019 :: Ungeliebte Hauptstadt Dublin; O’Connell Monument
Die irische Radio-Legende Joe Duffy nannte Dublin in einem Wutausbruch einmal „an unadulterated kip“. Das ist weder gut übersetzbar, noch steht es mir zu, dieses Urteil über die irische Hauptstadt zu übernehmen. Nur Schwarze dürfen für sich selber das N***-wort benutzen. Joe Duffy ist Dubliner. Das hält eingefleischte Corkonians, die Leute aus Cork, natürlich nicht von genüsslichem Dublin Bashing ab. Kürzlich unterhielt mich ein in der Wolle rot-weiß gefärbter Leesider mit einer zehnminütigen Schimpftirade über Dublin. Die kurze Zusammenfassung: „Dublin is a shithole. I avoid it“ („Dublin ist ein Dreckloch. Ich vermeide es“).
Die Konkurrenz zwischen der Hauptstadt Dublin und Cork, der vergleichsweise kleinen „Hauptstadt des Südens“, ist legendär. Die Leute aus Cork halten sich selbstverständlich für die Klügeren und Witzigeren. Sie erzählen die interessanteren Geschichten und haben den besseren Humor. Vor allem aber sehen die Leesider ihr Cork als die heimliche Hauptstadt Irlands. Denn während man in Dublin im Unabhängigkeitskampf weitgehend erfolglos ein Postamt und einen Park besetzte, zwangen die Rebels von Cork die verhassten Engländer mit ihrem ausdauernden Krieg der Heckenschützen langsam aber sicher in die Resignation.
Als Wahl-West-Corkonian amüsiert mich das gehobene Beleidigen der Hauptstadt. Ich mag Dublin auch nicht, wenn auch aus anderen Gründen – vor allem liegt das an meiner Großstadtmüdigkeit. Dublin hat so gesehen das Pech, die nächste wirkliche Großstadt zu sein. Cork ist dagegen ein liebenswertes großes Dorf. Mich schmerzt beim Gang durch Dublin, dass das einst Schöne der Stadt immer mehr dem Hässlichen, dem Gesichtlosen und dem Billigen Platz macht.
Wo früher der gute Einzelhandel daheim war, dominieren heute Billigshops und Schnell-Restaurants. Aus den Docklands wuchert das Krebsgeschwür der Big-Tech-Bauten in die Stadt. Planerisch ist Dublin so etwas wie eine Failed City. Es gibt kein bezahlbares Wohneigentum, kaum geeignete Wohnungen für Familien, kaum Wohnraum für Menschen mit wenig Geld. Der Autoverkehr verpestet und erdrückt die Innenstadt. Die Planer phantasieren von einer fahrradgerechten Stadt und einer U-Bahn, die im Jahr 2045 vielleicht einmal abfahren soll.
No, no, I don´t ❤️ Dublin. Es reicht mir völlig, alle zehn Jahre zum Verlängern des Reisepasses an die Liffey zu fahren. Mein Sohn Chris teilt die Abneigung gegen die Hauptstadt, muss sich allerdings mit ihr Woche für Woche arrangieren. Chris wohnt und arbeitet gerne am River Lee in Cork. Nach ausgestandener Pandemie muss er zwei Tage jede Woche im Dubliner Headquarter am Capital Dock Präsenz zeigen. Er würde eher nach Madrid oder Zürich als nach DUB ziehen, nimmt deshalb die regelmäßige dreistündige Busfahrt von der heimlichen in die tatsächliche Hauptstadt gerne auf sich. Ich habe ihn gefragt, was er gegen Dublin einzuwenden hat – er antwortete mit dieser Zehnpunkte-Watschen:
1. Die Mietpreise in Dublin sind verrückt.
2. Der Verkehr ist es genauso.
3. Dublin ist keine besonders schöne Hauptstadt.
4. Dublin ist noch teurer als Cork.
5. Die Strände im Umfeld Dublins kommen gegen die der Westküste nicht an.
6. Die Kriminalität in Dublin ist für irische Verhältnisse extrem.
7. Die Verkehrswege von Dublin-Bus sind extrem schlecht entworfen: Man fährt ständig Umwege.
8. Die Straßen Dublins werden belagert von Leuten, mit denen Du nichts zu tun haben willst.
9. Die meisten Sehenswürdigkeiten von Dublin sind nicht sehenswert: Das gilt für Busen-Molly, die Needle, die Touristenfalle Temple Bar, die Denkmäler für Promis wie Luke Kelly . . .
10. Das Schönste an Dublin ist immer die Heimfahrt.
Rumms. Man kann Dublin natürlich auch mögen. Immerhin wohnt jeder dritte Ire und jede dritte Irin in oder im Großraum Dublin.
Ortskoordinaten: 53°20’52.0″N 6°15’33.3″W (O´Connell Monument in der gleichnamigen Straße); Foto: Chris Baeuchle
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Alle Fotos: Markus Bäuchle (sofern nicht anders angegeben)
Dublin, das ist die Fähre, die am rot leuchtenden Poolbeg Lighthouse vorbei in den Hafen einfährt, das sind die Robben an der Nordspitze von Bull Island, die frischen Scones in der kleinen Cafeteria des National Library und die schrägen Literaturenthusiasten von Sweny’s alter Apotheke.
Dublin, das ist der indische Koch, der seit 20 Jahren, das beste Curry der Stadt zubereitet, das ist die Sammlung wertvoller Schriften in der Chester Beatty Library, die mich jedes Mal aufs Neue ehrfürchtig werden lassen, das ist die Bank am Grand Canal, auf der ich mich an Sonnentagen neben die Bronzestatue von Patrick Kavanagh setze, und das ist die National Concert Hall, wenn das RTÉ Symphonieorchester spielt.
Dublin, das sind die Kirchen, in denen Heinrich Böll Heilung für sein erkältetes Herz fand, das ist die Brazel Bakery im alten jüdischen Portobello-Viertel, das sind die Musiker im Cobblestone Pub und die Austernfischer, die über den weiten Strand von Sandymount flitzen.
Ich liebe diese Stadt, wie nur jemand es kann, der nicht dauerhaft dort leben und ertragen muss, was man ihr und ihren Menschen antut.
Eine sehr schöne Ode an Dublin. Und auch nach 18 Jahren hier empfinde ich diese schönen Dinge immer noch genauso.
Für Kurztrips von 1-2 Tagen finde ich Dublin schon interessant. Ist halt eine Großstadt mit all den Problemen, die viele dieser Städte haben. Geschimpft wird darüber, seit es Großstädte gibt.. Leben möchte ich hier genauso wenig wie in Berlin, Paris, London…..Zürich wäre für mich allerdings auch kein lebenswerter Ort. Die Mieten und Lebenshaltungskosten dürften unerreicht sein, dafür an spießigkeit kaum zu übertreffen.
Bei meinem ersten Dublin Trip vor 13 Jahren mit meinen Freundinnen, habe ich mich schon gefragt, was an Dublin so toll sein soll, dass viele Leute Wochenend -Trips nach Dublin planen ?
Die Billigshops und Schnellrestaurants gibt es inzwischen auch in Freiburg zuhauf.. Dafür brauche ich keinen Wochenend-Trip nach Dublin
Dublin war auch für mich nicht sehr einladend..
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Aw. Mein armes, dreckiges Dublin. Ich mag ihren räudigen Charme, auch wenn viele der Punkte stimmen. Aber es gibt auch schöne Ecken. Und vielleicht gibt es irgendwann auch noch Mal Stadtplaner’innen mit Visionen und den nötigen Befugnissen, die es in eine lebenswertere Zukunft führen. (Na gut das ist eher eine Hoffnung)