Zwölfkühesee_by_Wanderlust_Wandern in Irland

Der Zwölfkühe-See: 12 oder doch nur 9 Kühe?

Schwitzen. Gestern nacht in der Sauna. Da sage einer, Männer könnten nicht “Kaffekränzchen”. Auf ihre Art eben. Wir wagten beim Schwitzen im Sauna-Häuschen am Atlantik wieder einen langen “Ausflug” durch das Irland der Gegenwart, dort wo Tradition und Moderne so einzigartig nebeneinander existieren. Wir hörten die fabelhaften Geschichten der Alten, von verlassenen spukenden Häusern, in denen nachts Lichter in den merkwürdigsten Farben aufleuchten, von den Nachbarn, die an der alten Packesel-Route lebten und nachts im Halbschlaf die Esel aus vergangenen Jahrhunderten am Haus vorbeitrotten hörten; von dem Kind ohne Eltern, vom nachlässigen Bauern, der einmal zwölf Kühe im See hoch über dem Dorf ertränkte, weil er einen alten Fluch beenden musste, vom Bauern, dem aus demselben See von göttlicher Hand neun Kühe zuwuchsen.

Wir wissen jetzt, warum der “See der zwölf Kühe” (Twelve Cows Lake) eigentlich “See der neun Kühe” heißen müsste, und wir wissen, wo wir die alten Geschichtenerzähler finden, die die Volkssagen aus unserem Dorf noch alle kennen. Die Zeit, so sagt man, sei nicht auf unserer Seite.

Schwitzen. Ein wenig unheimlich das moderne Irland: Ein Freund erzählt, der 24-jährige Sohn ist der letzte seines gesamten Schul-Jahrgangs, der noch im Land lebt, All seine Freunde und Klassenkameraden haben sich davon gemacht, um anderswo Arbeit zu finden, suchen ihr Glück und ein Leben in Kanada, Australien, Neuseeland, in den USA oder in Großbritannien (wo es derzeit auch nicht viel zu gewinnen gibt). Die Auswanderungswelle der hundertausenden jungen Menschen hält an. Man kann nicht sagen, dass die Stimmung in Irland schlecht ist, die meisten Menschen mit Sorgen und Zukunftsängsten halten sich nicht sehr lange damit auf, sie packen die Koffer und machen sich auf und davon. Die Arbeitsvermittlungsbörsen, wo den Angeheuerten gleich noch ein Langstreckenflugticket mitverkauft wird, sind die Renner der Saison. Traurig. Aber wahr. Wie gut, dass wenigstens Irlands Regierung die Wirtschaft im Land schon im kommenden Jahr wieder raketenmäßig abheben sieht.

Schwitzen. Ja, die Hauhaltssteuer, auch bekannt als Wohneigentumssteuer oder Immobiliensteuer: Zahlen oder nicht zahlen? Die irische Regierung schröpft ihre Bürger derzeit an allen Ecken und Enden. Nun führte sie eine Haushaltsabgabe für jeden Haus- und Wohnungseigentümer ein, die zunächst pauschal 100 Euro pro Jahr beträgt. Mit der Steuer, die im Lauf der kommenden Jahre kräftig erhöht werden dürfte (im Umlauf sind Summen von 500 bis 2500 Euro), will der Staat die klammen Lokalverwaltungen, die staatlichen Services und Infrastruktur-Aufgaben finanzieren.

Das Problem: Die bislang allzu geduldigen Iren haben endlich ihr Widerstands-Thema gefunden und widersetzen sich dieser Steuer und der Registrierung ihres Wohneigentums massenhaft. Am 31. März müssen die 100 Euro bezahlt sein, doch bislang haben 85 Prozent der 1,6 Millionen Wohneigentümer diese neue Steuer nicht bezahlt. Überall im Land treffen sich Steuer-Boykotteure zu öffentlichen Sitzungen und bieten der Regierung die Stirn: “Wir zahlen nicht die Zeche für Spekulanten und kriminelle Banker und Politiker”. Die Regierung überlegt sich derweil, ob sie einknicken oder den Widerstand mit einigen spektakulären Musterprozessen brechen soll. Die politische Temperatur steigt täglich ein wenig mehr Richtung Siedepunkt. Wir schwitzen und fragen uns: Zahlen oder warten?

Schwitzen. In zehn Jahren Sauna-Talk haben wir eine Menge Themen tropfnass Revue passieren lassen. Wir hatten reichlich zu reden über dieses schöne Land, das einst das Armenhaus Europas war, das sich dann aufmachte, das reichste Land Europas zu spielen und zehn Jahre Tanz mit dem Kelten-Tiger und Wohlstands-Party zu feiern, und das nun in einer beispiellosen Wirtschaftskrise vor sich hin darbt und von Schulden schier erdrückt wird. Werden wir irgendwann auch den nächsten Aufschwung hier bereden? Und was kommt davor: Der Aufstand der allzu Geduldigen? Schwitzen. Eintauchen. Abkühlen. Alles wird gut.

Foto: Wanderlust / mab 2012