024 :: Wanderbar. Der Cummengeera Horseshoe

Ich gehe zu Fuß an Orte, die mit dem Auto niemand erreicht. Einige dieser Landstriche stelle ich hier im Buch der Tage und Orte mit wenigen Worten vor – unter dem Stichwort „Wunderbare Wanderorte”. Wanderbar.

Welches meine Lieblingswanderung sei, wurde ich oft gefragt. Die Antwort variierte gemäß der Jahreszeiten und veränderte sich im Lauf der Jahre. Immer unter den drei Favoriten hielt sich die schwerste: der Gang über die acht Gipfel des Cummeengeera Horseshoe hoch über den Seen von Glanmore und Glenbeg. Das Gebirge legt sich wie ein Hufeisen um die Gletschermulde des Rábach Glen. Wenn das Wetter mitspielt und der Nebel sich fern hält, ist alles ganz einfach – und doch so schwer.

Von der Shronebirrane Farm, die wenige Meter über dem Meeresspiegel liegt, steige ich steil auf über den Knocknaveacal Grat (513m) zum ersten Gipfel, den Tooth (599m). Durchatmen. Die Alltagswelt da unten ist jetzt weit weg, klein und entrückt. Es geht hinunter und dann wieder hoch zum Coomagloghane (599m), dann steil hinab und wieder hoch: Mathidu (584); weiter zu den spektakulären Gipfelklippen von Eskatarriff West (536m) und East (600m). Das vielfache Auf und Ab zermürbt langsam und allmählich.

Der Gang über diese Berge ist eine lange Meditation. Die Schritte diktieren den Atemrhythmus. Für Gedanken bleibt wenig Raum. Alles ist einfach. Ich setzte mich an den Rand der Klippe und schaue ins Tal. Die Gedanken kehren zurück. Der Fels fällt fast senkrecht 500 Meter ab.

Dort drüben unter dem östlichen Grat, in der Pocket, lebte bis vor einem Jahr der einsamste Mensch, den ich kenne. Florrie the Dansel, ein O’Sullivan, wohnte versteckt am hintersten Ende des Glanmore-Tales in einem alten Farmhaus. Er lebte alleine, seit sein Vater starb, in einfachsten Verhältnissen. Einsam wirkte er wohl nur. Denn wir wären einsam an jenem Ort, an dem er behütet und zufrieden war, im Einklang mit sich selbst. Im Altenheim bei Limerick wird er wohl oft an seine Heimat im Glanmore denken.

Dort drüben im Westen, in der Bucht von Killmakiloge, lebte zeitweise der Lord aus England, ein Mann, der die kleinen Mädchen und diese Berge liebte.

Direkt unter mir, am Fuß des Berges, die Ruinen einer Farm. Hier ermordete vor 200 Jahren Cornelius Rábach O’Sullivan einen Fremden, der mit einer Tasche voll Geld über die Berge ins Tal gekommen war. Rabach versteckte sich nach dem weiteren Mord an einer Zeugin lange in einer Höhle im Felsmassiv vor der Polizei. Er endete im Jahr 1831 in Tralee am Galgen. Der Kriminalfall fasziniert die Menschen dieses ereignisarmen Landstrichs bis heute.

Dort hinter mir, im schmalen abgelegenen Tal von Glenbeg, lebt eine Bauernfamilie, Schaffarmer. Ihre Weiden sind die gepflegtesten weit und breit. Im Winter macht sich die Sonne rar im tief eingeschnittenen Glen, sie schafft es nur minutenweise über den Rand der Berge. Seit den frühen 70-er Jahren haben sie Strom im Glenbeg, seit einigen Jahren Internet.

Weiter gehts. Vom Bireca (531m) schaue ich hinauf zum schwersten Brocken dieser Tour: Der Lackabane (602m) muss bestiegen werden, bevor es über den Curraghreague (602m) an den Abstieg über einen steilen Gipfelgrat und den Torrenbaha (366m) zurück ins Tal geht.

Ein schreibender Wanderer hat den Cummeengeera Horseshoe in der Irish Times einmal als die Krönung der irischen Bergtouren beschrieben: Schwerer als der Rest. Schwerer auch, als der Aufstieg zu Irlands höchstem Berg, dem alpinen Carrauntoohil (1039m). Nach 16 Kilometern auf und ab und weit über 1000 Höhenmetern gebe ich ihm immer recht. Ich bin froh zu sitzen und denke an C.G. Jungs Worte: Der Mensch braucht Schwierigkeiten. Sie sind nötig für seine Gesundheit.

Ortskoordinaten: 51°44’14.8″N 9°48’14.4″W (Shronebirrane Farmhouse, Co. Kerry, Start und Ziel) 


Orts-Zeit

 

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Alle Fotos: Markus Bäuchle (sofern nicht anders angegeben)