermutlich hatte die Tochter ihn aufgehetzt. Bei den Herbststürmen an der irischen Westküste jagt man aber keinen Hund vor die Tür, was mir der Nachbarshund bestätigte. Deshalb kaufte ich ein sündhaft teures Laufband, bei dem man nicht nur Geschwindigkeit und Steigungen einstellen, sondern auch den Untergrund wählen kann: Das Gerät kann Tartanbahn oder Gras simulieren.
Ich bin bisher allerdings nicht über einen gemächlichen Spaziergang auf einer glatten Wiese hinausgekommen. Es ist verdammt schwer, sich zu motivieren. Das liege an meinem Instinkt, verriet mir ein nützlicheres Geschenk als das Fitnessarmband: das Buch „Exercised – The Science of Physical Activity, Rest and Health“. Das Wort „Rest“ – also „Ruhepause“ – war mir gleich sympathisch.
Der Autor Daniel E. Lieberman ist Paläoanthropologe in Harvard, er erforscht die Stammesgeschichte des Menschen. Wenn man in einem Kaufhaus vor der Wahl stehe, die Treppe oder die Rolltreppe zu benutzen, nehme man instinktiv die Rolltreppe, sagt Lieberman. Dieses Verhalten sei vollkommen natürlich, denn es ging vor langer Zeit darum, nicht unnötig Kalorien zu verbrennen. Man rannte nur, um eine Mahlzeit zu erlegen oder zu verhindern, selbst zur Mahlzeit zu werden.
Man muss das Buch jedoch selektiv lesen, denn Lieberman ist leidenschaftlicher Marathonläufer, und weil er barfuß rennt, trägt er den Spitznamen „barfüßiger Professor“. Er will die Menschen eigentlich davon überzeugen, ihren Urinstinkt zu überwinden. Mein Urinstinkt ist aber unüberwindbar. Ich musste den Truthahn schließlich nicht jagen, und mich will auch niemand verspeisen.
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Titelbild: Laufband by Peloton. Not my cup of tea.
Lieber Ralf Sotschek.
Rheinische Kannibalen? Ja, einen Tag hab ich gebraucht um alle ausfindig zu machen! Das sind bestimmt die Paketzusteller, die mit ihrem Riesenauto mein kleines geparktes Autochen, 21 Jahre alt und gerade “ nomma üban TÜV“ rammen und beschädigen, dieses angeblich nur der Polizei und nicht der Versicherung melden Dann die Versicherung als nächster Kannibale, die sich nicht zurückmeldet, weder per Mail noch telefonisch. Und als dritten Kannibalen mein eigener Anwalt, der meine Sprache nicht versteht (oder verstehen will oder nicht zuhört) ….Ja, im Rheinland sind die Kannibalen in der Karnevalszeit gut verkleidet!
Nomma viele Grüsse und einen guten Rutsch ! Bis hoffentlich Dienstag mit einem neuen herzerfrischenden Beitrag von Ihnen
Lach – schmunzel – lach, danke lieber Ralf, mich (und andere) so wunderbar ertappt zu haben! Wie ich Elke schon antwortete, 1000 Schritte sind auch ganz nett. Und da ich bei zwei Hunden nicht wüsste, welchem von beiden ich so ein Ding umhängen sollte (das hektische Border-Collie-Mädchen würde das Gerät ohnehin zum Platzen bringen, beim alten Hund würde das Ding auch einrosten wie bei mir) verzichte ich gerne drauf! Happy New Year und ich freue mich auf viele Lacher im dieser lach-armen Zeit.
Ja, Eliane, 1000 Schritte sind mehr als genug. Wir lassen uns doch nicht von einem japanischen Schrittzähler zu Dauerläufern machen. Wenn schon japanisch, dann Sushi und Sake – gibt’s bei uns Silvester. Guten Rutsch!
Lieber Ralf,
da sind wir Genossen im Geiste, auch ich musste unseren Festtagsbraten nicht erlegen sondern nur zubereiten.
Und auch ich schaffe es nur selten, dass mein innerer Schweinehund mal wieder eine ausgiebige Runde Gassi mit mir geht.
Die weitverbreitete Empfehlung dass 10.000 Schritte täglich gesund sein sollen, haben wir übrigens laut des von Dir bereits erwähnten Daniel Lieberman nur einem Werbegag zu verdanken.
Der japanische Hersteller des ersten Schrittzählers im Jahr 1964 taufte diesen nur wegen des auf japanisch wohlklingenden Namens ‚Manpo-kei‘, was soviel heißt wie ‚Zähler der 10.000 Schritte‘.
Die angeblich gesundheitlich positive Wirkung von 10.000 Schritten täglich hat diese Firma nie wissenschaftlich belegt.
Wäre der Schrittzähler damals auf einen anderen Namen getauft worden hätte dieser auch rein theoretisch ‚ Uchi buta inu no seifuku-sha‘ lauten können. Was das ins Deutsche übersetzt heißt?
In etwa: Überwinder des inneren Schweinehundes!
Guten Rutsch!
Elke
Das wäre auch ein Gadget für mich! „Überwinder des inneren Schweinehundes“ – einfach wunderbar! Und danke für die Aufklärung über die 10.000 Schritte, für mich sind 1000 auch ganz nett! Hauptsache, ich sehe das Meer, immer wieder und möglichst oft: 10 Schritte zum Fenster, 100 Schritte an den Gartenzaun und notfalls auch mal direkt zum Wasser latschen, das sind dann nicht viel mehr als 1000 Schritte. Das Auge isst mit – oder so ähnlich.
Liebe Elke, siehe die Antwort an Eliane! Gruß, Ralf
Oh du mein Bruder im Geiste! Wie sympathisch !!! Allerdings mache ich fast alles per Fahrrad und finde, das ist wirklich genug!
Nicht mal ein schlechtes Gewissen habe ich dabei…und Begründungen immer parat ! Mein Sohn hatte eine ähnlich Idee wie Ihre Tochter, das konnte ich aber abschmettern. Mein Urinstinkt ist ebenso unüberwindlich wie Ihrer…und jagen brauchte ich im Rheinland auch nicht und mich aufessen wollte auch niemand… Viele herzliche Grüsse und bleiben Sie gesund in diesen seltsamen Zeiten !!! Ich möchte noch oft Ihre wunderbaren Beiträge lesen und mich darüber freuen. Birgit Michael
Liebe Birgit Michael,
Vielen Dank für das Lob und die guten Wünsche. Fahrrad ist okay, aber nicht zwingend. Auch dafür gibt es Ausreden: zu gefährlich…
Viele Grüße, einen guten Rutsch, und lassen Sie sich auch im neuen Jahr nicht von den rheinländischen Kannibalen fangen!
Ralf Sotscheck