Immer dienstags. Heute schlägt Ralf Sotscheck einen Bogen von der traditionellen irischen Kultur zur Mafia. Werden die Iren etwa zu Recht die Italiener des Nordens genannt? 

Wer hätte gedacht, dass der irische Volkstanz von der Mafia beherrscht wird? Bisher war man davon ausgegangen, dass die Tanzshows lediglich Verbrechen am guten Geschmack seien, doch vorige Woche ist herausgekommen, dass bei den Tanzwettbewerben betrogen und bestochen wurde. Mindestens zwölf Tanzlehrer sollen mit Jurymitgliedern gekungelt haben, in einem Fall wurden offenbar „sexuelle Gefälligkeiten“ verteilt, um auf eine höhere Punktzahl zu kommen.

Ralf Sotscheck

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck.  Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs

Der Verband für irischen Tanz, An Coimisiún Le Rincí Gaelacha (CLRG), der 1930 gegründet wurde und auf fünf Kontinenten vertreten ist, hat eine Untersuchung eingeleitet. Einige Eltern sprachen anonym von Omertà, der Schweigepflicht, und ein ehemaliger Startänzer verglich die irische Tanzszene mit der amerikanischen Mafiaserie „Sopranos“.

Früher waren die Tanzwettbewerbe eine bescheidene Angelegenheit in Gemeindehallen mit Tee und Keksen. Dann kam „Riverdance“. 1994 musste Irland das Eurovisions-Kampfsingen austragen, weil man es im Vorjahr gewonnen hatte. In der Pause ließ man Tänzerinnen und Tänzer herumhüpfen. Der Spuk war nach sieben Minuten vorbei, aber er hatte so viel Eindruck gemacht, dass man ihn auf abend- und kassenfüllende Länge ausdehnte.

Der Vortänzer Michael Flatley aus Chicago, der sich als Ire ausgab, wurde reich, zerstritt sich mit seiner Tanzpartnerin Jean Butler und gründete seine eigene Show. 2015 setzte er sich zur Ruhe, weil er sich im Laufe der Karriere eine beschädigte Wirbelsäule, ein kaputtes Knie, zwei Achillessehnenrisse sowie diverse Knochenbrüche eingehandelt hatte. 2017 zog er sich die Tanzschuhe für die Inaugurationsfeier von Donald Trump aber noch mal an.

Seitdem hat er offenbar Langeweile und kam auf die törichte Idee, sein Geld in einen Film zu investieren. Da niemand in der Filmbranche etwas mit dem eitlen Projekt zu tun haben wollte, nahm der Flusstänzer die Sache selbst in die Hand: Er schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte den Film und übernahm die Hauptrolle des Victor Blackley, eines Geheimagenten mit Codenamen Blackbird, der die Welt als James-Bond-Verschnitt tänzelnd rettet.

Der Film wurde bereits im Jahr 2018 kurz in London gezeigt, wobei die Medien wohlweislich keinen Zutritt hatten. Augenzeugen berichteten, dass die Zuschauer traumatisiert aus dem Kino geflohen seien. Im Frühjahr 2022 tauchte dann ein Trailer im Internet auf, der verstörend war, weil er bestätigte, dass der Film tatsächlich existiert.

Flatley mache in dem grässlichen Film ein Gesicht wie ein Mittelmeer-Tourist, der sich von anderen Schwimmern abgesondert habe, um heimlich ins Meer zu pinkeln, schrieb Peter Bradshaw im Guardian. Seit vorvergangenem Sonntag läuft „Blackbird“ – auf Druck der Mafia? – in den Kinos. Der scheinbar harmlose irische Volkstanz ist offenbar fest in den Händen der Sopranos und Michael Flatleys.


Alle Kolumnen von Ralf Sotscheck können Sie hier lesen: KLICK


Foto: Filmplakat (Ausschnitt) Blackbird von Michael Flatley; Image: Twitter.com/MichaelFlatley