Eine Zeitreise in der wundersamen Hi-B Bar

029 :: Cork, Hi-B; eine Bar aus einer anderen Zeit

Ich ziehe seit zwei Jahrzehnten tags wie nachts mehr oder weniger kundig durch die Innenstadt von Cork. Zum Jahresende schleppte mich ein Freund zu später Stunde von der Oliver Plunkett Street eine schmale Treppe hinauf ins Obergeschoss ­­­­­­­- in eine mir unbekannte Welt. Er schob mich durch eine schlichte rote Tür mit der Aufschrift The Hi-B Bar in ein Zimmer mit Bartresen. Um kleine Tischchen und an der Bar saßen in einem Ambiente aus den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts etwa 35 Menschen, die sich bei gedämpftem Lärmpegel angeregt unterhielten.

Diesen murmelnden Klangteppich intensiver Gespräche hatte ich lange vermisst. Die Gäste schauten auf, als wir eintraten. Sie strahlten Gegenwärtigkeit aus. Ja, sie schauten uns kurz ins Gesicht, bevor sie sich wieder ins Gespräch vertieften. Hinter dieser roten Tür schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Erst jetzt entdeckte ich an der Flaschenwand hinter der Bar ein Schild: “Mobil-Telephone sind in der Hi-B Bar nicht erlaubt. Bitte sprecht miteinander.” Tatsächlich: Hier starrte niemand auf sein Smartphone, hier hatte niemand ein Handy in der Hand. Die Gäste waren völlig anwesend in diesem kleinen Raum über der Oliver Plunkett Street 108.

Mein Freund sah den erstaunten Blick und klärte mich auf: Das Hi-B, eine Abkürzung für Hibernian, ist eine Institution im exzentrischen Teil von Cork. Es wurde geschaffen und betrieben von Brian O’Donnell, einem legendären Wirt mit einem Ruf wie Donnerhall, der weit über die Leeside hinaus reichte. Der Publican arbeitete seit den 40-Jahren im elterlichen Hotel, in den späten 50-er Jahren übernahm er die Hibernian Bar. Er führte sie nach strengen Regeln,­­­ seinen ganz eigenen, die meisten davon ungeschrieben und je nach Tagesform und Laune exekutiert. Die Bar war O’Donnells Wohnzimmer. Über alles liebte der Mann, der einmal Medizin studiert hatte, dann aber nach dem frühen Tod des Vaters das Familiengeschäft übernahm, das gepflegte Gespräch mit seinen Gästen.

Berüchtigt war O’Donnells Ausruf: “Not tonight”. Wenn es ihm gegen den Strich ging, dass Gäste Mineralwasser bestellten, konnte er die Order einfach verweigern und sie zum Wassertrinken zum nächsten McDonalds schicken. Wenn Gäste ihren Drink statt mit “May I please” mit “Could I” orderten, konnte es sein, dass sie statt des Drinks ein schroffes “You may not” erhielten. Einem Mann aus Skandinavien nahm O’Donnell krumm, dass der eigenmächtig Kohle im offenen Kamin nachgelegt hatte. Er genehmigte sich als Revanche einen Schluck vom Pint des überraschten Gastes.

Wer im exzentrischen Cork etwas auf sich hielt, konnte mindestens ein Lokalverbot im Hi-B vorweisen. Das gab es an manchen Abenden schon für zu lautes Reden. Brian O’Donnells ungeteilter Hass aber galt dem Mobiltelefon und dem Smartphone. Als die Dinger sich auch in Irland pandemisch verbreiteten, sprach er ein generelles Telefonverbot für das Hi-B aus. Wer sein Gerät im Schankraum offen zeigte, musste mit einem zumindest zeitweiligen Platzverweis rechnen.

Dabei war der launische Kauz mit den eigenen Regeln ein warmherziger Mensch, der für seine Freunde alles tat. Das Lokalverbot hob er meist nach kurzer Zeit wieder auf. Er galt als intelligent, umfassend gebildet und als Freund der Musen. Mit seinem geliebten Plattenspieler beschallte O’Donnell das Zimmer-Pub auf der Etage vorwiegend mit Jazz, klassischer und Opern-Musik. Auf seiner Visitenkarte trug er die Berufsbezeichnung “Stadtbekannter Wagner-Liebhaber”. Brian O’Donnell ­- Bruder von Bill, dem nicht minder exzentrischen Wirt der Anchor Bar in Bantry­ ­- starb im Dezember 2019 in seinen Achzigern. Frau und Tochter hatten das Hi-B schon ein paar Jahre früher übernommen, ­ und sie öffneten es nach der pandemie-bedingten Pause im Jahr 2022 wieder.

Zur Neueröffnung im März 2022 verkündeten Witwe Nancy und Tochter Rachel einige Neuerungen: Nach 30 Jahren waren Wände und Decke der Bar frisch gestrichen, der Bartresen strahlt renoviert in neuem Glanz. Es gibt jetzt eine State-of-the-Art-Kaffeemaschine und die Möglichkeit, mit Kreditkarte zu bezahlen. Ansonsten bleibt das Hi-B das Zimmer hinter der roten Tür, in dem das gute Gespräch und die zivilen Umgangsformen bis zum bitteren Ende verteidigt werden. Dafür muss das Smartphone auch im Jahr 2023 in der Tasche bleiben. Sonst gibt es den Platzverweis.

Ortskoordinaten: 51°53’53.4″N 8°28’14.7″W (108 Oliver Plunkett Street, Cork)

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Alle Fotos: Markus Bäuchle