030 :: Die Schurken von Drom Beag

Mein Freund Timmy Big Danny, der Alltagsphilosoph, liebt dreierlei: Seine Freiheit, seine Frau Fiona, der er davon erzählen kann, und sein Uisge, das Wasser des Lebens und der Imagination. Timmy fährt den alten Traktor auf den Feldern hoch über der Bucht und atmet das Gemisch aus Dieselrauch und Freiheit. Er gibt den wilden Zerstörern aus dem fernen Silicon Valley recht: Demokratie und Freiheit vertragen sich am Ende nicht. Jeder soll machen können, was er will. Jeder weiß, was sich gehört. Was soll da schief gehen.

Conny Bat Shirley, der rotgesichtige Farmer, geht seine Felder in Drom Beag gerne mit der Flinte ab. Er schießt auf alles, was sich bewegt – Menschen mal ausgenommen. Die bunten Finken trifft er am liebsten. Sie sind gerade klein genug, eine Herausforderung. Shirleys Sohn Deff hat den Vater im Finkenschießen schon vor Jahren übertrumpft. Deff trifft drei aus vier.

Conny Bat hält sich trotz mancher Fehlschüsse für unfehlbar. Er trägt immer Gummistiefel und hat immer recht. Das lässt er jeden wissen. Weil ihm nicht jeder glaubt, sammelt Shirley Feindschaften wie andere Pokale oder Bierfilze. Bei den Nachbarn heißt Conny Bat hinter vorgehaltener Hand “der Bully” – was keine Anspielung auf seine untersetzte Statur oder seinen kräftigen Nacken sein soll. Eine seiner Feindschaften hat Shirley mit aller Leidenschaft gepflegt, derer er fähig war. Den Widersacher, einen feingliedrigen Fließenhändler aus der Stadt, brachte der Monate dauernde Streit um ein Stück Land ins Krankenhaus, Conny Bat für einige Monate hinter Gitter.

Als Shirley auf seine Scholle zurück kehrte, wirkte er erholt, das Gesicht abgeschwollen, die Wangen rosa, der Gang leichter. Wie Ferien sei der Aufenthalt hinter den Mauern des Gaol gewesen, das Essen immer gut, die Kameradschaft stark, posaunte der Landmann. Geändert hat er ihn nicht. Er schimpft weiter, er droht, er teilt aus, er sperrt alte Wege und neue Zufahrten für Dorfbewohner, vertreibt Spaziergänger vom Strand. Weil er es kann. Freunde sind ihm fremd, Fremde ein Greuel. Die Nachbarn gehen Shirley aus dem Weg, So macht er, was er will. Was Conny Bat im Schutz der Dunkelheit anstellt, wissen sie nicht. Sie rätseln, wer John Joe´s Hund verstümmelt, wer Jacky Jimmy´s Kuh vergiftet, wer die neuen Dachbalken auf PJ´s Haus abgesägt hat.

Kieran Grey Rogue redet wenig. Er schlägt seine Frau und schläft mit der Nachbarin. Jeder in Drom Beag weiß das – außer der Frau. Als Kieran und sein Bruder Killian junge Männer waren, stiegen sie gemeinsam mit dem Vater ins Altmetall-Geschäft ein. Die Zuschüsse aus Brüssel schadeten nicht. Die Unternehmung florierte bald. Die Greys benötigten ein Lager und beantragten den Bau eines Schuppens am Barley Hill. Die Lokalverwaltung hielt den Ort für ungeeignet und schickte den Altmetallhändlern von Drom Beag eine Absage. Nachdem der erste Tobsuchtsanfall abgeebbt war, hatte Kieran Grey die Idee: Sie würden ihre Altware einfach im Freien, mitten im schönsten Ausblick des Dorfes lagern. Irgendwann würde die Verwaltung einsichtig werden. Das ist 25 Jahre her.

Im benachbarten Ocean View Hotel heiraten jedes Jahr ein paar Dutzend Paare. Wenn der Hochzeitsfotograf kommt, stellt er die Eheleute, manchmal auch die gesamte Familie, bei trockenem Wetter vor dem Hotel auf. “Schrotthaufen mit Hochzeitsgesellschaft” heißt das Foto-Ritual im Dorf. Neben dem meist glücklichen Paar präsentieren sich Eisen-, Kupfer- und Messingberge im Hochzeits-Foto. Generationen von Hochzeitern und nicht wenige Dörfler haben Beschwerde gegen den “Schandfleck” geführt, haben Briefe geschrieben, haben versucht, das Altmetallager los zu werden und aus dem Panoramablick zu retuschieren. Der Schrotthaufen ist immer noch da. Wie ein ausgestreckter Mittelfinger ragt er in die Landschaft. Kieran Rogue gefällt das auch nach 25 Jahren.

Cuntie Holeblow, feindseliger Bruder des gierigen Wirts und des liebestollen Hilfsgärtners, genießt die Zwietracht. Wenn er einem Zeitgenossen den Tag vermiesen kann, geht für ihn die Sonne auf. Cuntie ist stolz auf sich: Er hat es im Alleingang geschafft, den schönsten Wanderweg in Drom Beag zu sperren. Hier geht jetzt keiner mehr, seit er die Wegweiser abmontiert, die Feldtore mit Warnungen gespickt und ein paar Wandergruppen brüllend vom Land vertrieben hat, das ihm nicht gehört. Cuntie erhielt leise Beifall von Leuten, die das zweckfreie Begehen von Landschaften ebenfalls für eine Unsitte arroganter Städter halten. Den meisten Menschen in Drom Beag ist das völlig egal. Sie verlassen das Haus nur im Auto. Draußen auf den Schafswiesen von Upper Drom Beag macht Holeblow, was ihm gefällt.

Hier auf der anarchischen Insel hätten sie ein paar Jahrhunderte zu lange unter der Knute gestanden, seufzt mein Freund Timmy Big Danny. Deshalb misstrauten sie jeder Form von höherer Macht. Wo gehobelt wird, fallen Späne, murmelt er und nippt zur Bekräftigung nickend am Uisge. 

Ortskoordinaten: Drom Beag ist ein Phantasieort auf der anarchischen Insel. Jegliche Ähnlichkeit der Bewohner von Drom Beag mit Zeitgenossen liegt im Auge des Betrachters.  


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Alle Fotos: Markus Bäuchle