Immer dienstags. Heute schaut Ralf Sotscheck den irischen Polizisten auf den Hüftgurt und in die Seele.

Sie leben gefährlich, irische Polizisten. Neulich erst wurde ein Beamter hinterrücks angegrinst, als er in einem Hotel frühstückte. Er kam nur deshalb unbeschadet davon, weil er reaktionsschnell die Flucht ergriff. Die Täterin, eine 16-jährige Praktikantin, konnte von der Polizei gestellt werden. Sehr zum Ärger des Opfers wurde sie jedoch freigesprochen, der Antrag des Beamten auf Schadensersatz wurde abgewiesen.

Ralf Sotscheck

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck.  Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs

Der Polizist hatte mit seiner Familie einen „dringend benötigten Kurzurlaub“ gebucht und war wegen der ausgefallenen Heizung bereits schlecht gelaunt, als er mit Frau und Kindern zum Frühstück ging. Als die Kellnerinanwärterin die Familie bat, den Tisch zu räumen, weil die Frühstückszeit vorbei sei, platzte dem Ordnungshüter der Kragen.

Er fragte die junge Frau, ob sie ihn und seine Familie verjage, weil sie ausländisch aussähen. Daraufhin grinste die Praktikantin und ging weg. Er habe sich „erniedrigt und schockiert“ gefühlt, sagte der Beamte, zumal einige irische Spätesser freundlich von der Verjägerin begrüßt wurden. Das Gericht entschied jedoch, dass Grinsen keine Diskriminierung sei.

Irlands Unterwelt hat vermutlich interessiert zur Kenntnis genommen, dass man Polizisten durch Grinsen in einen Schockzustand versetzen kann. Und die Beamten sind wehrlos, denn Irlands Polizei ist unbewaffnet.

Das war nicht immer so. Als Patrick Joseph Kerrigan vor ziemlich genau 100 Jahren als erster Polizist nach der irischen Unabhängigkeit den Dienst bei der neuen Garda Síochána, den „Wächtern des Friedens“, antrat, trug er seine alte Waffe. Während der britischen Besatzungszeit hatte er der Royal Irish Constabulary (RIC) angehört, einer berüchtigten Einheit, die während des Unabhängigkeitskriegs brutal gegen die Rebellen vorgegangen war.

Deshalb wurden die ehemaligen RIC-Angehörigen nun von den jüngeren Rekruten misstrauisch beäugt. Das kulminierte im Mai 1922 in eine offene Meuterei. Die Regierung beschloss daraufhin vorsichtshalber, die Polizei zu entwaffnen. Da war Kerrigan aber nicht mehr dabei. Er war nicht nur der erste Polizist gewesen, sondern auch der erste, der hinausgeworfen wurde. Er hatte einen Gefangenen geschlagen, der ihn geärgert hatte.

Kerrigan trat nach seinem Hinauswurf in die Armee und 1924 in die Dublin Metropolitan Police ein, wo er im Polizeiorchester Klarinette spielte. 1926 wurde diese Einheit in die Garda Síochána integriert. So war Kerrigan plötzlich wieder da, wo man ihn vier Jahre zuvor hinausgeworfen hatte.

Doch dann wurde er krank, sein Gehalt wurde gekürzt, und er musste Schulden machen, um seine Familie durchzubringen. Als ihm die Geldprobleme über den Kopf wuchsen, flüchtete er in die USA. Er fälschte seinen Namen, machte sich sechs Jahre jünger und wurde zum Bigamisten. Vor einigen Wochen hat man eine Ehrentafel für ihn am Polizeirevier seines irischen Heimatortes enthüllt.


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Foto: mab