Irischer Sonntag. Das Full Irish schmeckt heute nicht richtig. Vor drei, vier Jahren wurde auf den Irland-und-andern-Blogs dieser Welt tatsächlich noch lebhaft diskutiert, disputiert, auch mal gestänkert, beleidigt und unter die Gürtellinie geschossen. Ich habe mich in der Zeit hin und wieder aufgeregt über Grenzüberschreitungen und schlechten Stil. Immerhin, so erkenne ich heute, waren derlei Äußerungen Zeichen von Rest-Engagement und von einer gewissen Lebendigkeit.
Derzeit wird gerade nicht gerne diskutiert. Schon gar nicht kontrovers. Facebook und andere Kommunikations-Quickies haben sich wie Mehltau über die Internet-Landschaften gelegt — und die meisten Menschen wirken auch online zu erschöpft, um sich einer anstrengenden Debatte auszusetzen. Sie geben sich mit tausend „Likes“ pro Woche, netten Bildchen von irgendwas, mit nach Anerkennung schreienden „Ich-hab-wieder-selber-was-hergestellt-oh-mein-Gott“-Posts oder der Perfektionierung ihres öffentlichen Erscheinungsbildes in der Onlinewelt zufrieden.
Nenad Ptic, einer der Provokateure in der „alten“ Online-Zeit, stellte vor kurzem auf Facebook ernüchtert fest:
„Solange man irgendwelche unverfänglichen Bildchen oder Storys postet, ist alles Kerry gold. Aber wehe man postet was Ernstes. Interessiert keine Sau! Sagt mal Leute, ist euch alles scheissegal oder was?!“
Nenad hatte auf FB gerade die Gefahren eines aufziehenden großen Krieges geschildert — und dafür nicht einmal eine Handvoll Interessierte gefunden. Ja, was ist los mit uns? Wir jungen und alten Europäer, sind wir alle so erschöpft, ernüchtert, desillusioniert, deprimiert oder gar so satt und selbstzufrieden, dass uns der Gang der Dinge gar nichts mehr angeht? Die „Dinge“ gehen im Großen und Ganzen seit geraumer Zeit grob in die falsche Richtung. Wir alle spüren und wissen das. Überall Kriege, Krisen, vor allem aber die sich anbahnende ökologische Katastrophe und der ungebremst wütende, die Krisen verursachende Kapitalismus: Wir hätten genügend Gründe, um auf die Straße zu gehen. Statt dessen gilt der alte Sponti-Spruch mehr denn je: „Es gibt viel zu tun. Lassen wir´s sein“. Und wenn dann doch einmal etwas passiert, nässen sich Leute massenhaft bei einem zweifelhaften „Ice-Bucket-Challenge“ für einen noch zweifelhafteren Zweck ein, der weitgehend unerkannt bleibt. Aber das nur nebenbei.
Es liegt an uns, endlich wieder nach den Zügeln zu greifen — und den Gang der Dinge nicht den Wenigen zu überlassen, die davon auf Kosten der Vielen profitieren. Die Zeit dafür könnte nicht besser sein: Was sich uns als Krise, Bedrohung und Zerfall zeigt, ist genauso sehr Chance, Neuanfang und Chance. Warum also tun wir nichts, noch nicht einmal diskutieren? Kann es sein, dass derzeit viele Menschen bei sich selber anfangen, weil alle Veränderung nur bei und in uns selber beginnt, und dass das ein eher „stilles Geschäft“ ist?
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Kelten-Tiger 2.0: Ich hatte es gestern im Bericht über Christy Moore kurz angedeutet: Über Irlands Weg in die Zukunft darf gerätselt werden. Da und dort gibt es Anzeichen, die Menschen hier hätten aus den Fehlern der Kelten-Tiger-Jahre Konsequenzen gezogen. Es gibt Hinweise, dass sich die Leute auf der Suche nach der richtigen Zukunft wieder stärker mit ihren alten kulturellen Wurzeln verbinden, dass sie sich wieder in ihre ganz eigene Tradition stellen, dass sie ihre eigene Vergangenheit nicht abermals so missachten wie zu Zeiten des Celtic Tiger, als eine ganze Gesellschaft gierig Jagd machte auf Geld, Land und Status.
Dann allerdings lese ich zunehmend Headlines wie diese im heutigen Sunday Independent, und es wird klar: Der Zug ist längst wieder in die andere Richtung unterwegs und wird medial kräftig befeuert: „The shopping trip to New York, perhaps the ultimate expression of boom time hedonism, is back.“ Sagt allen weiter, titelt der Sundy Independent: Man fliegt in der Vorweihnachtszeit mal schnell wieder zur Einkaufs-Therapie nach New York und lässt die Kreditkarten glühen. Die irischen Hotelbuchungen in New York im November und Dezember deuten stark an: Es geht weiter mit „Shop til you Drop.“ Zumindest für eine zunehmende Zahl konsumwütiger Gaelen.
Damit nicht genug. Derselbe Artikel listet fein säuberlich auf, wie es um die Werte im Land wirklich steht: Schon kauft man wieder massenweise hunds-teure Pferde (die dann bei der nächsten Rezession klapperdürr und hungernd am Straßenrand stehen und von deutschen Edelhelfern gerettet werden müssen); die Zahl der monatlichen Kfz-Neuzulassungen hat im Juli 2014 ein Juli-Allzeithoch erreicht, die Hauspreise in Dublin schießen in die Höhe; Elektronik und Möbel gehen wieder ziemlich gut, und und und. Der Film heißt Zurück in die Zukunft 2.0 .
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Und wie wird das Wetter? Oha, die Stormy Season ereilt uns in diesem Jahr früh: Schon für heute, Sonntagnachmittag, ist Sturm angesagt. 40 Milimeter Regen und Windstärken bis 120 km/h. Da klappen wir die Gartenmöbel zusammen, verstauen die Sonnenschirme. legen die Ohren an und legen uns lesend aufs Sofa: James Salter: Alles , was ist. Spannend wie das Wetter draußen . . .
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Einen schönen Rest-Sonntag wünscht der Wanderer
PS: Wer schon Reisepläne für 2015 macht, mit uns könnt ihr in Irland wandern gehen: www.irland-wandern.de. Die Termine und Preise 2015 sind online.
Fotos: Facebook-Me by Nisha Patel; Markus Baeuchle (Esel); Irish Independent.
Waterford …
https://www.youtube.com/watch?v=hewIbmXG7Og
in der Tat war dieses PEGIDA eine ekelhafte Sache. Der Gründer Lutz Bachmann fordert eine Nulltoleranz Politik gegenüber straffälig gewordenen Zuwanderern in Deutschland. Sein eigenes Strafregister ist jedoch länger als das Telefonbuch von Dresden. Und als Krönung des Ganzen suchte er illegal Unterschlupf in Südafrika vor deutschen Behörden……und so einer Arschgeige laufen Tausende hinterher. Was ist nur los in diesem Land ?
Ich weiss nur eines: die Leute kuemmet es nicht. Bin oefters mal in Aschaffenburg. Dort findet an jedem ersten Montag im Monat eine Montagsdemo statt. Als Demo kann man das jedoch nicht bezeichnen, wenn nur ein paar einsame Gestalten einen Stand errichten, wo sie ihren Frust mehr oder weniger ungehoert in die Welt hinausschreien! Es interessiert wirklich kein Schwein …
Morgen gehts rund in Dublin! Habe 7.12. darueber geschrieben Markus. Du musst den Kommentar nur noch frei schalten … :)
Es tut sich was in Irrland. Am 10.12. gehen die Leute vor das Regierungshaus in Dublin auf die Strasse, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Neuwahlen stehen an. Die Enda Kenny-Regierung wird nervoes. Das alles passiert wegen den neuen Wassergebuehren. Oder besser gesagt: die Wassergebuehren „irish water“ hat die Leute vereint.
Hier in Deutschland weiss sogut wie niemand was davon. Die meisten Deutschen haben ueberhaupt keine Ahnung, was momentan in Irrland passiert. Es interessiert sie auch nicht.
Dabei gibt es parallelen. Wir werden hier genauso verarscht wie die Iren. Bei uns geht es nicht um Wassergebuehren, sondern um Stimmungsmache gegen Russland. Es geht darum, dass man dem gemeinen Volk sugeriert, ein eventueller (kalter) Krieg gegen Russland waere voellig legitim, weil die Russen die Boesen sind. Putin, der neue Hitler usw. Die Medien spielen mit. Und waerend Europa Russland boykotiert, machen die Amis weiterhin gute Geschaefte. Habe gestern gehoert, der US-Dollar sei wieder im Aufwind und der Euro kackt ab.
Jede gegenteilige Meinung wird als Russenpropaganda abgetan. Der russische Geheimdienst hat ueberall seine Finger im Spiel. Und das obwohl mittlerweile jeder Saeugling uber die globale Ueberwachungs- und Bespitzelungstaktik der USA bescheid weiss!
Als ich noch in Irrland gelebt habe, dachte ich, die Iren haetten von nichts einen Plan. Jetzt muss ich sagen, dass das eher auf die Mehrheit der Deutschen zutrifft.
Wen eine Gruenenpolitikerin die Friedensbewegung hierzulande als Nazi rechts bezeichnet und die CSU verlangt, dass auslaendische Mitbuerger zuhause nur deutsch reden duerfen, dann kann ich nur eines sagen: armes Deutschland!
Ich haette nie gedacht, dass so etwas hierzulande ueberhaupt noch moeglich ist.
Der Kommentar des irischen Politikers Luke ‚Ming‘ Flanagan ist brilliant und trifft den Nagel auf den Kopf, weil er im Grunde genommen auch fuer uns Deutsche gilt. Man muss nur die Parteien- und Politikernamen austauschen „and there you go“:
https://www.facebook.com/Lukemingflanagan/posts/730584223685563?fref=nf
@Nenad
Auch hier in Deutschland scheint so ganz langsam ein zartes Pflänzchen einer neuen Friedensbewegung zu entstehen. Am 13.12 ist ein Marsch zum Sitz unseres kriegstreibenden Präsidenten in Berlin geplant. Friedenswinnter nennt sich die Initiative die natürlich direkt von ZEIT und FAZ, die bis zum Anschlag im Hintern der Amis steckt, so unterirdisch mit Dreck beworfen wird. Es gab auch endlich einen Aufruf von 60 Personen aus Politik, Wirtschaft und Medien gegen einseitige Kriegstreiberei des Westens…..alles bislang ein eher laues Lüftchen aber ein Anfang !
Über die Olivgrünen und die CSU sage ich lieber nichts……da fehlen mir ohnehin mittlerweile die Worte. Wie sagte gestern Max Uthoff so schön in Richtung Göring Eckert “ Und wenn jede dahergelaufene Ost Protestantin auf das Grab von Petra Kelly spucken darf“
Was sich bewegt ist PEGIDA: Patriotische Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes. Ich mein, man koennte sich totlachen darueber, wenn es nicht so gefaehrlich waere! Ploetzlich gehen da tausende auf die Strasse, um gegen Moslems, Asylbewerber und Fluechtlinge zu demonstrieren. Das muss man sich mal vorstellen! Montagsdemos nennen die das. Wie bei der Friedensbewegung. Der Unterschied ist u.a., dass bei den Friedensdemos immer nur ein paar hundert Leute dabei sind. Bei PEGIDA sind es tausende! Und das auch noch im Osten, wo der Auslaenderanteil geringer ist als im Westen und der Moslemanteil sowieso. Man hat wieder mal gezielt die Falschen ausgesucht. Statt sich gegen die herrschende Kaste aufzulehnen, nimmt man die Ausenseiter der Gesellschaft als Suendenboecke. Ich koennte kotzen!
Gestern Abend hatte ich Gelegenheit ein 2,5 Stunden Interview von Ken Jebsen mit dem Nachdenken Seiten Gründer Albrecht Müller auf You Tube anzuschauen. Müller ist als absoluter Politik Insider ( war u.a. Wahlkampfleiter unter Brandt ). Für mich haben sich dort über einige Zusammenhänge die mir nicht so geläufig waren wieder einige Dinge zusammengefügt die mir so ganz langsam neben der Zornesröte die blanke Panik auslösen. Sind wir wirklich schon so weit gekommen ? Da Markus unser Link Ping Pong nicht so prickelnd findet schaut einfach mal selbst unter den Stichworten Albrecht Müller KenFM bei You Tube. Ich denke es lohnt sich……
Danke fuer den Tipp, Stephan. Bin gerade dabei.
@Markus
Ein Beitrag von mir vom 9.November wartet immer noch auf Freischaltung …
Hey Stephan! Bin eben gerade mit dem ersten Teil von Albrecht Muellers Interview fertig geworden und kann jetzt schon sagen, dass ich wieder mal viel gelernt habe. Allein schon die Sache mit Peer Steinbrück ist der absolute Hammer! Muellers Zitat: „Peer Steinbrück ist die Perversion der SPD personifiziert.“ trifft ja nicht nur auf Steinbrueck und die SPD zu, sondern auf alle Parteien und deren „Spezialisten“! Wir werden von Verbrechern regiert!
Mag sein, das du Markus jetzt wieder schmunzelnd loslegst ueber mein Politiker-Bashing aber eines ist doch sonnenklar: Wir koennen NICHT einfach so eine Veraenderung herbeifuehren, solange diese Monster an der Macht sind! Dabei sind das ja noch nicht mal die wahren Monster, sondern nur Marionetten der Wirtschaft.
Es gibt da einen Film (ich weiss den Titel nicht mehr), wo es um das alte Thema geht „Mafia gegen den Staat“. Als am Ende ein vom Staat beauftragter Undercover-Agent geopfert wird, sagt der Hautdarsteller folgenden Satz, der sich mir ins Gedaechtnis gebrannt hat:
„Die Mafia und der Staat sind ein und dasselbe. Nur hat die Mafia einen Ehrenkodex. Den hat der Staat nicht!“
Fuer mich trifft das den Nagel auf den Kopf und zeigt, wohin wir alle zusteuern: in die Katastrophe!
sehr gerne Nendad ! der zweite Teil ist nicht minder spannend.
und hier in Deutschland erlebt die GDL für ihren Streik gerade einen Spiesrutenlauf und Herr Weselsky muss mit einer Diffamierungskampagne der deutschen Qualitätspresse fertig werden. Wo bleibt da die hohe Sensibilität des Herrn Bundespräsidenten oder der SPD…..verlogenes Pack !
Urspruenglich war der Streik fuer 100 Stunden angesetzt und die Leute regen sich darueber auf, dass sie nicht puenktlich zur Arbeit kommen. Soweit ist es mit uns gekommen! Es geht nicht darum, dass man garnicht zur Arbeit kommt, sondern nicht puenktlich! Ja, wo leben wir hier eigentlich? Was ist los mit den Leuten? Statt sich zu solidarisieren und einfach mal 100 Stunden garnicht zur Arbeit fahren, geht es hier um Puenktlichkeit. A fucked up nation, that’s what we are.
Und hier mal ein Link fuer freie, unabhaengige Berichterstattung: http://www.Free21.org
„Wie gehst du mit der Ignoranz in deinem Umfeld um? Was sind die Taten, die deinen Erkenntnissen folgen?“
Man koennte auch fragen, was mache ich, dass es besser wird? Meine Antwort: Nicht genug!
Trotz des Lebens, das ich schon immer gelebt habe, hatte ich immer das Gefuehl, es ist nicht genug. Denn auch ich bin nur ein kleines Raedchen im Getriebe. Mittlerweile haben sich jedoch meine Prioritaeten verschoben. Ich bin politisch geworden. Ich habe schon immer das gemacht, was ich machen wollte. Mehr oder weniger. Nicht weil ich ein „rebel“ war oder sein wollte, sondern weil mich das normale Leben einfach nur langweilte. Heute sehe ich mich als ein kleiner „rebel“. Als so eine Art Protestsaenger in der Fussgaengerzone. Dabei geht es weniger um die Lieder, die ich spiele, sondern vielmehr darum was dazwischen passiert. Also zwischen den Liedern, wenn ich mich mit den Leuten unterhalte. Nur mal ein Beispiel: Da kam doch diese nette Dame und sagte irgendwann „Wir leben hier in Deutschland wie im Paradies. Man darf seine Meinung sagen ohne dafuer gesteinigt zu werden!“ „Richtig“ sagte ich „Nur wie lange noch?“
Was viele Leute hier nicht kapieren ist, dass unsere demokratischen und sozialen Strukturen langsam aber sicher abgebaut werden. Bestes Beispiel dafuer sind die USA, wo in den letzten 20 Jahren genau das Schritt fuer Schritt durchgezogen wurde. Nich auf einmal, sondern ganz langsam. Langsam aber sicher. Ist wie mit dem Frosch, den man in’s kochend heisse Wasser schmeisst und er sofort wieder rausspringt. Tut man in dagegen in kaltes Wasser und laesst es langsam kochen, bleibt er so lange drin sitzen bis er stirbt!
So aehnlich geht es uns jetzt. Das Wasser wird immer heisser und wir merken es nicht! Das und aehnliches erzaehle ich den Leuten fast jeden Tag. Ist nicht viel aber immerhin etwas. Ein kleiner Beitrag dazu die Leute aufzuruetteln. Ob’s was nuetzt weiss ich nicht. Aber ich mach’s gerne … :)
Nenads Beitrag weiter oben zu seinem Erlebnis mit dem Hundeleinenwart gab mir zu denken. Nicht im Sinne von wie kleinkariert die Leute in Deutschland sind – das sind sie in Irland ebenso wie in Schwaben oder im Taunus ;-) –, sondern im Sinne von der eigenen Aktionsunfähigkeit.
Hilflosigkeit und Angst vor der eigenen Courage (oder vor dem Liebesverlust oder Nachbarn oder was auch immer) ist der größte Feind von Freiheit und Veränderung. Man kann die Welt nicht besser machen, wenn man stets den Mund hält oder Angst hat.
Ich will euch ein Beispiel geben:
Vorwort: Ich bin eine Stadtpflanze aus Berlin, eine „Emanze“ wie manch männlicher Angsthase gerne sagt, jedenfalls eine Frau mit einer gewissen Erfahrung, dass Nettsein meist im Sande verläuft, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht.
Also: Als ich in mein kleines irisches Dorf zog, freundete ich mich mit einer jungen Frau an, ein Dorfmädel durch und durch, mit einer unterdrückten Intelligenz, aber so angepasst, dass ich sie am liebsten durchgeschüttelt hätte.
Mal abgesehen davon, dass sie der Depp der Familie war, also sich um die Alzheimer-Mutter, die Gehirnhautentzündungs-geschädigte Schwester und den Arsch von einem faulen Bruder im runtergekommenen Farmhaus kümmern musste, war sie so lieb, dass sie eine Vergewaltigung nur beiläufig erwähnte.
Wie? Du hast den nicht angezeigt?
Nee, sagte sie, der ist ja der Schwiegersohn von XY, das würde nur Ärger mit seiner Frau, einer Freundin von mir, und XY geben und keiner würde mehr mit mir was zu tun haben wollen.
Soll ich …?
Nein! Um Gottes Willen! Dann wärst du auch außen vor! Und alle wüssten, dass ich es war! Und wir müssen mit den Leuten im Dorf doch leben! Bloss nichts aufmischen, das Leben geht weiter. No harm done.
No harm done? Hallo? Taliban anyone?
Ich habe damals meinen Mund gehalten, aus Rücksicht auf die junge Freundin. Aber Mann habe ich gelernt, an die entsprechenden Adressen böse Bemerkungen aus dem Hinterhalt loszulassen. Ein bisschen die Rache der Geknebelten. Hilflos und völlig an meiner ansonsten offenen Schnauze vorbei.
Aber ich halte meinen Mund nicht, wenn es um mich oder Sachlichkeiten geht, also keine anderen gegen ihren Willen reingezogen werden. Ich habe im irischen Dorfleben gelernt, wie die Spinnen in meinem Haus zu agieren: Sit quietly, look pretty and then strike.
Ein konkretes Beispiel? Es gibt so einen sehr unangenehmen County Council Worker, im Prinzip Dorfstraßenkehrer im Dörfle. Jedenfalls sehe ich den nur Straßen kehren, Tee trinken oder eben ganze Vormittage in unserer kleinen privaten Cottage-Siedlung im Auto sitzen und Zeitung lesen – die ich sogar aus meinem Arbeitszimmerfenster als sehr großbuchstabig erkennen kann.
Im Prinzip: Es ist ein pissing contest, also ein Machtkampf, wer das Sagen im Dorf hat.
Ich hatte schon auf anderer Ebene Konfrontationen mit ihm, er hasste mich vom ersten Moment an, nicht weil ich Ich bin, sondern weil er einfach Außenseiter hasst, auch meine eher extravagante irische Nachbarin, die auch praktisch aus dem Ausland (Dublin) stammt. Die jedoch mag ihn auch nicht konfrontieren. Sie will eigentlich im Dorf akzeptiert werden und lässt sich daher alles gefallen. Grrrr ….
Jüngst hockte er wieder bei laufendem Motor in seinem Van auf dem Rasen (nicht auf dem Weg!) meiner abwesenden Nachbarin, nachdem er eine langsame Runde auf der kleinen privaten Auffahrt durch die Cottages gedreht hatte, und las Zeitung.
Ich ging also runter zu ihm, ganz schüchtern und verletztlich und blond, und sagte ihm, dass ich mich schrecklich bedroht fühlte, wo doch so ein Mann immer vor den Häusern parkt, wo alleinstehende Frauen leben. Ich wäre so verängstigt, dass ich fast die Guards rufen wollte. It’s so creepy! Ob er nicht lieber ….
Ich bin hier fürs Council, meinte er und blätterte in einem leeren Notizbuch, ohne mich anzuschauen.
Aber das ist hier Privatgrund, warf ich ein. Nix County Council.
I do you no harm, meinte er etwas aufgeschreckt.
Yes you do, and now fuck off or else, meinte ich dann ganz schwarzhaarig.
Und er ward seither nie mehr gesehen.
Geht doch.
Die Moral von der Geschicht?
Selbstbehauptung, sich nicht der Norm und der Schwarmdummheit unterorden, alte destruktive Strukturen aufmischen und sich niemals davon einschüchtern lassen, dass es „doch schon immer so war“.
Wie sagten wir damals so schön? Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.
Es geht also nicht nur darum, den Müll zu trennen, sondern vor allem eine Spur der Veränderung und des Widerstands gegen Verkrustung und Machtansprüche zu hinterlassen. Das mag nicht viel sein, aber was mehr kann man tun?
Und erzähle mir keiner, dass es in Deutschland genauso sei. Glaubt mir, es ist schlimmer. Ich habe auch schon in kleinen Dörfern in Deutschland gelebt. Ich ziehe jedes irische Dorf einem deutschen vor.
Oder kurz: Ich ziehe Irland mit all seiner Kleingeistigkeit vor, weil die überschaubarer und letztlich – doch ja – freundlicher ist. Da ist mehr zu machen als z. B. in einem bayerischen Dorf, wo das Brett vorm Kopf eher einer Betonwand gleicht.
Und die Nazi-Aufmärsche jüngst in Köln machen mir Angst.
Wenigstens sind die Iren so lahm, dass sie ihre Xenophobie und ihr Mistgabelschwingen nur virtuell auf boards.ie ausleben :-D
Und so wenig „rebels“, dass sie bei jedem autoritäten Ton zusammenzucken – har har …
Petra, meine kleine, suesse Feakle-Emanze! :D Irgendjemand sagte mal, alle Paddys haetten Irrland schon laengst verlassen. Uebriggeblieben waeren nur noch Marys. Soviel zum Thema „rebels“ … muahahaaa
Nix süße Feakle-Emanze, Nenad ;).
Wie gehst du mit der Ignoranz in deinem Umfeld um?
Meckern gilt nicht, auch wenn es gesund ist. Was sind die Taten, die deinen Erkenntnissen folgen? Ernsthaft.
Ich lausche bzw. lese ….
@Markus
mein konkretes Projekt eignet sich vielleicht nur bedingt für deine Website. Ich werde versuchen meinen beiden Kindern ( 17 Monate und 4 Wochen alt ) in den kommenden Jahren einen Weg aufzuzeigen in dieser kranken Gesellschaft trotzdem ihren Weg zu finden, ohne zum Zyniker zu werden.
@Susanne
großartiges Buch……habe ich letzte Woche gelesen. Und sein neues Buch Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne liegt bereits vor mir.
Klingt ziemlich ambitioniert und spannend, man müsste es nur thematisch zu fassen bekommen. Wenn Du den Prozess einmal die Woche oder alle 2 Wochen beispielhaft beschreiben könntest, wäre das klasse!