100 :: Skellig Michael
Nicht von dieser entzauberten Welt. Ort zwischen Tag und Traum. Insel des Schweigens jenseits des Sagbaren. Fels der Rätsel und des Staunens.
„Das Ding gehört zu keiner Welt, in der du und ich gelebt und gearbeitet haben: Es ist Teil unserer Traumwelt.“ George Bernhard Shaw, 1910
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Ludwig Wittgenstein, Tractatus 1921
„Heutzutage sind wir im Westen im wahrsten Sinne des Wortes korrumpiert von der Begierde, Dinge zu erklären. Unser Verlangen, Dinge zu erklären, verschleiert die Dinge.“ John Moriarty, Dreamtime 1994
Ortskoordinaten: 51°46’15.1″N 10°32’25.9″W
Das Inhaltsverzeichnis in Bildern für ein wachsendes Buch der Tage und der Orte. KLICK.
Alle Fotos: Markus Bäuchle
Wer Skellig Michael nicht kennt, kennt Irland nicht.
Wer Skellig Michael kennt, erkennt Irland nicht wieder.
April 2008
Juli 2013
Mai 2022
Juni 2025
Vielen Dank für all eure Beiträge! Ein Genuss!
Ein schönes Gedicht… auf die Schulter des Augenblicks…berührt mich…
Liebe Grüße, Kathrin
Lieber Markus,
es gibt Orte, die sind nur gemacht für Blicke aus der Distanz, es sei denn, man ist Mönch oder Papageientaucher. Dann darf man sich ihnen bedenkenlos nähern, aber auch nur dann. Die Skellig Islands sind solche Orte. Zwei mächtige schroffe Zacken, einfach in die Wellen des Atlantiks gestellt. Sie scheinen so sonderbar und unwirklich, dass sich der Blick nur schwer von dieser Insellandschaft lösen lässt. Links Little Skellig, eine über und über von Guano bedeckte Vogelinsel, wo auf mehreren Etagen Abertausende Trottellummen, Möwen und Basstölpel logieren, und rechts Skellig Michael, benannt nach jenem Erzengel, der den Satan höchstpersönlich bezwang und auf die Erde herabstürzte.
Zwölf Mönche und ein Abt kämpften sich einst in einem Ruderboot hinaus, um auf Skellig Michael die Gemeinschaft der zwölf Apostel nachzubilden und den letzten Außenposten der christlichen Welt zu gründen. Die Schicksalsgemeinschaft, die sich heute auf den Weg hinüber macht, wird von Tagestouristen aus aller Welt gebildet. Bei gutem Wetter pflügen ihre kleinen Ausflugsboote schäumend weiße Furchen durch das Wasser.
Ich bin noch nie mitgefahren.
Der Sympathievorschuss, den ich in Irland wegen meiner Sommersprossen und rotblonden Haare oft erhalte, schrumpft dahin, wenn ich alkoholfreien Cider bestelle, und er ist in dem Moment restlos aufgebraucht, in dem ich den Wunsch äußere, Skellig Michael zur touristenfreien Zone ernennen zu wollen. Das Geschäft mit der Insel läuft einfach zu gut. In Portmagee beklagen ein paar Einheimische zwar, dass sie während der Hochsaison auf ihren Stammplatz im Pub verzichten müssen, über Touristenmassen, Naturschutz und die Bewahrung ihres kulturellen Erbes mag jedoch kaum einer reden, obwohl sie wissen, dass die meisten Passagiere die zweistündige Tour über den unruhigen Ozean nicht auf sich nehmen, um ein frühchristliches Kloster auf einer abgelegen Insel zu besuchen. Sie wollen einen Drehort sehen. Zweimal fielen Filmcrews auf Skellig Michael ein, weil das Disney-Imperium dort die perfekte Kulisse für Szenen seiner Weltraumsaga »Star Wars« gefunden hatte. Archäologen, Umweltverbände und die katholische Kirche mahnten die besondere Schutzwürdigkeit der Insel an.
Nach Abschluss der Dreharbeiten wollte weder Disney noch die irische Regierung etwas wissen von Schäden an der mittelalterlichen Anlage und toten Möwenküken, die durch die Rotoren der Helikopter aus ihren Nestern geschleudert worden sein sollen. Sie stritten alle Anschuldigungen ab. Schlimm genug, wäre die Macht Hollywoods nicht auch noch einen unheiligen Pakt mit der Macht des Tourismus eingegangen. Seitdem denken immer mehr Irlandreisende beim Namen Skellig Michael nicht mehr an die wahre Geschichte mutiger Mönche, sondern an fiktionale Sternenkrieger.
So geht die Kommerzialisierung des kulturellen Erbes einfach weiter. Skellig Michael ist dadurch zu einem gewöhnlichen Kassenschlager geworden. Welcher Tourist kann noch so tief beeindruckt sein, wie es dem Dramatiker George Bernard Shaw bei seinem Besuch im Jahr 1910 möglich war? »Den fantastischsten und unglaublichsten Felsen der Welt« hatte er Skellig Michael anschließend in einem Brief genannt, »einen völlig unglaublichen, unmöglichen, verrückten Ort … Ich sage dir, das Ding gehört keiner Welt an, in der du und ich gelebt und gearbeitet haben: Es ist Teil unserer Traumwelt.«
Dass ich entschieden habe, auf einen Besuch der Klosterinsel zu verzichten, bringt den Papageientauchern wenig und mir nur den Ruf des Spaßverderbers. Die Boote, die morgens den Hafen von Portmagee verlassen, sind ja trotzdem voll. Mit individuellen und freiwilligen Entscheidungen lässt sich das Problem nicht lösen, sondern nur durch kollektives Handeln.
Ich bleibe dennoch auf dem Festland und genieße den Blick aus der Distanz, besonders gern am Abend, im Licht der untergehenden Sonne. Oft kann man Basstölpel beobachten, die auf der Jagd nach Fischen wie Speere herabschießen. Rasend schnell und kopfüber durchstoßen die Vögel die Wasseroberfläche, und überall, wo sie eintauchen, sprühen Fontänen empor. Eine Meereslandschaft voller kleiner Springbrunnen, dahinter die Skellig-Pyramiden, die wie gezeichnet wirken, wenn die letzten Sonnenstrahlen feurige Akzente in Rot und Orange auf die Felsen tupfen.
Liebe Nicole
Dein Blick „aus der Distanz“ ist für mich insgesamt sehr beeindruckend und ich möchte mich dafür bedanken. Diese Himmels – Energie- Orte (wie die Mönche einst fanden), diese schroffen Inseln und ihre Vögel zwar in einer gewissen Distanz aber dennoch täglich sehr in Deiner Nähe zu erleben (es ist ja keinesfalls nur der Sehsinn beteiligt) das erklärt mir Deine Entscheidung sie nicht zu besuchen sehr gut.
Ich habe das faszinierende aber auch gefährliche Leben der Vögel an hohen Meeresfelsen: Basstölpel, Trottellummen, Dreizehenmöwen, Tordalke und Papageitaucher… auf anderen Inseln wunderbar (mit gebührendem Abstand, den die Rücksicht auf die Vogelwelt einfach gebietet (es gibt ja wunderbare Spektive und Ferngläser), beobachten können… es ist faszinierend und ja ich finde auch, man sollte ihnen solche Inseln wie Little Skellig und andere komplett überlassen… übrigens, wenn man sich solchen Brutkolonien nähert hat man spätestens bei 100m Entfernung und entsprechendem Wind einen übelsten Guano- Gestank in der Nase, dass es einen fast umhaut. So etwas tun sich Touri’s selten an … die “ eher in der Anzahl eingeschränkten“ Touri’s auf Skellig Michael werden die Vögel nicht vertreiben, ein ziemlich leergefischtes Meer aber wird ihnen eines Tages die Nahrungsgrundlage entziehen… Möge die Macht der Elemente mit den Skelligs sein (ich habe noch nie verstanden, dass Menschen immer mehr in Medien-Scheinwelten wie die Sternenkrieger umherwuseln und darüber vergessen, dass sie dabei vergessen selbst zu leben)
Liebe Sylvia,
selbst wenn alle Besucher so behutsam wären wie Du, würde die schiere Masse – und auf so einem kleinen Fels wie Skellig Michael kann von Masse schnell gesprochen werden – zu einem Problem. Eine der Umweltschützerinnen, die Skelligs Vögel bewachte, bevor sie wegen ihrer Kritik an der Drehgenehmigung für „Star Wars“ gefeuert wurde, berichtete von Touristen, die unbedingt Szenen aus dem Film nachstellen wollen und über Flächen trampeln, unter denen Papageientaucher ihre Höhlen haben. Als wegen Corona keine Besucher auf die Insel gelangten, konnte man eine merkliche Erholung der Populationen feststellen.
Über eine Limitierung der Zahlen, derzeit sind es wohl maximal 180 Touristen pro Tag, wird ebenso wie über die Lizenzvergabe für die Boote immer wieder neu gestritten. Das ging in diesem Jahr so weit, dass einige Betreiber, die keine Genehmigung erhielten, gegen diese Entscheidung klagten.
Dass sich viele einen respektvolleren und geschichtsbewussteren Umgang mit diesem Ort wünschen, spielt in der Debatte meist überhaupt keine Rolle, und dass der Besuch von Skellig Michael nicht ungefährlich ist und es immer wieder zu schweren Unfällen kommt, wird dezent verschwiegen oder bagatellisiert.
Wie klaut man der Henne, das goldene Ei, ohne sie zu töten? Das Überleben vieler Westküstendörfer hängt am Tourismus, aber es gibt sanftere Varianten, von denen alle profitieren – die Urlauber, die Einheimischen und die Umwelt. Und Skellig Michael? Könnte der Sehnsuchtsort bleiben, von dem Du geschrieben hast. Manche Träume sind eben schöner, wenn man sie nicht Realität werden lässt.
Ach Markus, ganz, ganz herzlichen Dank wieder! Die Skelligs sind einer meiner Sehnsuchtsorte und werden es bleiben: ein Traum … in jungen und nicht ganz so alten Jahren sportlich und vollkommen schwindelfrei wäre der Traum erfüllbar gewesen… aber es hat nicht sollen sein… Dank Dir und mancher Fotos und Filmchen bleibt es ein einzigartiger Traum – Ort im Seelenland, wie ein heiliger Schatz…
Ich habe mich immer wieder gefragt wie lange ein Mensch solch ein karges, körperlich extrem anstrengendes und asketisches Leben im sturmdurchtosten Salzwind und dem häufigem Regen führen kann, auch wenn es den Mönchen die Leiter zum seelischen Himmel war…
Eremit sein für einige Zeit aber ist wunderschön, auf so einer Insel ein Weilchen verweilen und diese Natur erleben und das ergriffen und zugleich erstaunt bewundern, was die Mönche dort einst in tiefster Demut in diese steil aufragenden Felsen bauten ist beglückend… ich atme nun wieder durch Dich diese Salzluft, höre die Rufe der Vögel, spüre die Wucht der gischtenden Wellen am steilen Fels und genieße meinen Traum.
Und zum Dank, weil mich Deine Skelligschilderungen so unglaublich berührt haben hier noch ein Gedicht von mir, das ich einst auf einer meiner liebsten kleinen Inseln „in’ne See“ schrieb… (das Gedichte aus meinem Buch schicken wird aber nicht zur Gewohnheit, keine Angst)