Irischer Sonntag. Das war wohl der Vorführ-Effekt mit positivem Vorzeichen: Am vergangenen Sonntag wunderte ich mich an dieser Stelle über die Teilnahmslosigkeit, das fehlende Engagement, die Diskussions-Müdigkeit und die Erschöpfung vieler Menschen trotz oder wegen der vielen Kriege und Krisen in der Welt. Das Lamento mit der Headline „Interessiert keine Sau“ provozierte bislang immerhin 46 Kommentare — und entgegen aller Erwartungen wird munter diskutiert, was in der Welt derzeit schief läuft und was jeder Einzelne dazu beitragen kann, dies ein wenig zu ändern. Ich hatte kürzlich an dieser Stelle den neuen Roman von Judith Hermann erwähnt, „Aller Liebe Anfang“, ein Buch das unser Gegenwarts-Leben so depremierend realistisch beschreibt: Wer sich durch das apathische, passive, das einsame ereignis- und emotionslose Leben der Roman-„Heldin“ Stella einmal durchgearbeitet hat, der möchte am Ende einfach „etwas tun“, Hebamme sein für die Veränderung zum Besseren. Und doch hegen wir alle zu Recht die Vermutung, dass jegliche Veränderung in uns selber und in unserem eigenen Leben beginnt. Das Private ist immer noch politisch, auch wenn dieser Satz heute eine andere Bedeutung hat als in den 68-er Jahren.
Was also tun: Wir haben die Wahl und die Möglichkeit, unser Leben zu ändern. Wir können uns für unsere Ideale einsetzen, indem wir sie im kleinen Rahmen verwirklichen. Indem wir das tun, was wir sagen und wollen und damit authentisch werden. Indem wir Konventionen und Bequemlichkeit enttarnen, neue Wege gehen, anders sind, etwas riskieren, Vorbild sind. Es gibt heute viele Beispiele von Menschen, die sich einer Idee verschrieben haben und die diese Idee tatsächlich verwirklichen, indem sie ihr Leben ändern.
Da gibt es den jungen Mann, der seinen Besitzstand radikal auf das reduziert, was er wirklich zum Leben braucht: Bald besitzt er nur noch 120 Dinge — und lebt gut. Da gibt es das Paar, das allen Wohlstands-Schnickschnack aufgibt, sich ein winziges Blockhaus baut, in dem es jetzt mit minimalem Energieaufwand und Platzverbrauch lebt. Da gibt es die Menschen, die ihr Auto abschaffen und zu Fuß gehen, und jene, die ein Jahr lang auf den Kauf von „Made in China“-Plastik verzichten, oder die Leute, die nichts mehr einkaufen, was in Plastik-Folie eingeschweißt ist. Oder all die Neu-Veganer, die auf den Verzicht tierischer Produkte komplett verzichten, um die Schöpfung zu würdigen. Oder den Mann, der ein Jahr lang nichts kaufte außer Lebensmitteln. Oder den Mann auf dem Berg, der sich mehr als ein Jahr lang nicht von seinem Grund und Boden weg bewegte, um zu begreifen, was die Immobilität mit dem Menschen macht. Oder den Sucher, der beschließt, über seine Mitmenschen nicht mehr zu urteilen und sie einfach zu sehen wie sie sind. Oder die Frau, die sämtliche Kleidung selber herstellt, sämtliche Nahrung selber anbaut, und die Menschen die komplett ohne Geld leben. Aus der Routine des wohl-ständigen Lebens auszubrechen kann alleine deshalb bereichernd sein, weil wir bewusster, wacher und achtsamer werden.
Was tun? Wir können in unserem Rahmen gezielt versuchen, das zu ändern, von dem wir glauben, dass es geändert werden muss: zum Beispiel den Konsumwahn in die Schranken weisen, das Internet, das sich immer tiefer in unser Leben frisst, eindämmen, bescheidener leben, der Fleisch-, der Plastik- , der Auto- oder der Verschwendungs-Industrie die kalte Schulter zeigen, eben Vorbild sein. Ich habe über die letzten Monate hinweg unsystematisch einige Ideen zum Thema gesammelt und sie einfach ziemlich wahllos in ein Blogformat gefüllt. Die Ideensammlung ist hier zu finden.
Wer Lust hat, ein eigenes Projekt in seinem Leben zu starten und die Umsetzung regelmäßig auf einem Blog zu dokumentieren, ist eingeladen mit zu machen. Einfach anders leben. So könnte es gehen. Die Idee: Wir beschreiben im kommenden Jahr auf einem künftigen Blog (dessen Name, Zuschnitt und Design noch nicht feststehen) mehrere ganz individuelle Langzeit-Versuche in Echtzeit, uns zu ändern, das Leben zu ändern und so einen kleinen Beitrag zu leisten, auch die Welt zu verändern. Wer eine Idee, ein Projekt, einen Plan, ein Anliegen hat: Schreibt es unten in die Kommentarspalte oder schickt mir eine Mail: markus@irlandnews.com .
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Heute heißt es Abschied nehmen. Wir (das sind Eliane von AiDA Aromatherapy und Markus von Wanderlust) beziehen über den Winter ein neues Country House für unsere Wander- und Exkursions-Gäste. Wir freuen uns auf Ballylickey House & Chalets, ein wundervolles Anwesen am Meer in der Bantry Bay zwischen Bantry und Glengarriff (Fotos vom neuen Haus gibt es hier.) In den vergangenen drei Jahren war Ardnagashel House unsere „Home Base“. Wir verbrachten dort mit unseren Gästen eine gute Zeit, das Haus am Meer ist deshalb mit vielen schönen Erinnerungen verbunden. Heute nachmittag feiern wir mit allen Menschen, die in dieser Zeit mit uns zusammen gearbeitet haben, die sich mit uns gefreut und auch mal geärgert haben, den Abschied von Ardnagashel House. Time to say goodbye, time to move on, time for something new. Eines er schönsten Fotos, die in dieser Zeit von Ardnagashel entstanden, hat unser Gast Andreas Tetzlaff gemacht. Wir möchten es an dieser Stelle noch einmal zeigen. Danke Andreas!
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Und wie ist das Wetter in Irland? Die ersten Stürme und mächtige Gewitter haben in den vergangenen Tagen für viele Stromausfälle gesorgt. Tausende Haushalte waren schon wieder ohne Strom. Wir hatten Glück und waren dieses Mal nicht dabei. Inzwischen genießen wir herrliche Herbsttage mit viel Sonne und dem unverwechselbaren irischen Licht. Die Prognose: kühle Nächte, Frühnebel, schöne Tage. Verlockend.
Einen schönen Sonntag wünscht der Wanderer
PS: Wer schon Reisepläne für 2015 macht: Unser Wander- und Erlebnisprogramm Irland 2015 ist online: www.irland-wandern.de. Und nicht nur das: Wir gehen auch auf Wildnis-Tour in Irlands Berge. Eine Woche einfach anders leben: www.irland-wildnis.de
Fotos: Met Eireann (u.), Andreas Tetzlaff (M.), Wanderlust (o.)
Lieber Markus,
eine schöne Idee, bewusster, wacher und achtsamer mit sich und der Umwelt umzugehen; mal die Technik zuhause lassen (und nicht nur darüber zu reden) …
Das Projekt ‚So schön, das Büro unter’m Himmel‘ haben wir letzte Woche in die Tat umgesetzt. Smartphones, Internet und Schreibtisch haben wir gegen eine grüne Wiese am Waldrand, Notizblock und Picknickdicke „getauscht“. Das Ergebnis war grandios: Neben effektiver Arbeit konnten wir u.a. Greifvögel und Rehe beobachten – und sahen dem Tanz tausender Mücken in der Abendsonne zu. Einfach herrlich!
Liebe Grüsse nach Glengarriff,
Sandra
Markus, du solltest die letzte Sonntagspredigt als Pin im Blog ganz oben festnageln. So eine schöne Debatte aber auch …
Zu dieser hier und meinerseits in weniger weltverändernder Laune:
Ich werde ganz schmallippig mit deinem Ballylickey House. Auch Alt- oder Lehnstuhlrevolutionäre haben klammheimliche bürgerliche Träume. Meiner ist, dass ich irgendwann ein Haus am Meer oder in Meeresnähe haben will, möglichst im allerschönsten County Cork. Nichts gegen Clare oder so, aber in Cork stehen einfach die steingewordenen Träume.
Also durchforste ich manchmal die irischen Immobilienseiten und suche mir Traumhäuser aus, je prächtiger, desto besser. Also wenn ich mal im Lotto gewinne…
Ballylickey House war auf meiner Liste: Lage, Ambiente, Platz und shabby-chic Luxus … perfekt! Ein bisschen groß für eine Person und völlig unökonomisch und -logisch, aber hey, a girl can dream!
Nun hat’s der Wanderer – grmphff.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als zuzusehen, dass ich die Welt im Kleinen verändere. Am besten in die Richtung: Ballylickey Houses für alle!
Oder so.
Gratuliere zum Umzug!
Und das Wetter in Clare war allerschönster Herbstsonnenschein!
Hey Petra, die „Predigt“ ist oben angepinnt, für die Ewigkeit bis Weihnachten. Mein letzter Satz dazu: Die Antworten der Zukunft werden wir nicht mit den Erfahrungen aus der Vergangenheit finden. Wir müssen wirklich völlig neu denken und uns von den alten Vorstellungen lösen. Es bleibt kein Stein auf dem anderen.
Du bist herzlich eingeladen, im Ballylickey House nächstes Jahr einmal probezuwohnen. Und es gibt eine Mut machende Mentalität bei unseren Jugendlichen, die das Besitzen ziemlich old school/altmodisch findet. Nutzen und Zugang reichen vollkommen. Danke für die Wünsche
Grüße ins bezaubernde East Clare, M.
Hallo,
vielen Dank für diese immer informative Zeitung. Da ich Irland sehr mag und demnächst mit meiner Jahreskreisgruppe angereist komme schätze ich die Einstimmung sehr. Deine heutige Kolummne,
„The Powr of Less“ o.ä. find ich toll. Hier in meiner Stadt gibt es dazu eine Transition Gruppe in der wir
das Ein oder Andere Verwirklichen, hab schon das Gefühl, dass etwas bewegt werden kann. GEMEINSAM halt, JEDER an seinem Platz! Grüße aus Franken, Evelyn