078 :: Our Lady’s Hospital, Shanakiel, Cork

Als Kind fürchtete ich mich vor zwei unheimlichen Orten: Ich liebte die Porky Pig Show („Schweinchen Dick“) und jemand hatte erzählt, dass in Schweinfurt die Schweine verschwänden. Noch mehr Angst jagte mir Emmendingen ein. Dorthin würden wir Menschen verschwinden, wenn wir nicht aufpassten.Von den Erwachsenen hatten wir Kinder den Spruch übernommen, den wir nur in sehr ernsten Momenten sagten: „Pass auf, sonst kommst du nach Emmendingen“. Pass auf war die Mahnung zum Unauffälligsein, zum Normal sein, was immer das auch war. Emmendingen drohte denen, die aus der Reihe tanzten, die sich ver-rückt, anders oder daneben benahmen. In Emmendingen wartete die Anstalt, die Klapse, das Irrenhaus, wie die Erwachsenen zum heutigen Zentrum für Psychiatrie sagten.

Am westlichen Stadtrand von Cork, über dem Nordufer des River Lee, thront ein düsterer, mehrere hundert Meter langer Steinbau mit sechs mächtigen Türmen, das Emmendingen der Grafschaft Cork. Die im gotischen Stil gebaute Anlage in Shanakiel wurde im Jahr 1852 als Eglinton’s Lunatic Asylum eröffnet – als Irrenanstalt, benannt nach dem Earl of Eglinton, dem obersten Repräsentanten der englischen Krone in Irland. Mitte des 19. Jahrhunderts sah sich der von England beherrschte Staat in Irland erstmals dazu berufen, Menschen in psychischer, emotionaler und sozialer Not, Kranke, Hilflose, Ausgestoßene und Vernachlässigte zu kasernieren. Der pompöse Bau des Architekten William Atkins kontrastierte dramatisch die hygienischen, medizinischen und sozialen Verhältnisse in den Gebäuden. Die jährlichen Inspektionsberichte lesen sich wie Gruselromane, geändert haben sie meist nichts.

 

Eglinton´s Lunatic Asylum

 

Nicht nur die Kinder im Süden Irlands fürchteten sich fortan vor dem Lunatic Asylum von Cork, das im Jahr 1890 im Osten um den roten Backsteinbau St. Kevin’s Hospital erweitert und im Jahr 1952 in Our Lady’s Hospital umbenannt wurde. Durch die beiden Gebäudekomplexe verläuft bis heute der längste Korridor Europas. Er ist über einen Kilometer lang und steht sinnbildlich für die Monstrosität der Anlage. Irland sperrte im 19. und 20. Jahrhundert die weltweit meisten Menschen in psychiatrischen Anstalten und Nervenheilanstalten weg. Es brauchte nach heutigen Maßstäben meist nicht viel, um in der geschlossenen Einrichtung zu landen: Vor allem in Not geratene Menschen aus der Arbeiterschicht, Arbeitslose, aussortiertes Dienstpersonal, aber auch überproportional viele ältere Frauen, die von ihren Männern verlassen wurden, endeten im Lunatic Asylum. Die Gründe für eine Einweisung waren meist willkürlich: eine traurige Phase, ein Wutanfall, lautes Auftreten oder auffälliges Lachen konnten reichen, um weggesperrt zu werden. Was nach Mittelalter klingt, ist nicht überwunden: Psychisch auffällige Männer wie Donald Trump versuchen selbstbewussten oder lachenden Frauen bis heute einen Strick zu drehen.

 

Eglinton´s Lunatic Asylum

 

Our Lady’s Hospital, von Corks Bürgern nach dem Namen des Aufnahmegebäudes auf dem Hügel von Shanakiel zuletzt meistens St. Anne’s genannt, wurde im Jahr 1992 geschlossen und Jahre später von Westen her saniert. Spekulanten steckten Geld in den Bau von Apartments, benannten das Gebäude in Atkins Hall um. Ein Großfeuer im Jahr 2010 und die lange Finanzkrise – wohl auch das große Unbehagen in der Bevölkerung – ließen das Projekt ins Stocken geraten. Während in einem Teil von Atkins Hall heute Menschen wohnen und das Backstein-Gebäude St. Kevin’s gerade zur Wohnanlage umgebaut wird, steht der Ostflügel des alten Asyls leer, traurig, verlassen, heruntergekommen – die Fenster eingeschlagen, die Räume verwüstet, die Eingänge mit Sperrholz verriegelt.

An einem kühlen, regnerischen Tag im Juli ging ich die lange Fassade von Atkins Hall entlang in Richtung Stadt. Die Vergangenheit ist hier gegenwärtig. Ich meinte die schrillen Schreie der Eingesperrten zu hören, das Klagen, das Weinen, das Bitten, spürte den Schmerz, das bleischwere Leid von tausenden Menschen, das diese alten Mauern nicht verlassen kann. Spuren von Brandstiftung, Verwüstung, Gewalt. Das düstere Gebäude ragt wie ein eiterndes Geschwür aus der dunklen Vergangenheit und dem kollektiven Unbewussten. Nur einige hundert Meter entfernt die ehemaligen Wäschereien der unbarmherzigen Schwestern, die Magdalene Laundries der katholischen Kirche, Anstalten für „gefallene Mädchen und Frauen: Saint Vincent’s in Shandon, der Good Shepherd Convent in Sundays Well. Immer wieder brannten diese Hallen des Schmerzes und des Leids, loderten hell in der Nacht von Cork, bis lediglich steinerne Gerippe übrig blieben. Es heißt, dass nur die Energie des Feuers die Stadt von dieser Schande reinigen und den Menschen inneren Frieden bringen kann.

 

Ortskoordinaten: 51°53’47.8″N 8°30’50.7″W

 


Orts-Zeit

 

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Alle Fotos: Markus Bäuchle