032 :: Die Leute von Drom Beag: Sonny Joe ist tot

Mein Freund Timmy Big Danny, der Alltagsphilosoph, liebt seine alte Massey Ferguson. Was für mich ein Traktor ist, nennt Timmy ganz emotional seine She. Gerne sagt er von ihr: She runs smooth as a baby, no vibration whatsoever – und tätschelt fast zärtlich das Lenkrad. Wenn Tim auf seiner Massy über die Felder fährt, eingehüllt in Dieselwolken, dann ist er bei sich, ganz im Jetzt. Bulldog-Fahren als Meditation.

Beim Traktorfahren auf den Feldern über Drom Beag kommen Timmy Big Danny die guten Gedanken und die klaren Einsichten. Zur Zeit, es ist Mitte März, sinniert er über den St. Patrick´s Day. Das ganze Getue um den irischen Nationalfeiertag hält er für groben Unfug – für völlig überflüssig dazu. Er geht nicht zur Patrick´s Day Parade, sagt er mir. Er rede lieber mit seinem Gemüse.

Tim muss keine Menschen um sich haben. Er kann eine gesellige Runde mit immer neuen Ideen und seinem Selbstgebrannten spielend bei Laune halten. Viel lieber ist er mit sich alleine – und mit Frau Fiona – und dem Gemüse, das unter seiner grünen Hand zuverlässig wächst.

Er mag die Pflanzen, er mag das Grün – er wundert sich über eine moderne grüne Erscheinung, das Global Greening: Ob New Yorks Empire State Building, Ägyptens Pyramiden oder Indiens Taj Mahal: Berühmte Gebäude, Orte, Sehenswürdigkeiten weltweit werden zum Nationalfeiertag auf Betreiben von irischen Geschäftemachern in grünes Licht getaucht. In Chicago, wo Timmys Brüder leben, färben sie einen ganzen Fluß, den Chicago River, um das Irische und die Iren zu feiern.

Tim stellt sich vor, eine andere Nation würde es wagen, die Welt zu fragen: Dürfen wir Eure nationalen Heiligtümer einen Tag oder einen Abend lang in unseren Farben anmalen? Sie in rot (China), weiß-blau-rot (Russland), weiß-blau (Israel) oder schwarz-rot-gold tauchen? Der Aufschrei wäre groß. Warum dürfen wir Iren, was man den meisten anderen Nationen niemals zugestehen würde? Weil wir so niedlich, so friedlich, so freundlich sind? Auf dem Traktor beantwortet er seine Fragen mit Fragen: Warum werden wir für freundlich gehalten, wo wir nur gerne reden? Warum für anteilnehmend, wo wir neugierig sind? Warum für spendabel, wo die Gegeneinladung ausgemachte Sache ist?

Timmy ist in diesem März nicht zum Feiern zumute. Die Sache mit dem Nachbarn steckt ihm in den Knochen. Er fand den alten Sonny Joe vor zwei Wochen draußen im Hof vor seinem Haus. Sonny war seit Jahren nicht mehr vor die Tür gegangen – zum Sterben hatte er eine Ausnahme gemacht. Sonny Joe hatte alles verloren, die große gut gehende Farm, die Felder, die Tiere, den Wald. Nur das alte Haus, ein Dach über dem Kopf, war ihm geblieben. Jeden Montag kam die Dorfschwester und spritzte ihm die Wochendosis zur Zähmung der wilden Dämonen im Kopf.

Sonny Joe war leichte Beute. Sie kamen in Scharen, um ihn um Geld anzubetteln. Sie kamen, um ihm sein Land abzuschachern. Sie kamen sogar, um ihn auszurauben. Dem setzte Timmy Big Danny ein Ende. Er beschmierte das Gesicht mit schwarzer Torferde, zog den Hut tief in die Stirn, nahm die doppelläufige Flinte aus dem Schrank und eilte dem Nachbarn zur Hilfe. Er stellte die Einbrecher. Ein Schuss über alle Köpfe hinweg genügte. Die Eindringlinge flüchteten panisch – fast so panisch wie die Dorfschwester, die wenig später Reißaus vor dem unheimlichen Mann mit dem schwarzen Gesicht und der Shotgun nahm. Das ist lange her. Sonny Joe wurde vergangene Woche begraben.

 

Ortskoordinaten: Drom Beag ist ein Phantasieort auf der anarchischen Insel. Jegliche Ähnlichkeit der Bewohner von Drom Beag mit Zeitgenossen liegt im Auge des Betrachters.

Foto: Eliane Zimmermann


Orts-Zeit

 

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Alle Fotos: Markus Bäuchle, sofern nicht anders angegeben.