105 :: Die mongolische Jurte in den Schafbergen Irlands
Ich hatte eine Jurte in Irland am Fuß der Caha-Berge. Am irischen Atlantik sind die Herbst- und Winterwinde handgreiflich wild und zerstörerisch. Ich hatte eine Jurte und habe sie nicht mehr. Sie wurde vom ersten großen Sturm jenes zornigen Schattenwinters zerstört. Sie stand nur wenige Wochen.*
Ich habe mich oft gefragt, ob ein tibetischer Tempel auf den Klippen über dem irischen Atlantik die Landschaft ehrt und respektiert. Dabei hatte ich über ein Jahrzehnt vor dessen Einweihung eine mongolische Jurte hoch oben in die Schafberge West Corks gepflanzt. Sie war in der inneren Mongolei hergestellt und auf dem Land– und Seeweg nach Irland gebracht worden. Sie stand im Oktober und fiel im Dezember. Zwei Monate lang leuchtete das kreisrunde Steppenzelt in seinem hellen Regenmantel vom grünen Berg herunter.
Wir Unerfahrenen hatten uns von den Unwissenden beraten lassen. Wir stellten die Jurte ahnungslos in einen Windkamin, an einen Ort, der an ruhigen Tagen einen betörenden Blick auf die Bucht freigab und an anderen von den aufsteigenden Winden gezaust wurde. Der erste der vielen Dezemberstürme spielte mit dem Holzgestänge des Gers wie mit Streichhölzern. Der Orkan löste das Nomadenzelt in seine Einzelteile auf und schickte sie wandern.
Die Bauern der Umgebung hatten etwas zu lachen und eine gute Geschichte zu erzählen. Wir erfuhren, dass Farmer Teile der Jurte jenseits von Curraduff auf dem zwei Kilometer entfernten und 300 Meter höheren Sugarloaf gefunden haben wollen. Sowohl die Erzähler als auch die vermeintlichen Finder waren stets stolz darauf gewesen, nie auf den Pyramidenberg geklettert zu sein. Sie hielten selbstzweckhaftes Wandern für eine grobe Untugend. Wo sie mit ihren Traktoren und Quadbikes nicht hin kamen, gingen sie längst nicht mehr hin – und um die verirrten Bergschafe kümmerten sich ihre Schäferhunde.
Niemand weiß, was die klugen Border Collies gesehen, gefunden und verraten haben. Wahr ist, dass die intakten Reste unserer Jurte heute als Ersatzteile in Belfast genutzt werden. Ich feiere mich derweil als Erfinder der irischen Flugjurte.
Ortskoordinaten: 51°42’14.7″N 9°39’19.5″W
Das Inhaltsverzeichnis in Bildern für ein wachsendes Buch der Tage und der Orte. KLICK.
Alle Fotos: Markus Bäuchle
* Ein Dank an Tania Blixen für die Inspiration.




Ein wenig durch eine schwere Grippe am Schreiben gehindert habe ich in den vergangenen, sehr wachen Fiebernächten viel über diese Geschichte nachgedacht, zumal mein Himorii intensiv mit der Mongolei vertraut und verbunden ist.
Bemerkenswert lieber Erfinder der irischen Flugjurte finde ich so einiges an dieser Deiner Tagebucherzählung. Dass Du es (inzwischen) so mit Humor nehmen kannst verleiht dem schönen Ger einen fröhlichen Glanz.
Welch großen ideellen Wert muß dieses Ger für Euch gehabt haben, dass es aus China (weil Du Innere Mongolei schriebst, kann es nur so sein) zum damaligen Zeitpunkt so weit durch dieses Land und dann zollkontrolliert gut verpackt ausreisen und über einen langen Seeweg bis hier in die keltische Berg- und Mythenwelt gelangen konnte und damit wieder in Eure erwartungsvollen Hände, das allein betrachte ich fast wie ein Wunder… und all dieser unglaubliche Aufwand und auch das immense Geld, das es gekostet haben muss war es Euch wert. Warum?
Ein solches Ger ist nicht nur ein sehr traditionelles Erdenrund, es ist ein zu Hause in einer der unwirtlichsten Regionen der Erde und ohne jeden Bezug zu Irland (egal ob Berge, Küste, Seeufer…)
—————————————–
„Ich habe mich oft gefragt, ob ein tibetischer Tempel auf den Klippen über dem irischen Atlantik die Landschaft ehrt und respektiert…“
—————————————–
Das ist eine interessante Frage (nicht nur in diesem Zusammenhang). Ich würde sagen ja, weil die, die ihn errichtet haben aus dieser tibetischen Kultur gekommen sind, in diesen Teil der Welt, wo sie das frei tun können. Und sie huldigen damit nicht nur ihren Göttern sondern der Welt, wo sie sich befinden.
Was aber bringt jemanden dazu ein Ger oder z.B. ein echtes Tipi eines nordamerikanischen Indianerstammes zu erwerben und zu sich in einen weit entfernten Erdenort zu verpflanzen?
Alexandra David Neel hat Ähnliches mit einem tibetischen Bauwerk in Frankreich einst gemacht um darin zu wohnen nachdem sie unter Gefahr für ihr Leben als erster Europäer (und als alleinreisende verkleidete, mutige Frau noch dazu, die dank des Geldes ihres Mannes all das finanzieren konnte) entbehrungsreich und der Sprache mächtig Tibet sehr lange und seelen- intensivst bereist hatte.
Was war das aber bei Euch? Die Schönheit des Ger?
Für mich waren die wertvollsten Erinnerungen an viele Reisen oft winzig aber kostbar im Herzinnenraum… eine kleine Jadeschildkröte aus China, ein von den dankend schenkenden Indianern selbstgeflochtenes Piniennadel- Körbchen, ein Stein von einem heiligen Seeufer… ein zeremoniell nur für mich am Titicacasee geheiligter Anhänger eines bolivianischen Indio-Schamanen… und gerade in der Mongolei gibt es sehr viele heilige Orte und Stätten, wo man etwas zur Verbindung an den Ort “dort lassen” kann: eine blaue Chadak oder einen Stein oder etwas mit dem man eine besonders tiefe Bindung hat… (Irland hat ähnliche Orte…)
Leider kann man heutzutage so ziemlich alles (nachgeahmt oder nicht) erwerben und auf eigenem Land hinbauen. Ein mongolisches Ger ist ausserhalb der Erde und der Götterwelten denen es huldigt aber nur ein schöner seelenloser Raum, oft inzwischen schon in Mengen überall als Touristenattraktion aufgestellt… wenn das die Mongolen selber machen gefällt mir das auch nicht aber es ist immerhin dann in ihrem Land und zumindest auch innerhalb ihrer kulturellen und religiösen Wurzeln…
———————————————
„Wir Unerfahrenen hatten uns von den Unwissenden beraten lassen. Wir stellten die Jurte ahnungslos in einen Windkamin, an einen Ort, der an ruhigen Tagen einen betörenden Blick auf die Bucht freigab und an anderen von den aufsteigenden Winden gezaust wurde. Der erste der vielen Dezemberstürme spielte mit dem Holzgestänge des Gers wie mit Streichhölzern. Der Orkan löste das Nomadenzelt in seine Einzelteile auf und schickte sie wandern…“
———————————————
Hier – und beim Anschauen der “Gründung” eurer Jurte (Foto 2) – war ich dann vollends sprachlos… das war ja wie eine direkte Einladung an den Orkan !
Wenn mir etwas so unendlich viel wert ist (immateriell!), dann suche ich mir in meiner Ahnungslosigkeit zumindest doch Wissende, die mir sagen und vor allem zeigen! wo am besten und vor allem WIE man ein solch kostbares Ger sicher aufbaut und auch verankert. So meine Gedanken dann weiter…
Wer schon einmal bei Sturm in der Steppe in so einem Ger daheim sein durfte weiß, wie gut die Stämme (egal ob allgemein die Mongolen genannten oder die Kirgiesen oder die Tuwa etc etc) das ihnen kostbarste Heim zu schützen wissen: ein gut verankertes und sicher aufgebautes Ger hält dann fast immer den allerallerstärksten Stürmen stand. Es wird wie ein Zelt rings in der Erde fest verankert und in der Mitte… die Hauptlast trägt das dicke Seil, das man vom Dachkranz innen (man sieht es gut auf Bild 1) herunterführt und mit einem Felsbrocken oder der schwersten Truhe beschwert.
Sie schauen zum Himmel und nach dem Verhalten ihrer Tiere, sie fühlen den Wind und wissen wenn Sturm oder Gewitter heraneilen, dann geht alles ganz schnell und jeder Handgriff sitzt. Gerade auch im Sommer, wenn der Filz seitlich hochgeklappt ist und man daher viel mehr Handgriffe zur Sicherung gemeinsam erledigen muss…
Es ist ein heiliges Erdenrund mit Göttern und Geistern die INNEN und AUSSEN respektiert und geehrt werden MÜSSEN, auch verbunden mit allen Seelen der Verstorbenen im Kosmos der 99 Himmel tief daheim. Deswegen auch die eindeutigen Regeln wo wer sich drinnen aufhalten darf, wie man über den Türbalken hineintritt… dass man niemals Abfall in das heilige Feuer des Herdes werfen darf, wie man Wodka als Hausherr des Ger mit dem Finger verspritzt oder als Hüterin des Feuers Airag oder Milchtee…
DAS alles aber ist vollkommen seelenlos geworden in den Touristenjurten und denen für besondere Gäste, welchletztere auch schon mal mit den Fellen strengst geschützter Schneeleoparden unter wirklich jeder einzelnen !!! Dachstange geschmückt werden…
Es ist wie mit so Vielem: und Du hast es schön beschrieben : die Bauern hatten was zu lachen und eine schöne Geschichte zu erzählen. Schöne Geschichten sind ind Irland sehr beliebt und müssen nicht immer wahr sein… wo auch immer es so manche Dachstange hingerollt haben mag…. Den Titel des ersten irischen Flugjurtenbesitzers hast Du Dir in diesen Geschichten aber sicher herrlich verewigt und allein das wird so manches Lächeln und Lachen in eine schöne Musik- und Erzählnacht zaubern. Daher auch von mir ganz lieben Dank!