Garinish Island

Garinish Island im 19. Jahrhundert mit dem Wehrturm Martello Tower (Aus einem Skizzenbuch von Bantry House, Boole Library, UCC Cork)

036 :: Garinish Island, eine anglo-irische Geschichte

Garinish Island, die atlantische Garteninsel im Glengarriff Harbour, ist das bekannteste Ausflugsziel unserer südwestirischen Wahlheimat. Wir führten in zwei Jahrzehnten zahlreiche Gäste über Garinish Island und lernten die Insel selber intim kennen. Nichts ist, wie es scheint. 

Die großen Linien des anglo-irischen Konflikts hatten ihren konkreten Niederschlag stets im Alltag der Menschen. Gelitten, gekämpft und gestorben wurde immer lokal. Ein solcher lokaler Konflikt zwischen Herrschaften und Beherrschten rankt sich um Garinish Island, die bekannte Garteninsel in der Bantry Bay im Südwesten Irlands, die heute so etwas wie die Mainau des Nordatlantiks ist. Garinish Island feierte im Jahr 2011 den 100. Geburtstag als Garteninsel. Geschliffen und geformt wurde das faszinierende Fleckchen Erde in West Cork seit über 300 Millionen Jahren – erst im Jahr 1910 Jahren allerdings machte sich ein wohlhabendes britisches Ehepaar daran, die größte Insel im Hafenbecken von Glengarriff in einen einzigartigen botanischen Garten zu verwandeln. Der betuchten Familie Bryce ging allerdings nach dem Ersten Weltkrieg allmählich das Geld aus. Seit dem Jahr 1954 – nach einer Schenkung – gehört die Garteninsel dem irischen Staat und damit dem Volk.

Die offizielle Geschichte von Garinish Island wurde oft erzählt, oft geschrieben und ebenso oft wieder abgeschrieben. Die wahre Geschichte der Insel ist bis heute weitgehend unbekannt und liest sich ungleich spannender. Sie ist so schillernd und vielschichtig, wie ihre Erschaffer und ihre ehemaligen Bewohner es waren, und sie ist – obwohl nur ein kleines lokales Detail – ein Spiegelbild des großen und langen Konflikts zwischen Iren und Briten. Offiziell geht die Geschichte so: Am 10. August 1910 kaufte der wohlhabende britische Geschäftsmann und Parlamentsabgeordnete John Annan Bryce vom britischen Kriegsministerium einen nackten 15 Hektar großen Felsen in der Bucht vor Glengarriff. Sofort beauftragte er den renommierten Architekten und Landschaftsdesigner Harold Peto mit der Planung für ein herrschaftliches Haus und einen ambitionierten Pflanzengarten, heuerte über 100 Arbeiter an, ließ tonnenweise Mutterboden auf die Insel schippern und verwandelte eine wilde verlassene Naturinsel binnen weniger Jahre in ein kultiviertes subtropisches Kleinod.

Von 1911 bis 1914 regierten die Bauarbeiter auf der Insel, die eigentlich einmal Ilnacullin, die Insel der Stechpalmen, geheißen hatte, aufgrund der Nähe zu Glengarriff bei den Einheimischen aber nur als Garinish oder Garnish, die nahe Insel, bekannt ist. Bald war das Fundament für eine vielversprechende dreiteilige Anlage geschaffen – mit einem klassischen Park im italienischen Stil, der Bauformen aus Italien, dem antiken Griechenland und aus Japan zitiert, mit einem wilden Landschaftspark und einem ummauerten Garten. Gerne wurde das Ehepaar Bryce, das seinen Erstwohnsitz in guten Zeiten in der feinsten Gegend Londons hatte,  als die Robinsons des frühen 20. Jahrhunderts stilisiert: Sie kamen in die Wildnis, übernahmen eine unberührte und unerschlossene Insellandschaft und schufen daraus den Garten Botanien. So unberührt und wild wie in den idealisierenden Geschichten war die Insel jedoch nicht.

 

Sullivan Cottage Garinisih Island 1911

Das Sullivan Cottage auf Garinish Island wird renoviert. Violet Bryce (l.) mit der Mutter und den vier Sullivan-Brüdern. Fotografiert im April 1911 von Marjorie Bryce (Bodleian Library Oxford)

 

Ein alter, verlassener Wehrturm aus dem Jahr 1815 kündete von früheren zivilisatorischen Bemühungen. Die britischen Kolonialherren hatten auf dem höchsten Hügel von Garinish einen Martello Tower gebaut – den ersten seiner Art in Irland. Er war Teil einer Turmkette entlang der Südwestküste und sollte Schutz vor Napoleons Großmachtansprüchen bieten. Der erste Signal- und Wehrturm war nicht sehr standhaft, er musste noch einmal gebaut werden. Schon nach wenigen Jahren ließ das Interesse an der antiquierten Verteidigungsform nach, die britischen Truppen verließen die Insel, und Garinish verfiel offiziell wieder in tiefen Dornginsterschlaf. Bis zum Jahr 1910.

Was die Bryces vorfanden, als sie den »nackten Felsen« im Jahr 1910 übernahmen, geht aus einem historischen Foto aus dem Jahr 1905 und aus den Volkszählungsbögen aus den Jahren 1901 und 1911 hervor: Auf der Insel lebte in dieser Zeit eine fünfköpfige irische Familie, nämlich die Witwe Mary Sullivan, eine geborene Harrington, mit ihren vier Söhnen Florence (Flor), Patrick (Pat), Michael (Mike) und Timothy (Tim). Die Sullivans wohnten in einem schlichten Cottage in der Nähe des Piers im Nordosten der Insel. Sie hielten ein paar Kühe, pflanzten Kartoffeln, stachen Torf zum Kochen und Heizen und fuhren in ihrem Boot zum Fischen. Der Vater, Daniel, war früh gestorben, mehrere Geschwister, vermutlich drei Brüder und zwei Schwestern, schafften den Absprung in den 90er- Jahren des 19. Jahrhunderts, einige wanderten nach Amerika aus.

 

Garinish Island 1911

Das Sullivan Cottage unterhalb der militärischen Anlage mit Wehrturm auf Garinish Island im Jahr 1911, fotografiert von Marjorie Bryce (Bodleian Library Oxford)

 

Die Insel-Sullivans waren Teil der großen, in Glengarriff und Umgebung weit verbreiteten Sullivan-Familie, und kamen mutmaßlich in den 1870er-Jahren aus dem Weiler Bocarnagh vom nahen Festland übers Wasser. Sie bezogen das verlassene Wohnhäuschen, das im frühen 19. Jahrhundert zusammen mit dem Wehrturm auf dem Hügel für die Offiziere gebaut worden war. Vielleicht waren sie als Aufseher auf die Insel gebeten worden, vielleicht haben sie sich auf dem verlassenen Land auf eigene Faust angesiedelt. Die Regierungsbehörde OPW, die die Insel verwaltet, führt das Sullivan-Cottage bis heute unter dem Namen Squatters´ House, also als Hausbesetzerhaus.

Die vier Brüder und ihre Mutter hielten sich jedenfalls so gut es ging über Wasser. Mal wurden die Brüder beim Forellenfischen im Glengarriff River erwischt, mal transportierten sie Waren oder Fahrgäste in der Bucht, ansonsten betrieben sie eine kleine Landwirtschaft. Was geschah, als die neuen Eigentümer auftauchten und das Land nach ihren Vorstellungen umgestalteten, geht aus den Anordnungen im Landschaftsplan des Architekten Harold Peto hervor: Die Kuhweide wich Pflanzbeeten, die Zäune wurden niedergerissen. Neben dem Häuschen der Sullivans wurde – mitten durch die Viehweide – eine Straße zum neuen Pier gebaut. Auf dem Torffeld entstanden Tennis- und Crocket-Plätze für die Herrschaften und ihre Kinder und Gäste; das Brennmaterial verschwand unter leuchtend grünem Freizeitrasen. Die Kühe der Sullivans wurden auf eine Weide auf dem nahen Festland verfrachtet.

Während die offizielle Geschichts-Version der britischen und anglo-irischen Landbesitzer anhand von schriftlichen Dokumenten gut nachvollzogen werden kann, hat die arme irische Landbevölkerung ihre Geschichte zumeist nur mündlich überliefert. So wurden aus Geschichte Geschichten, aus manchen Fakten Märchen – und vieles ist nicht mehr nachprüfbar. Alte Leute in Glengarriff jedenfalls erzählen noch heute hinter vorgehaltener Hand von den Sullivans und ihrem Schicksal. In einer Gegend, wo jeder Dritte Sullivan hieß, rief man die Inselleute gemäß ihrem Wohnort »die Garnishes«. Die Überlieferung will wissen, dass das Ehepaar Bryce die irischen Bauern als Arbeiter und Gärtner beschäftigen wollte. Die Garnishes allerdings verfielen gemäß dem irischen Narrativ in Kummer und Traurigkeit, sahen sich um ihre Existenz gebracht, waren von ihren Brennstoffquellen und ihrem traditionellen Leben abgeschnitten. Mehrere der vier Junggesellen sollen sich aus Kummer im Meer ertränkt haben.

Die Beweislage für die irische Erzählung bleibt mehr als dürftig. Erwiesen ist, dass einer der Brüder, Florence Sullivan, von einer Bootstour zum Grasschneiden auf einer Nachbarinsel nie zurückkehrte. Das war allerdings im Jahr 1935, 25 Jahre nach der Ankunft der Bryces. Nur die Ruder wurden gefunden, der alte Mann und das Boot blieben für immer verschollen. Patrick und Michael starben betagt in den Kriegsjahren 1941 und 1943. Nur das Schicksal des jüngsten Sohnes, Timothy, könnte tragisch verlaufen sein. Einem Zeitungsbericht zufolge soll er unter psychischen Problemen gelitten und sich das Leben genommen haben.

 

Garinish Island Map 1912

Garinish Island im Glengarriff Habour, Ausschnitt einer Navigations-Seekarte aus dem Jahr 1912

 

Die Erzählungen, die gerne mit einem bitteren Unterton vorgetragen werden, schufen und schaffen ihre eigene Realität. Sie sagen, in Klartext übersetzt: Ihr habt euch auf unserem Leid einen Ort der Muse gebaut. Ihr habt euch vergnügt, während wir ums Überleben kämpften. Wo unsere Kühe weiden sollten, habt ihr nutzlose Zierpflanzen kultiviert, wo unser Torf lag, habt ihr Tennisplätze gebaut. Ihr habt gespielt, während wir hungerten. Ihr habt Euren Traum gelebt, während wir in unserem Alptraum gefangen waren.

Fotos, die die Bryce-Tochter Marjorie im April 1911 gemacht hat, sprechen eine andere Sprache. Sie deuten darauf hin, dass die Sullivans und die Bryces sich arrangiert haben: Ein Foto zeigt Violet Bryce zusammen mit der Witwe und den vier Sullivan-Brüdern vor deren Cottage. Es wird gerade renoviert und bekommt ein neues Dach. Die Bryces haben die Sullivans also unterstützt, auch wenn sie ihren Lebensstil beeinflusst haben.

Als in den frühen Morgenstunden des 26. August 1920 ein sechsköpfiger Trupp irischer Freiheitskämpfer hungrig und übernächtigt am Slipway von Garinish Island anlegte, brannte im Sullivan Cottage noch Licht. Das Kommando des Bantry Battalions war per Boot von Bantry unterwegs nach Glengarriff. Dort würden die sechs Männer am nächsten Tag, dem Markttag, einen Anschlag auf die lokale Polizeistreife ausüben. Früh morgens um 4 Uhr trafen sie im Cottage auf der Insel einen bärtigen Mann an, den man als Mike Garnish kannte. Mike bat die Männer herein ans Feuer und gab ihnen jede Menge Sprotten zu essen, die er in einem großen Topf über dem Feuer gekocht hatte. Der zeitgenössische Bericht von Major Maurice Donegan aus dem Unabhängigkeitskrieg sagt aus, dass die Sullivans auch im kriegerischen Jahr 1920 noch auf der Insel lebten. Die Kirchenbücher von Glengarriff weisen zudem aus, dass die Brüder Mike und Pat im hohen Alter in den frühen 40er Jahren in ihrer Heimat auf Garinish Island starben.

Die Geschichte von der vermeintlichen Vertreibung der Einheimischen macht dennoch deutlich, wie umstritten und ungeliebt der anglo-irische Besitz Garinish Island bei vielen Iren war, und sie zeigt, dass die Wunden der Jahrhunderte währenden Konflikte zwischen den Einheimischen und den englischen Kolonialherren bis heute nicht verheilt sind. Zwar galten die Bryces zu Lebzeiten bei Einheimischen auch als Wohltäter. Sie brachten Geld, Arbeit und Ideen. Die Gesellschaftsdame Violet Bryce betrachtete sich selber gerne als Irin, machte sich öffentlich für die irische Sache, die irische Sprache und die Unabhängigkeit stark. Sie wurde für ihre Überzeugung sogar zweimal von der britischen Polizei verhaftet – und doch blieb sie den Einheimischen fremd. Ihre der Zeit vorauseilenden Ideen wurden von der Bevölkerung abgelehnt: Man ignorierte sie oder unterstützte sie so lange nicht, bis sie in Vergessenheit gerieten. Und die Bryces schufen Neid, Zwietracht und Disharmonie bei denen, die nicht in irgendeiner Weise vom Bau von Garinish Island profitierten oder am Wohlstand der Familie partizipieren konnten.

 

Garinish Island

Garinish Island, die nahe Insel, in der Bucht von Glengarriff

 

Die Garteninsel Garinish Island wurde, auch wenn immer nur das Ehepaar Bryce und der Edel-Architekt Harold Peto genannt werden, von vielen fleißigen irischen Händen geschaffen. Über 100 Iren aus den umliegenden Orten haben in den drei Gründerjahren an den Gebäuden, Pflanzbeeten, Tennis- und Crocketplätzen, den Wegen und dem kleinen Pier gebaut. 60 Arbeiter beschäftigte alleine der örtliche Bauunternehmer Robert Kelly auf dem Eiland. Sie alle kommen in der offiziellen Würdigung des Werkes »Garinish Island« allerdings bis heute nicht vor. Noch nicht. Dies lässt manche Menschen in Glengarriff bis heute schlecht über die Insel sprechen, von englischen Bäumen, die besser umgesägt gehören, anstatt sie in einem Garten zu präsentieren.

Die noble Familie Bryce konnte am Ende ihre Träume im Inselgarten-Paradies bei Glengarriff nicht verwirklichen. Sie hatte viele Schicksalsschläge zu verkraften. Im Jahr 1910 starb ihr jüngster Sohn Nigel mit 17 Jahren an Leukämie, in der russischen Revolution von 1917 verlor die Familie einen Großteil ihres Vermögens; das geplante siebenstöckige Herrenhaus, das den Martello Tower als Musik- und Schlafzimmer von Violet Bryce integrieren sollte, wurde deshalb nie gebaut. Statt dessen zogen Violet und Sohn Roland nach dem Tod von Familienpatriarch John Annan im Jahr 1923 in das schlichte Haus im Nordosten der Insel, das ursprünglich für den Chef-Gärtner gebaut worden war.

Dieses im Jahr 2015 nach aufwändiger Renovierung als Museum eröffnete Gebäude wird heute der Öffentlichkeit als Bryce House präsentiert. Während der Führungen erfährt man viele Details aus dem Leben der Bryces, der lebenslangen Hausangestellten Maggie O’Sullivan und des legendären schottischen Gärtners Murdo McKenzie. Das alte Sullivan-Cottage liegt nicht weit entfernt in einem abgesperrten Teil der Insel; über das Schicksal und Leben der irischen Familie Sullivan erfährt der Besucher – abgesehen von einem mageren Satz im Inselführer – gar nichts.

Maggie O'Sullivan

Maggie O’Sullivan (Foto: Dorothy Scott)

Es mag eine Frage der Zeit zu sein, bis die irische Bevölkerung in Glengarriff bereit ist, die irische Seite der Geschichte von Garinish Island offen und selbstbewusst zu erzählen. Einstweilen singt sie noch immer das märchenhafte Lied der noblen britischen Familie Bryce und ihrer berühmten Freunde und Gäste, das sich wunderbar verkauft. Wohl deshalb haben sie sich längst mit dem britischen Narrativ arrangiert  und profitieren prächtig von ihm. Schon zu den Zeiten der Bryces hatten die Sullivans einen guten Zugriff auf die Insel-Ressourcen. Die Haushälterin der Familie, Margaret Sullivan, war im Alter von 14 Jahren in den frühen 20er-Jahren ebenfalls aus Bocarnagh auf die Insel gekommen – und lebte dort fast bis zu ihrem Tod im Jahr 1999. Sie war mit den Sullivan Garinishes verwandt und erarbeitete sich im Lauf der Jahrzehnte eine starke Stellung.

Maggie The Island, wie sie in Glengarriff hieß, nahm bald entscheidenden Einfluss auf die Anstellung von Arbeitskräften. Sie integrierte das O wieder in ihren Nachnamen und sorgte mit dafür, dass die Sullivans und O’Sullivans durch die Jahrzehnte kräftig an der Wertschöpfung der Destination Garinish Island teilhaben konnten. Kein Wunder deshalb, dass Gärtner, Arbeiter und Personal auf Garinish bevorzugt ihren Familien-Namen trugen; kein Wunder, dass der aktuelle Verwalter der Insel, Finbarr, ein O’Sullivan und ein Verwandter von Maggie ist; kein Wunder auch, dass der private Fährbetrieb zu der staatseigenen Insel seit Jahrzehnten fest und exklusiv in der Hand der O’Sullivan-Fährleute und derer Cousins der Harringtons und Murphys liegt.

Dennoch gibt es gute Gründe, das Sullivan Cottage für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die ganze Story zu erzählen, beide Seiten der Geschichte zu würdigen und bald auch die frühen Bewohner von Garinish Island und die irischen Arbeiter, die den Inselgarten aufgebaut haben, namentlich in die wahre Story von Garinish Island aufzunehmen: Die ganze Geschichte zu erzählen bedeutet, das gemeinsame Erbe zu akzeptieren und Frieden mit der Geschichte zu schließen.

Ortskoordinaten: 51°44’11.6″N 9°32’37.3″W


Orts-Zeit

 

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Fotos: Markus Bäuchle (sofern nicht anders erwähnt)