Immer dienstags. Heute erklärt uns Ralf Sotscheck die irische Methode gegen ständig steigende Strompreise. Sie ist zur Nachahmung allerdings nicht empfohlen.
Wir kriegen einen neuen Stromzähler. Das ist keine weltbewegende Nachricht, aber der neue Zähler soll sehr vielseitig sein: Er übermittelt den Zählerstand automatisch an die Elektrizitätsfirma, und mithilfe einer App kann man seinen Stromverbrauch überwachen. Man kann mit dieser App sogar auf den billigeren Nachttarif umschalten.

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck. Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs
Das hatte ich bereits vor vielen Jahren getan, auch ohne App. Damals hatten wir ebenfalls einen neuen Zähler bekommen, der um 23 Uhr automatisch auf den Nachttarif umschaltete. Der Installateur hatte die Plombe um die Schraube gewickelt, sodass man den Zähler aufschrauben konnte, ohne die Plombe zu beschädigen. So verstellte ich die Zeit um zwölf Stunden. Wahrscheinlich hielt man uns bei der Stromgesellschaft für Maulwürfe, denn der Zähler zeigte Nachtaktivität an, während wir tagsüber kaum noch Strom verbrauchten. Die Sache ist längst verjährt.
Irgendwann zogen wir um, stellten den Zähler aber vorher wieder auf die korrekte Tageszeit, denn die Sache hätte für uns teuer werden können. Neulich wurde zum Beispiel ein Mann aus der Grafschaft Donegal im Nordwesten Irlands verurteilt, weil er den Stromzähler mithilfe eines Magneten manipuliert und dadurch fast 3.500 Euro in den vergangenen drei Jahren eingespart hatte. Sein Anwalt behauptete, es sei eine Albernheit gewesen. Der Richter verurteilte den Angeklagten neben der Begleichung der Rechnung für den geklauten Strom zur Zahlung von 250 Euro an ein gemeinnütziges Jugendprojekt.
Mein Freund Joe aus Belfast wäre ebenfalls fast geschnappt worden. Auch er hatte den Zählerstand mittels eines Magneten zurückgedreht, hatte aber nicht damit gerechnet, dass am nächsten Tag jemand zum Ablesen kommen würde. Bei der Stromgesellschaft wunderte man sich, dass der Zählerstand erheblich niedriger war als zwei Monate zuvor. Ein Ablesefehler, behauptete Joe, als man ihn deswegen anrief. Man werde das zeitnah nachprüfen und erneut jemanden zum Ablesen schicken, beschied man ihm.
Joe verfiel in Panik, denn mit dem Magneten konnte man den Zähler zwar zurückstellen, aber die Sache nicht umkehren. Joe ist Beamter und fürchtete um seinen Job, falls seine Zählermanipulation aufflöge. So rief er sämtliche Freunde an und bat sie, ihm elektrische Heizlüfter zu leihen. Die Freunde wunderten sich, schließlich war es ein Jahrhundertsommer, draußen herrschten Temperaturen um 30 Grad. Ob er vielleicht krank sei und Fieber habe?
Joe zog mit seiner Familie vorübergehend zur Schwiegermutter, denn im Haus war die Temperatur inzwischen auf 40 Grad gestiegen. Bevor der Angestellte des Elektrizitätswerks eine Woche später kam, schaltete Joe die Heizlüfter rechtzeitig ab und versteckte sie im Schuppen. Der Kraftwerker notierte den neuen, durch die Heizlüfter fett in die Höhe getriebenen Zählerstand. Dann räumte er kleinlaut seinen Fehler ein und riet Joe, wegen des Miefs hin und wieder zu lüften.
Alle Kolumnen von Ralf Sotscheck können Sie hier lesen: KLICK
Titelbild: ESB Meter“Classic“; Markus Bäuchle
Danke für ein herzhaftes Lachen auch hier in Berlin. Und danke auch für eine Erinnerung, die längst verschüttet war. Ich lebte in einer der ersten Wohngemeinschaften, einer Fabriketage und wurde – nach Überprüfung auf Loyalität und Verschwiegenheit – in das Geheimnis des Elektrozählers eingeweiht. Er war schon von der WG vor uns von unten angebohrt worden und der dünne Draht, der die Zählerscheibe aufhielt, musste stets entfernt werden, bevor wir die Wohnung verließen. Ich empfand es als ausgesprochenen Stress, denn es hieß, alle Zimmer auf Abwesenheit der Bewohner zu kontrollieren, bevor man selbst ging… und wehe, jemand vergaß…. Die Hauptmieterin übrigens war Rechtsanwältin!
So gerissen wie Joe aber… das können nur Iren!
Schöne Grüße
Gabriele
Die Geschichte mit Joe ist urkomisch. Ich musste beim Lesen nach einem langen und ärgerlichen Arbeitstag so lachen, dass meine Frau mich fragte, was los sei. Herzlichen Dank für die unerwartete Freude!
P.S. Im Sommer werden wir zum ersten Mal hoffentlich nach Donegal reisen. Vielleicht denke ich daran und schau mir dort mal den Stromzähler an.
Danke für das Lob. Aber in Donegal gibt es noch keinen Strom. Vielleicht 2024…
Das lernte ich auch, als der sehr antik wirkende Zähler unseres Ferien-Cottages ausgetauscht wurde: Der sehr gestrenge, fast unfreundlich-arrogante Mensch, der das neue computerisierte Teil einbaute, brummelte irgendwas von „sehr manipuliert“, wirkte jedoch nicht wirklich überrascht oder gar womöglich entsetzt. Mir kam es so vor, als wäre das sein Alltag. Ein Bekannter, der die Fortschritte der umfangreichen Haus-Baustelle besichtigte, fand es auch irgendwie völlig normal, dass der alte Sicherungskasten zugunsten des alten Eigentümers manipuliert worden war, er schilderte mir sogar sehr genau, wie man das mit Hilfe eines Magneten mache. Scheint also Allgemeinwissen zu sein.
In einem Land, wo man vor 20 Jahren noch seine Mülltüten an den Straßenrand stellen konnte, und sie wurden dann vielleicht irgendwann eingesammelt oder auch nicht, wo auch heute noch so gut wie keine Mülltonnen am Abholtag gesichtet werden (die Nachbarschaft produziert wohl kaum Abfall ;-) da liegt es nahe, wenig für den Strom zahlen zu wollen. Denn die empörten Proteste gegen eine Gebühr für das tägliche Wasser führten auch zu weiterhin billigen oder kostenfreien Wassers.
Aber nun sind wir im Zeitalter der computerisierten Kästchen, es lohnt sich nicht mehr, das Allgemeinwissen über stromsparende Magnete zu erlernen. Derzeit reicht mir der Umzug von altem aufs neue Handy, das ist mühsam und stellenweise wirklich ärgerlich. Elektrische Digitalkästchen zu manipulieren ist vermutlich noch viel komplizierter. Und teurer.