Irland Polizei

 Irland ist anders. Dieses viel gesungene Mantra gilt ganz besonders für den Straßenverkehr. Mutmaßlich fahren auf Irlands Straßen, verglichen mit anderen europäischen Staaten, die mit Abstand meisten Automobilisten, die niemals einen Führerschein gemacht haben. Auch Bürgerinnen und Bürger, die den Führerschein aufgrund von Vergehen “verloren” haben, müssen sich nicht sonderlich Sorgen machen und fahren im Zweifelsfall ohne weiter. Und wer zu schnell fährt, am Steuer telefoniert oder einen über den Durst getrunken hat, eigentlich auch nicht. Noch nicht.

Wer mit dem Handy am Steuer textet oder telefoniert, riskiert wenig: Die Chance, entdeckt zu werden, ist aufgrund der wenigen Verkehrskontrollen gering. Und wer “auffliegt”, muss sich keine großen Sorgen machen, denn die Chance, ohne Punkte und Strafe davon zu kommen, ist groß.  Die vom damaligen Verkehrsminister Leo Varadkar vor zwei Jahren angekündigte Großoffensive gegen die Handy-Benutzer am Steuer ging schon im letzten Jahr sang- und klanglos unter: Das Gesetz, das 2000 Euro Strafe und einen automatisches Gerichtsverfahren vorsah, wurde von der Polizei gar nicht erst umgesetzt: Es sei zu unpräsise und gebe der Polizei keine klare Handhabe für die Feststellung von Verstößen. Die Zahl der Verurteilungen nach dem mit viel Hallo angekündigten 2000-Euro-Gesetz: null. Es gilt nun wieder das alte Gesetz, dem zufolge das Halten eines Handys im Auto verboten ist. Ob allerdings die Straf-Punkte im Zweifelsfall auch den Weg zum Fahrer finden?

Wer mit Alkohol am Steuer unterwegs ist: dasselbe. Im Land, wo Populisten wie Danny Healy Rae unverdrossen fordern, dass dem nach Hause fahrenden Landmann drei Pints Bier erlaubt sein müssen,  um der Vereinsamung zu entfliehen, wird unverdrossen gesoffen und gefahren. Das Risiko bleibt allenfalls für andere Verkehrsteilnehmer hoch. Diese Woche brachte die Irish Times ans Tageslicht, dass selbst wer wegen einer Trunkenheitsfahrt vor Gericht erscheint, gute Karten hat, ungeschoren davon zu kommen: Von Januar 2013 bis Mai 2015 wurden gerade einmal 40 Prozent der Angeklagten am Ende mit einer Strafe belegt. Dabei bleibt unklar, ob sie diese beglichen haben, denn es ist bis heute gute Sitte in Irland, seinen Führerschein auch vor Gericht trotz entsprechender Vorschriften nicht abzugeben, sondern ihn nach einer Verurteilung weiter zu benutzen. Und selbst, wenn die Fahrlizenz tatsächlich eingezogen wird: egal. Heute schreiben die Zeitungen, dass in den vergangenen zwei Jahren 521 Fahrer, denen der Führerschein tatsächlich entzogen worden war, schwere Unfälle mit Verletzten oder Toten verursacht hätten.

Warum geht es auf Irlands Straßen, wenn auch oberflächlich vergleichsweise wohl geordnet und zivilisiert, derart chaotisch zu? Warum versagen Gesetze, Polizei und Gerichte? Darüber streitet gerade wieder die ganze Nation. Der Verkehrminister hat  – wieder einmal – eine radikale Überarbeitung der Straßenverkehrsgesetzgebung angekündigt. Die Gesetze aus den 60-er Jahren gelten als verworren, unübersichtlich und unzeitgemäß. Wer das nötige Kleingeld für einen halbwegs kundigen Rechtsanwalt aufbringt, kann zahlreiche Schlupflöcher und Schwächen in der Rechtsprechung nutzen, um einer Strafverfolgung unbeschadet zu entkommen. Auch lasche Kontrollen durch die Polizei oder die Tatsache, dass Polizisten oft vor Gericht nicht mehr erscheinen, um als Zeugen auszusagen, werden als Ursachen für die Anarchie auf Irlands Straßen genannt. Oder das Versagen der Dokumentations-Systeme: E gibt keine zentrale Datenbank für Verkehrssünder. So gehen Führerschein-Nummern auf dem Weg durch die Institutionen leicht verloren, finden Strafpunkte oft nicht den Weg zu ihren rechtmäßigen “Eigentümern”.

Es ist aber auch wahr, dass es auf Irlands Straßen nicht ungesitteter und gefährlicher zugeht als auf den Straßen in anderen Ländern Europas. Im Gegenteil: Trotz der herrschenden Anarchie fährt man hier zivilisiert, vergleichsweise rücksichtsvoll und in der Regel ziemlich geübt und gut. Die engen Straßen auf dem Land verzeihen es nämlich nicht, wenn man nicht fahren kann.

Popp Stolizei: Der Ruf nach mehr staatlicher Kontrolle wird indes auch auf der grünen Insel immer lauter. Bürger-Initiativen beißen sich an Einzelfällen fest und fordern striktere Gesetze, stärkere Kontrollen, eine zuverlässige Umsetzung des Rechts und somit den üblichen Rechtsstaat, wie man ihn in Kontinental-Europa kennt. Tatsächlich könnte diese gesellschaftliche Kontroll-Fraktion in den kommenden Jahren große Fortschritte machen, denn die moderne Computer-Technik macht möglich, was papier-getriebene Verwaltungen nicht immer auf die Reihe bekomm:  Die lückenlose Überwachung der Menschen und eine von Menschen relativ unabhängige, leidenschaftslose und automatisierte Durchsetzung von Prozessen und Prozeduren.

Meine Prognose: Das Ende der zivilisierten Anarchie auf Irlands Straßen wird gerade programmiert. Die Rest-Hoffnung: Auch Irlands mit Millionenaufwand aufgebautes Postleitzahlensystem funktioniert nicht und die superschlauen Wahlcomputer endeten auf dem Elektronikschrott.

Mehr zum Thema: The Irish Times

Foto: Eliane Zimmermann