020 :: Beara Peninsula; Kühe auf Kuhpfaden

Mein Freund Brendan hat nach Jahren der Abstinenz wieder angefangen, Milch zu trinken. Wenn niemand mehr Fleisch isst und keiner mehr Milch trinkt, dann sterben die Kühe aus, sagt er. Viele Iren haben ein inniges Verhältnis zu Rindern, inniger als zu Schafen. Das Duo Mensch und Kuh ist immerhin eine Jahrtausende alte Erfolgsgeschichte.

Wenn ich zu Brendan fahre, nehme ich gerne eine Abkürzung über die engen Sträßchen an der Küste. Heute dauerte die Abkürzung wieder eine halbe Stunde länger. Unterhalb des Steinbruchs bremste mich ein alter Traktor aus. Padraig Jim brachte seine sechs Tiere von der Winterweide nach Hause auf die Farm in Roosk. Ich durfte zwei Kilometer hinter Traktor und Kühen im gemütlichen Schritt-Tempo her bummeln. Überholen unmöglich: Die Herrscherinnen der Landsträßchen sind hier zweifellos noch immer die Kühe.

Die Kuh heißt in der irischen Sprache Bó. Die Straße heißt Bóthar, der Kuhweg; ein Sträßchen, wie das auf dem ich fuhr, nennt man Bóithrín, im Englischen wurde daraus BoreenEs waren die Rinder, die auf der Suche nach Futter mit ihren massigen Körpern erste Pfade und Wege durch das Dickicht der Ur-Vegetation trampelten. Die Menschen folgten. Aus den Kuhpfaden entwickelte sich das irische Wege- und dann das Straßennetz. Mensch und Kuh helfen sich gegenseitig. Sie sind als Gattung im evolutionären Kampf ein traditionell gutes Gespann. Brendan will, dass das so bleibt.

Nicht nur Brendan ist empört, dass ein Vorschlag der Regierung kursiert, in den kommenden Jahren 200.000 Kühe zu schlachten, oder zu keulen, wie sie es nennen – um das Klima zu retten. Rette sich, wer kann.

Ortskoordinaten: 51°40’44.0″N 9°39’08.7″W (Boreen bei Roosk)


Orts-Zeit

 

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Alle Fotos: Markus Bäuchle