Horst Stern 100

Sterns Stunde: Horst Stern im Fernseh-Studio. (Foto: SWR/Hugo Jehle)

Horst Stern zum 100. Geburtstag: In diesen Tagen erinnert Medien-Deutschland an Horst Stern, den großen Journalisten, Dokumentarfilmer, Schriftsteller und Umweltschützer der ersten Stunde. Seine bahnbrechenden TV-Dokumentationen “Sterns Stunde” sind bis heute legendär, seine “Bemerkungen” über die Natur, den Wald, die Tiere nach 50 Jahren noch immer aktuell. Horst Stern starb im Jahr 2019 zurückgezogen im Alter von 96 Jahren in Passau. Am 24. Oktober wäre er 100 Jahre alt geworden.

Horst Stern 100

Horst Stern

Bereits im Jahr 1984 hatte sich der Medien-Pionier bei der von ihm gegründeten Zeitschrift Natur verabschiedet und sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück gezogen. In den frühen 90-er Jahren siedelte er nach überstandener Krankheit nach Irland über. Ob er Deutschland enttäuscht, resigniert oder einfach nur müde verließ, drüber streiten sich die Wahrheitsdeuter bis heute. Stern lebte in einem versteckt gelegenen kleinen Haus in Lauragh am Glanmore Lake auf der Beara Peninsula acht Jahre lang ein zurückgezogenes Leben.

Bis heute ist wenig über Horst Sterns Irland-Jahre bekannt. Wir haben am irischen Atlantik in der Kenmare Bay mit Zeitgenossen gesprochen, die den Journalisten und Umweltschutz-Pionier aus Deutschland gut kannten und schätzten. Wir erfuhren: Die Menschen in Irland haben den privaten Horst Stern, den Mann hinter der öffentlichen Figur kennen gelernt. Er war nicht nur brillanter, messerscharfer Analytiker, rationaler Forscher und bisweilen sarkastischer Kopfmensch – er war ein liebenswürdiger, meist stiller und rücksichtsvoller, auch ein verletzlicher Mann, und im Grunde seines Herzens ein heilloser Romantiker.

 

 


Horst Stern 100

Horst Stern in Irland: Es gibt viele Gründe, den Ort der Geburt und Jugend, den manche Heimat nennen, zu verlassen. Ich bin nach Jahren der Reise im Jahr 2000 von Deutschland nach Irland umgezogen. So hat mich immer interessiert, warum es auch andere Menschen vom Kontinent an den westlichen Rand Europas nach Irland zieht – umso mehr, wenn es sich um einen Journalisten und Autoren handelt. Mein Freund Peter Bernhardt hatte im Januar 2022 einen ersten Beitrag über Horst Sterns Jahre in Irland für Irlandnews recherchiert. Heute vertiefen wir zum 100. Geburtstag die irische Stern-Story. Viel Spaß beim Lesen, Ihr Markus Bäuchle.


Im Jahr 1992 kaufte Horst Stern im Südwesten Irlands auf der entlegenen Beara Pensinsula spontan ein Haus, ohne es von innen gesehen zu haben. Er kannte Irland von diversen Reisen, hatte Freunde auf der Halbinsel. Stern war wohl im Winter nach überstandener Krankheit nach Irland gekommen, verbrachte die ersten Wochen in Teddy O’Sullivan’s Bar in Lauragh. Als Gast von Teddy, Joan und Nichte Helen lebte der Aussteiger im Haus der Wirtsleute, aß mit ihnen am gemeinsamen Tisch. Helen Moriarty, die das Pub am Kilmakillogue Pier bis heute als Helen’s Bar betreibt, erinnert sich gerne an den stillen Gast aus Deutschland:

“Horst war schlank, leicht und fit. Er hatte graues Haar, trug eine Brille und sehr gerne Tweed, sprach sehr gut Englisch. Horst war ein ruhiger Mann, er redete nicht viel. Er war ein Gentleman, sehr rücksichtsvoll und immer daran interessiert, was passierte – auf eine gute Art. Er liebte es, im Barraum zu sitzen.

Horst Stern 100

Helen’s Bar am Kilmakillogue Pier

 

Als er das erste Mal hierher kam, blieb er bei uns, und er blieb eine Weile. Ich glaube, er blieb über den Winter. Er wurde ein Teil der Familie von Joan, Teddy und mir. Er aß mit uns, hatte ein Zimmer im Haus. Er aß alles, was auf den Tisch kam.

Horst Stern 100

Horst Stern saß gerne in diesem Barraum von Teddy, Joan und Helen

 

Dann erfuhr er, dass eine Französin, sie war im Filmgeschäft, ihr Haus am nahen Glanmore Lake verkaufen wollte. Horst kaufte das Haus sofort. Er konnte direkt einziehen und darin leben. Er hat sich das Haus dann gemütlich gemacht, hat gute Sachen mitgebracht. Das Haus gefiel ihm, er mochte dessen Abgeschiedenheit.”

Glanmore Lake

Horst Sterns Haus in Irland

Ein Haus hinter dichten Hecken wurde seine neue Heimat

Das kleine Haus in Lauragh mit Blick auf den Glanmore Lake, versteckt hinter Bäumen und dichten Rhododendron-Büschen, erschien Stern als neue Heimat gut geeignet. Er war von einer zweiten Krebserkrankung genesen, wollte die Ansprüche und Erwartungen der deutschen Öffentlichkeit radikal hinter sich lassen. Er nahm Distanz zu Deutschland, seinem Familienleben und zu vielen Zeitgenossen – mit wenigen Ausnahmen. Am 22. Mai 1992 wurde der Auswanderer im irischen Grundbuch als neuer Besitzer des Hauses am Glanmore Lake registriert. Stern ließ das Cottage weiß streichen, die Fensterbänke spinatgrün.

Horst Stern 100

Blick von Horst Sterns irischer Terrasse auf den Glanmore Lake (heute fast zugewachsen), Zeder und Kamelie

 

Zum Einkaufen fuhr er meist ins 28 Kilometer entfernte Städtchen Kenmare – zuerst mit seinem linksgesteuerten Landrover, den er zu Schrott fuhr, später mit einem kleinen VW Polo, den er von der Dorfkrankenschwester gebraucht erstanden hatte. Irische Freunde erinnern sich, dass er bevorzugt Fertigessen kaufte. Der Mann war kein großer Koch. Er aß mit Vorliebe Salami und dunkles Roggenbrot, das weiche irische Sandwichbrot war ihm zuwider. Gerne ging Stern mittags oder abends hinüber zu Josie’s Lakeview House zum Essen. Von seinem Haus gab es einen Trampelpfad direkt zum Restaurant. Stern war oft dort, hielt sich mit Vorliebe in der Restaurantküche auf.

Wenn Stern Deutsche im Pub hörte, war er schnell weg

Helen Moriarty, die Wirtin am Kilmakillogue Pier, hatte bald erkannt, warum Stern öfter einmal spontan aus dem Pub verschwand: “Horsts größte Angst war, dass er von Landsleuten erkannt werden würde”. Er äußerte öfter sein Unbehagen darüber, dass er nach seiner Medienkarriere noch immer von vielen Seiten vereinnahmt werde. Stern war überzeugt, dass er seine Pflicht getan hatte und der deutschen Öffentlichkeit nichts mehr schuldete. Er beanspruchte für sich nun ein privates und ungestörtes Leben in der Anonymität.

Ein anderer irischer Bekannter erlebte einige von Sterns Fluchten mit:

“Horst liebte Irish Traditional Music. Wir gingen ab und zu zusammen zu Lynch’s in Castletownbere, dort gab es damals die beste Trad Music. Einmal bekam Horst mit, dass Deutsche in der Bar waren. Er sagte sofort: “Wir müssen gehen“. Er hatte so seine Probleme mit den Landsleuten, er ging ihnen aus dem Weg. Horst sagte immer wieder: „Es ist nicht leicht, berühmt zu sein“.

Einmal waren wir bei Packies in Kenmare essen, als eine Frau am Nebentisch ihn erkannte, aufsprang und zu uns herüber kam. Horst gab sich alle Mühe, freundlich zu sein. Dieselbe Frau schickte bald darauf aus Deutschland einen großen Packen Manuskripte an Packies Restaurant, mit der Bitte, diese Horst Stern zu übergeben. Das Papierbündel kam über Umwege bei ihm an. Die Dame war wohl eine Art Schriftstellerin. Als Horst den Packen sah, war er alles andere als glücklich. Die Manuskripte landeten kurzerhand im Müll. Er wollte vor keinen Karren mehr gespannt werden.”

 

Horst Stern Irland

Stern flanierte gerne im nahen Derreen Garden

Stern war kein regelmäßiger Pub-Gänger. Er beschränkte seine Pub-Besuche auf Stippvisiten im nahen An Síbín oder in Teddy O’Sullivans am Pier von Kilmakillogue. Viel Zeit verbrachte er zuhause und alleine. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob er gerne in die faszinierenden Berge oder ans Meer in der Nähe gegangen ist. In späteren Jahren sah man ihn als Spaziergänger: Er flanierte durch den weitläufigen Derreen Garden, einem herrlichen Landsitz der Bigham-Familie, nur ein paar Kilometer von seinem Haus entfernt. Manchmal trug er ein Kleinkind im Brusttuch.

 

Heute lebt Paddy im Haus, das einmal Horst gehörte

Horst Stern 100

Paddy Corkery im Wohnzimmer

Wir treffen Paddy Corkery im Haus am See, in dem Horst Stern lebte und arbeitete. Paddy kaufte das Anwesen Ende 2000 samt dem VW Polo, als Stern nach Deutschland zurückkehrte. Paddy wohnt bis heute dort. Er war Sterns Hausmeister, Handwerker, Retter in der Not, und sein langer Arm in die irische Community. Der heute 69-jährige Paddy Corkery, ein pensionierter Sägewerkbesitzer und Holzhändler, empfängt uns. Wir dürfen uns im Haus umschauen.

Horst Stern Irland

Sterns Bilder hängen noch immer

Horst Stern 100

Ein Foto an der Wand: Horst Stern und sein Mitstreiter Rudolf Schreiber

An den Wänden hängen noch immer Bilder, die Horst Stern vor einem Vierteljahrhundert aufgehängt hatte: gerahmte Kupferstiche von Walen und von der gehörnten Kröte; ein Foto, das ihn mit seinem Mitstreiter, dem Öko-Publizisten Rudolf Schreiber zeigt, eines von einem Galway Hooker. Im kleinen Arbeitszimmer steht der Schreibtisch, an dem Stern gearbeitet hatte und den er zurück ließ. Heute spielen Kinder daran. Auf dem Kaminsims noch immer die Tabakpfeifen. Paddy zeigt uns eine 100 Jahre alte Cognac-Flasche, die Stern einst erstanden hatte. Dazu Bücher, das berühmte über die Spinnen, Sterns Stereoanlage.

Paddy erinnert sich lebhaft an Horst, er war oft mit ihm zusammen, kennt zahlreiche Geschichten. Nicht alle sind für die Öffentlickeit bestimmt. Er beschreibt den Deutschen als ehrlichen und freundlichen Menschen, als stets korrekt gekleidet und gut organisiert, als großzügig. Er hat nicht auf den Penny geschaut, kaufte stets ohne zu verhandeln, zahlte den Preis, der verlangt wurde. Für Iren ist das ein exotisches Verhalten, das sie andererseits auf der nehmenden Seite meist nicht ablehnen. Sie wissen, dass in den Preisen immer viel Verhandlungs-Masse eingebaut ist. Stern mag dies egal gewesen sein.

Horst Stern Irland

Paddy Corkery in seinem Garten mit der weißen Blüte einer Kamelie, die Horst Stern pflanzen ließ.

Der Medienmann im selbstgewählten Exil genoss in seiner neuen Heimat bald den Ruf des wohlhabenden Großzügigen. So verlangte ein Mechaniker für das Abschleppen des Autos 80 irische Pfund, etwa 200 Mark. 30 Pfund waren damals üblich. Stern wusste das wohl, aber er sagte nichts. Im Gartenmarkt fand er eine kränkelnde Kamelie, die aufgrund ihres schlechten Zustands nicht mehr verkäuflich war. Stern ließ sie für 80 Pfund in seinen Garten transportieren und eingraben. Das hätte wohl kein Einheimischer gemacht. Die Pflanze zeigte sich dankbar. Die Kamelie wächst heute kerngesund und schmückt sich jedes Jahr üppig mit herrlichen weißen Blüten. Sie steht direkt am Freisitz neben einer Zeder, die Horst Stern für einen jungen Erdenbürger gepflanzt hatte.

Wenn er schrieb, war er ein anderer Mensch

Der Deutsche war in seiner Nachbarschaft geachtet und beliebt. Wenn er sich allerdings zurück zog, um zu schreiben, wurde es für seine Umgebung ungemütlich. “Horst war dann ein anderer Mensch”, erinnert sich Paddy: “Wenn Horst schrieb, war er oft grässlich gelaunt, ja übellaunig. Er hatte mir das auch immer wieder warnend gesagt. Er meinte, das Leben eines Schriftstellers sei ein sehr einsames, das Schreiben oft schwer. Über weite Strecken führte er tatsächlich ein einsames Leben. Zudem schlief er sehr schlecht.”

Horst Stern Klint

Cover des Romans Klint

1993 erschien der Roman Klint. Stationen einer Verwirrung. Stern nannte das Buch gegenüber dem Journalisten Reiner Luyken*, der ihn in Irland für die Wochenzeitung DIE ZEIT besuchen durfte, eine “Hochrechnung seiner Ängste” über den absehbaren menschengemachten Niedergang der Welt. Er distanzierte sich aber von dem Gedanken, er sei der kranke, von apokalyptischen Visionen gemarterte Journalist Klint, der am Weltschmerz scheitert und zugrunde geht. Der Roman wurde im Gegensatz zu Sterns früheren Büchern wie Mann aus Apulien oder Jagdnovelle kein großer Erfolg, wurde von der Kritik, allen voran vom damaligen Literatur-Papst Marcel Reich-Ranicki, geradezu zerrissen.

Wer aber sind wir, was macht uns aus, wenn nicht unsere Träume, unsere Sehnsüchte und Ängste? In seinen letzten Irlandjahren schrieb Horst Stern an einem neuen Roman. Paddy Corkery erinnert sich: Er schrieb zwei Jahre daran, es machte ihm schwer zu schaffen, und er wirkte in dieser Zeit oft verzweifelt, wie zerschlagen. Stern schrieb an der Geschichte zweier Männer, die dieselbe Frau liebten. Dann bekam der herzkranke Mann das Herz des anderen transplantiert, der bei einem Unfall ums Leben gekommen war  – und er war nicht mehr er selbst. Mit dem Herz des Konkurrenten veränderte sich seine Persönlichkeit. Stern war zur Recherche des Stoffs sogar bei einer Herztransplantation dabei gewesen. Es hatte nichts genützt. Schließlich gab er auf, schrieb das Buch nicht zu Ende. Es ist nie erschienen.

Dem Besucher und Journalisten-Kollegen Reiner Luyken gab Stern auf seiner Terrasse in Lauragh im Jahr 1993 auch Auskunft darüber, was er an Irland so liebte*:

“Ich mag den Rhododendron. Im Mai ist das ganze Tal blau. Ich will, daß hier alles so bleibt, wie es ist. Ich liebe an Irland die Ruhe, das Unverdorbene, fast Bukolische. Nach einer Pause sagt er: “Ich weiß, das ist ein egoistischer Standpunkt. Ich weiß, dass er ungerecht ist gegenüber den Menschen, die hier ihren Lebensunterhalt verdienen. Ich sehe durchaus meine Rolle. Aber ich glaube, Anspruch darauf zu haben. Ich schade niemandem, ich nehme niemandem etwas weg.”

 

Glanmore Lake Horst Stern

Am See, an den Bergen und am Meer: In dieser “heilen Welt” lebte der deutsche Auswanderer

Er wollte, dass alles so bleibt, wie es ist. Dies war die tiefe Sehnsucht eines Menschen, der an der Zerstörung der Erde durch sogenannten Fortschritt und die niemals Halt machende Wissenschaft schwer litt und der sich nach einem Ende der ökologischen Abwärts-Spirale sehnte.

Trotzdem verließ Horst Stern sein einsames Naturidyll in Kerry im Jahr 2000 im Alter von 77 Jahren wieder und kehrte in die alte Heimat zurück, lebte danach in Passau und zeitweise in Hamburg. Manche meinen, es sei eine Herzens-Angelegenheit gewesen. Die Menschen am irischen Atlantik sehen das nüchterner. Restaurant-Betreiberin Josie hat viele Menschen kommen und gehen sehen: “Die Leute machen das immer so. Sie kommen wegen der intakten Natur, und wenn sie alt werden, kehren sie nach Hause zurück.” Wirtin Helen weiß auch, warum: “Diese Gegend ist ihnen dann zu abgelegen. Sie wollen in der Nähe eines Krankenhauses leben, suchen Sicherheit.”

Mit irischen Provinz-Krankenhäusern hatte der Schriftsteller immerhin tiefgreifende Erfahrungen gemacht. Er litt eine Zeitlang unter Herzschmerzen. Paddy musste helfen:

“Eines Nachts rief mich Horst an, ich müsse kommen, er habe es am Herzen. Wir riefen einen Krankenwagen, und er kam in das über eine Autostunde entfernte Krankenhaus von Bantry, wo man ihn eine Woche behielt. Nach der Woche im Krankenhaus von Bantry, das damals den zweifelhaften Ruf eines Metzgerladens genoss, holte ich ihn ab. Wir rumpelten über den Healy Pass nach Hause und Horst erzählte mir von den unsäglichen Zuständen im Krankenhaus: Sie hätten dort rein gar nichts, nicht einmal die primitivste Ausrüstung. Horst war empört. Aber es ging ihm gesundheitlich gut.”

Es kann auch sein, dass es dem Eremiten vom Glanmore Lake hinter den Bäumen und Rhododendron-Hecken zu einsam wurde. In seinen letzten Jahren in Lauragh wurde Horst Stern eine Zeitlang regelmäßig mit einer jüngeren Frau aus Nord-Deutschland gesehen. Sie war regelmäßiger Gast in seinem Haus. Als sie ein letztes Mal abreiste und nicht wieder nach Lauragh zurückkehrte, wirkte Stern schwer getroffen. Er versuchte, den Verlust mit Schreiben zu kompensieren.

Horst Stern Lauragh

Blick von Josie’s Restaurant auf den See und auf die nahen Berge von Cummeengeera

Ein letztes Halleluja für den Einzelkämpfer

Ein letztes Halleluja. Die Medien werden diesen vorausschauenden, ja oft hellsichtigen Mann in diesen Tagen noch einmal posthum feiern, als einen der großen Vordenker des Umweltschutzes, der Ökologie, der anhebenden grünen Bewegung, als Gründer von BUND und Natur. Horst Stern allerdings wäre heute wohl maßlos enttäuscht über den Gang der Dinge. Er hatte uns vor über einem halben Jahrhundert mit seinen “Bemerkungen” in “Sterns Stunde” und in der von ihm gegründeten Zeitschrift Natur den Niedergang der natürlichen Welt eindrücklich beschrieben. Eineinhalb Jahrzehnte lang kämpfte er als Pionier an der Medienfront für Bewusstsein und Wandel. Er hatte stets konstruktiv und positiv für die Veränderung zum Besseren argumentiert. Dann, im Jahr 1984, hatte er sich aufgerieben. Der Niedergang der natürlichen Welt hält unvermindert an – es scheint, dass wir Menschen, die ihn verursacht haben, die Zerstörung nicht stoppen können.

Wenn ehemalige Kollegen, Fans, Freunde und Günstlinge das Vorbild Horst Stern nun in der Erinnerung hoch leben lassen, dann wirken sie ein wenig wie die berühmten Zwerge auf den Schultern eines Riesen. Stern war ein begnadeter Einzelkämpfer. Er blieb in seinem mittlerweile verkommenen TV-Metier ohne Schüler, ohne Nachfolger und ohne Schule.

Zu preisen und zu ehren ist ein Leichtes, zumal bei einem Schlückchen Schampus an Bord einer Yacht, in der noblen Villa oder im feinen Stauden-Garten. Wenn dann von der Größe des Riesen auch noch etwas auf die Schultersteher abstrahlt, umso besser. Wir alle können uns heute aber auch fragen, was Sterns klarsichtige Erkenntnisse ein halbes Jahrhundert später mit uns, unserer Bequemlichkeit, unserer Unbelehrbarkeit und unserem eigenen Lebensstil zu tun haben.

Horst Stern Wald

Der Wald stirbt jetzt schnell, großflächig und unerbittlich


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* Lesenswert: Reiner Luykens Beitrag in der ZEIT über einen Besuch bei Horst Stern in Irland im Jahr 1993: Schwimmer gegen den Strom (Bezahlschranke)

Foto-Credits:
Titelbild: Horst Stern 1973 by ullstein bild – bpk/Digne M. Marcovicz
2. und 4. Foto von oben: SWR/Horst Jehle;
3. Foto von oben: ARD.
Alle anderen Fotos: Markus Bäuchle