Zahnreihe Friedhof Irland

049 :: Irlands alte Schädelstätten

Du bist selten mehr als drei Meter von der nächsten Ratte und nie mehr als drei Schritte vom Tod entfernt, sagt mein Freund Zanon gerne, um traute Runden zu beleben. Als ich 20 Jahre alt war, hielt ich mich für unsterblich. Mit 35 folgte ich der buddhistischen Übung, den Tod ins Leben zu integrieren und ihm jeden Tag Gedanken zu widmen. Im ländlichen Irland ist der Tod heute noch unverdrängter Teil des Lebens – ich werde täglich erinnert, ihn zu würdigen. Dies in Zeiten, da die Trans-Humanisten fiebrig an der Unsterblichkeit arbeiten und unsere größte Demütigung tot geschwiegen, unter Vergnügen, Geschäftigkeit und Alltagslasten verschüttet wird.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, schrieb Paul Celan in der Todesfuge. Ich las den Satz erstmals in den Studentenjahren als grellrotes Protest-Graffiti auf dem Soldatenfriedhof von Heidelberg. Der Tod wird gemeistert in Irland. Hier auf dem Land würdigen die Menschen noch immer den Menschen, der geht, ohne sich zu beklagen, ohne lautstark zu leiden – still bereit, sein Schicksal anzunehmen. He went without complaint. So wird es nicht mehr sein, nachdem die Götter und die Gewissheiten zerstört sind. Die Irish Wake wird ein wenig länger bleiben. Sie feiert den Toten und sein Leben.

Es zählt zu meinen tief-fühligen Vergnügen, traditionelle irische Friedhöfe zu begehen. Sie sind wenig konstruiert, einer natürlichen Schönheit überlassen. Sie wirken chaotisch und haben eine feine innere Ordnung – mit Ausnahme der schreienden Massengräber aus der Zeit der großen Hungersnot. Hier im Zwischenland von Kultur und Natur können die Knochen in Ruhe verbleichen, sich hergeben als Dünger für neues Leben. Meine Gänge der letzten drei Jahrzehnte über die alten Friedhöfe der Insel gleichen Exkursionen in die Lehre der Anatomie. Wir fanden und studierten Wirbel, Rippen, Wadenbeinknochen, Schädeldecken, Schädel und Zahnreihen. Gelebte Vergänglichkeit.

Mit dem alten Irland verschwinden die traditionellen Friedhöfe der Iren. Die erstarkenden Behörden bemächtigen sich der Friedhöfe und der alten Bestattungs-Rituale. Sie treiben ihnen den Geist aus. Tote Gräberfelder für tote Menschen. Richtlinien löschen Traditionen. Andernorts findet der Tod neue Orte und Energien: Friedwälder, Ruheberge. Warum soll es nicht bald irische Ruhemoore und Friedklippen geben?

Ortskoordinaten: (Überall in Irland. Jenseits der Wegweiser)

 


Orts-Zeit

 

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Alle Fotos: Markus Bäuchle


 

Schädel Tuosist