093 :: Der Atlantik, das Meer vor meinem Fenster
Wir sind ans Meer gezogen, weil wir ans Meer wollten, vielleicht mussten. Ich sitze gerne am Meer, ich schaue gerne aufs Meer. Das genügt. Ich muss nichts aufs Wasser und auch nicht ins Wasser – Bootfahren oder Schwimmen sind mir kein großes Vergnügen.
Der Nordatlantik schickt seine Wellen mit unendlicher Ausdauer an unsere Gestade, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr. Seit Jahrzehnten, Jahrhunderten, Jahrtausenden, Jahrmillionen.
Wir kamen aus der Zerstörung, um am Wasser Heilung zu finden. Wenn wir auf den Atlantik schauen, wenn der Blick über die Wasseroberfläche gleitet und am Horizont die Unendlichkeit erahnt, dann werden wir für Augenblicke Teil der Ewigkeit. Träume von Unversehrtheit, Schönheit und Einssein. Lord Byron. I love not man the less, but nature more.
Die Brandung des Atlantiks wispert, murmelt, donnert ihr Lied der Ewigkeit: Immer schon sei sie hier gewesen, länger als Wal, Adler und Mensch. Wir Menschen kamen spät und haben die Erde bald in Brand gesetzt. Wir haben die Kontrolle über das Feuer verloren. Die Erde brennt. Wir heizen die Endlichkeit und die Vergänglichkeit an. Das ewige Spiel der Wellen, die Gleichmut des Wassers ist unsere Hoffnung.
Ich schaue aus dem Fenster, am Morgen, am Mittag, im Sonnenuntergang, in der Nacht. Das Meer ist immer da – mal ruhig, mal wild, immer beruhigend. Wenn der Mensch den letzten Flecken Land zugebaut hat, den letzten Baum gefällt, das Meer würde sich behaupten, würde unseren Gedanken und unserer Seele Zuflucht gewähren, würde unverändert wie immer da sein – dachte ich.
Die Händler der Sicherheit und die Agenten der Angst hatten die geldwerte Idee, das Wasser zu zähmen. Sie pflanzten eineinhalb Dutzend große, bunt leuchtende Bojen in die Bucht. Jetzt kann der trunkene Fischer frühmorgens um halb drei den Weg durch die Muschelbänke mit ausgeschaltetem Navigationssystem finden. Das Meer in der Bantry Bay leuchtet wie ein Nachtclub.
Warum tun Menschen das?
Weil sie es können.
Ich träume von einer Nacht in der Zukunft. Die Lichter sind erloschen. Venus, Orion und Plejaden stehen über dem Meer. Die Dunkelheit legt sich schützend über die Bucht.
Ortskoordinaten: 51°38’28.7″N 9°42’39.9″W (Bantry Bay, West Cork, Irland)
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Alle Fotos: Markus Bäuchle
Hallo Markus,
das klingt ja schon ein wenig nach Endzeitstimmung: „Wir haben die Kontrolle über das Feuer verloren. Die Erde brennt. Wir heizen die Endlichkeit und die Vergänglichkeit an. Das ewige Spiel der Wellen, die Gleichmut des Wassers ist unsere Hoffnung.“
Wenn die aktuelle Entwicklung so weiter geht, die Meeresspiegel steigen und der Golfstrom nicht mehr fließt, könnte man sich folgendes Szenario vorstellen:
Mehr als 80 % der Erde von Wassser bedeckt, der Rest liegt unter einem dicken Eispanzer.
Aber vielleicht kommt es dann doch ganz anders……..
Hoffnungsvolle Grüße nach Irland
sendet
Walter
Lieber Markus, deine Gedanken sind Gold wert und dein Schlussatz, «Menschen tun das, weil sie es können.» hat mich zum Nachdenken bewegt. Warum tut der Mensch Dinge, die ihm langfristig schaden? Ist es wirklich nur deshalb, weil er es kann oder ist das zu kurz gegriffen? Die Wahrheit scheint mir weitaus komplexer, und sie ist unbequem. Geht es wirklich darum, das Klima, den Wald, den Wal oder den ganzen Planeten zu retten? So wichtig diese Slogans auch klingen mögen, so scheinen sie irgendwie vor der Selbstverantwortung derjenigen abzulenken, welche die Zündhölzer in die Hände nehmen und die Welt in Brand setzen. Aber setzen sie den Planeten wirklich in Brand, oder ist es letztendlich nicht so, dass sie sich selbst und alle anderen auf den Verbrennungshügel, ähnlich einem Hexenkult, stellen?
Hand aufs Herz und Asche auf mein Haupt, wenn dem nicht so ist – ist es der Erde letztendlich nicht völlig egal, in welchem Zustand sie existiert? Sie hat schon Eiszeiten, Vulkankatastrophen und Meteoriteneinschläge überstanden. Und sie wird auch noch da sein, wenn wir längst Geschichte sind – ob als glühender LavaBall oder als stinkender, sumpfiger RestPlanet ohne Leben. Die Natur braucht uns nicht. Aber wir brauchen sie – und vor allem brauchen wir uns selbst. Oder ist es so, dass ich mich selbst Illusionen hergebe?
Was wirklich notwendig ist, ist ein Wandel im Denken. Der Mensch muss sich von seinen kollektiv-psychotischen Fantasien verabschieden, vom Irrglauben, er sei das Maß aller Dinge – und sich stattdessen wieder selbst begegnen: Als fühlendes, verbundenes, lebendiges Wesen. Nicht in abstrakten Utopien, sondern im Hier und Jetzt. Wer sich selbst versteht, handelt anders. Wer sich selbst rettet, rettet automatisch mehr. Selbstverantwortung übernehmen bedeutet auch, Verantwortung für andere zu übernehmen, ihnen auf den Weg zu helfen. Vielleicht erleben wir auch einen Paradigmenwechsel von der derzeit herrschenden Entkoppelung jeglichen Verantwortungsbewusstseins hin zu einem höheren Bewusstsein?
Möglicherweise ist es nicht die Frage: «Warum tun wir das?» – sondern: «Wann hören wir auf, so zu tun, als wäre das alternativlos?» Denn wenn wir erkennen, wie sehr unser Verhalten geprägt ist – durch Biologie, Emotion, Gesellschaft – dann können wir auch beginnen, es bewusst zu hinterfragen. Und verändern. Nicht weil wir müssen. Sondern weil wir es können?
Lieber Lorenzo
Nun habe ich vor 2 Tagen erst Deine Antwort hier gelesen und auch lange nachgedacht über Deine Worte. Ja, das wirklich Wichtige ist die geistige Umkehr! So sehe auch ich es schon lange… aber dieses Denken und Fühlen ist nicht neu, sondern auch schon so alt wie die Geschichte der Menschheit. Immer und immer wieder gab es in schrecklichen Zeiten Mutige, die damit begannen, die dann oft mundtot oder ganz tot gemacht wurden aber (siehe das kirchlich geförderte Denunziantentum, die Inquisition mit irrsinnig schlimmen Foltermethoden, das schreckliche Verbrennen von Hexen über so lange Zeit in Europa) um eingrenzend nur EIN Beispiel zu nennen, an das ich mich heutzutage aber leider irgendwie immer wieder erinnert fühle…
Sehr mutige, ja furchtlose Menschen wie der Jesuit Friedrich Spee zu Langenfeld gingen voran um dieser langen Schreckenszeit ein Ende zu bereiten… Es ist nur leider so, dass es immer sehr, sehr einschneidender Momente im Leben extrem vieler Menschen (mit unermesslichem Leid wie nach WK I und II oder mit gezielter Angst/Panikmache wie in der C- Zeit) bedarf, ehe sich langsam auch im Denken wirklich etwas radikal! ändert und eine Umkehr zu etwas erfolgt… das hält dann vielleicht machmal eine Generation oder 2 aber dann… Einmal hatten wir in der Schule jeder ein selbst ausgesuchtes Gedicht vorzutragen. Einer unserer Mitschüler trug ein extrem kurzes aber sehr einprägsames vor, das ich bis heute erinnere:
Als der Mensch
Unter den Trümmern
seines bombardierten Hauses
hervorgezogen wurde,
schüttelte er sich
und sagte:
Nie wieder.
Jedenfalls nicht gleich.
Gedicht : Über einige Davongekommene (Günter Kunert) … Leider hat die Manipulation der öffentlichen Meinung tatsächlich bereits Ausmasse angenommen wie bei einer „Inquisition 2.0″…
Es ist meines Erachtens wirklich nicht die Frage „Warum tun WIR das“ ? Markus hat schon Recht wenn er mit konkretem Bezug sagt: SIE tun es, weil SIE es können! Ja, diese Leute dort haben die Macht (noch) auf Ihrer geldgeprägten Seite. Und solche Leute gab es immer und wird es immer geben… Mich erinnerte der Satz damals sofort an eine Collage aus der (von mir nicht geliebten!) Heute Show des ZDF. Die zeigte die zwei damaligen „Anführer“ der Deutschen Bank im Porträt mit dem Ausspruch: “ In den letzten 5 Jahren haben wir unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Zinsmanipulationen und Pflichtverletzungen über 5 Milliarden Euro Strafzahlungen geleistet. Wissen Sie warum? Weil wir es können!“ darunter stand handschriftlich: „Bescheissen aus Leidenschaft“ DAS ist das : Weil wir es KÖNNEN…
In Markus neuem Thread zum Kuckuck habe ich auch so ein Beispiel beschrieben. Diese vom Farmer totgespritzten braunen, nassen (weil einst wunderschöne, artenreiche Bergfeuchtwiesen) menschgemachten Wüsten machen mich jeden Tag traurig, es ist keine Endzeitstimmung, nein… aber es verletzt meine Seele, solche Massnahmen und deren Folgen so nah erleben zu müssen und täglich anzusehen, so wie Markus bei seinem Blick dort hinaus auf die Bantry Bay…
Sei getröstet Markus, die Menschen werden das Meer niemals zähmen und wenn der große Freund der Ozeane, der Sturmwind einst mal ordentlich diese Leuchtbojen zu dem macht, was sie sind: Schrott… dann wird es wieder Nächte geben, wo das Mondlicht silbern übers Wasser tanzt und Deine /Eure Seele umarmt wird vom Rauschen der Wellen und dem Funkeln tausender Sterne… und der Wind geht dann leise schlafen in Eurer Bucht, die in schützendes Dunkel gehüllt auch Euch mit hinein nimmt in die Weiten der Träume…