087 :: Rossdohan Island, Insel der zebrochenen Träume
Irland ist noch immer das Land der aufgegebenen und der verlassenen Orte. Orte, von denen die Menschen vor 200, vor 100 oder auch nur vor 20 Jahren weg gegangen sind – weil sie ein besseres Leben suchten, weil sie es nicht mehr aushielten, weil sie starben und keine Erben hatten, zumindest keine, die sich einigen konnten. Manchmal gehe ich an einen verlassenen Ort, um zu spüren, wenn die Zeit still steht.
Rossdohan Island ist solch ein Ort. Rossdohan liegt an der Südküste der Iveragh Peninsula in der Kenmare Bay zwischen Tahila und Sneem, einen halben Kilometer Luftlinie vom alten Parknasilla Hotel entfernt. Die 53 Hektar große Insel, die um 1950 mit einer Steinbrücke mit dem Festland verbunden wurde, ragt gegenüber dem Kilmakilloge Harbour auf der Beara Peninsula von Kerry her in die Bucht von Kenmare. Auf dieser versteckten Insel hatte sich im späten 19. Jahrhundert der anglo-irische Chirurg Samuel Heard mit seiner australischen Frau Kate Bradley nieder gelassen. Die Heards ließen einen wilden naturnahen Park im Stil des Gärtners William Robinson anlegen und bauten 1875 ein großes exzentrisches Haus auf die Insel, dessen dachlose Ruine heute vor sich hin wittert. Die IRA hatte das herrschaftliche Haus der begüterten Familie im Unabhängigkeitskrieg vor über 100 Jahren in Brand gesteckt. Ein Nachbau brannte in den 50er jahren ab.
1991, zwei Jahre nach der Wende, kaufte der Ostdeutsche Manfred W. Rossdohan Island und zog mit Partnerin und Kindern in das noch relativ intakte Verwalterhaus. Die Familie aus Deutschland hatte große Pläne. Sie hatte sich mit Vorräten und Baumaterialien eingedeckt, um eine lange Zeit auf der abgelegenen Insel in Kerry zu bleiben. Die Träume zerbachen irgendwann um das Jahr 1998, dem Jahr, als die Lebensmittel in der Küche und im Vorratslager abliefen. Manfred W. starb im Jahr 2002.
Das Haus hat seitdem einige betrunkene Vandalen kommen und wüten sehen. Und doch ist die Zeit dort vor 25 Jahren stehen geblieben. In den Regalen deutsche Konserven von Landsknecht, Kartoffelsuppe, Pichelsteiner Topf und Erbsensuppe, Linseneintopf, Onko-Kaffee, Ubena-Gewürze, Kräutertees von Herba, Dr. Kriegers Bienenhonig; Schuhe, Männer-, Frauen- und Kinderkleider, eine bayerische Lederhose, deutsche Bücher von Bölls Irisches Tagebuch bis zum Kosmos Naturführer Bäume, Spielzeug, Puppen . . .
Die deutschen Robinsons haben es nicht geschafft. Sie ließen alles stehen und liegen und verließen Rossdohan. 20 Jahre später, im Jahr 2020, kaufte einer der schwerreichen Menschen dieser Welt, der schweizerische Geldjongleur Jacqui Safra, Rossdohan Island. Ihm gehört – auch wenn Gläubiger hinter seinem Multimillionenvermögen her sind – das benachbarte Parknasilla Hotel und die nahe Garinish Island. Safras Geschäftspartner Tony Daly ließ verlauten, dass Safra den verwilderten Park von Rossdohan vor der kommerziellen Ausbeutung bewahren will. Time will tell, sagen die Leute.
Derweil wachsen im Elternschlafzimmer auf Rossdohan Island die Pflanzen aus dem Boden und aus der Decke. Auf zwei Ständern die Mode der 90-er Jahre. Wann wohl wurden diese Jeans, die Strickjacke, die weißen Sneakers zuletzt von wem getragen? Was wohl machen diese Menschen heute, während die Zeit hier vermeintlich still steht und die Natur sich langsam und doch machtvoll das Menschenwerk einverleibt und verdaut . . .
Ortskoordinaten: 51°48’15.4″N 9°51’59.6″W
Fotos: KB
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Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben: Markus Bäuchle
Hallo Markus, sehr schöner Bericht.
Wir waren 2004 auf der Insel, kamen zufällig mit dem Boot vorbei und haben für einen Stop angelegt, um die „Abenteuerinsel“ zu erkunden. Wir hatten vorher keine Ahnung von der Geschichte der Insel. Ein sehr beeindruckender Stop….Das Verwalterhaus machte damals den Eindruck, als sei es noch bewohnt. Aber es war ja noch nicht lange verlassen, wie ich jetzt weiß. Wir machten also einen großen Bogen um das Haus…der Garten war schon damals der absolute Hammer. Ein subtropisches Pflanzenparadies.
Spätere Erkundigungen über die Inselgeschichte bei den Locals ergaben ( alles Rumours):
Der letzte Brand 1952 wurde durch ein durch den Kamin nach aussen getragenes Glutstückchen entfacht, das das reetgedeckte Dach entzündete.
Angeblich stammte das Geld für den Kauf des Hauses aus Stasi-Vermögen…..das Anwesen diente möglicherweise also als „Geld-und Personenspeicher“
Faktencheck steht aus.
Der Verkauf der Insel an Jacqui Safra fand 2020 statt.
Auf jeden Fall ein unvergessliches Erlebnis!
Slán! Daniel
Ja klar, danke Daniel, Safra kaufte 2020, den Zahlendreher habe ich korrigiert.
Verlassene Häuser, egal ob Wohnhaus oder Fabrik, haben eine besondere Faszination und machen mich immer nachdenklich….
So ähnlich wie der Besuch einer Kapelle / Kirche wenn man sich alleine darin aufhält.
Eine Frage an dich als Schriftsteller habe ich noch:
„20 Jahre später, im Jahr 2002, kaufte einer der schwerreichen Menschen dieser Welt, der syrisch-jüdisch-schweizerische Geldjongleur Jacqui Safra, Rossdohan Island.“
Hättest du auch muslimisch – christlich – katholisch – evangelisch – hindu – sikh und welche Glaubensrichtungen es sonst noch geben mag, gesondert erwähnt??? Es gibt sicher genügend Geldjongleure anderen Glaubens, der aber nie erwähnt wird…….
Mit verwunderten Grüßen
Walter
Lieber Walter, danke für den Hinweis. Ich will die Bezeichnung nicht verteidigen und nehme sie mit einer Entschuldigung raus.
Danke
Herzlichen Gruß nach Irland
Walter
Das ist aber eine sehr traurige Geschichte.
Was ist mit den Menschen passiert?
Wow, das ist für mich faszinierend und irgendwie gruselig zugleich. Es sieht mehr so aus, als hätten die Menschen hier die Flucht ergriffen, alles stehen und liegen gelassen. Danke fürs Erzählen der Geschichte.
Lieber Markus, ein schönes Beispiel dafür, dass man die Zeit offensichtlich zum “Anhalten” bringen kann, wenn man die Dinge einfach ruhen lässt – ob freiwillig oder nicht. Zur Zeit begegne ich Ruinen, verlassenen Häuser und Zeitzeugen vergangener Zeiten, manchmal traurig, manchmal glorreich. Da bleibt mir doch grade noch etwas Zeit, dich aus Corleone zu grüssen.