Irland Freigehege

 

4. Mai 2020, Bank Holiday. Montag.

 

Irland Corona

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Markus . . .

Wir gehen in die Verlängerung. Heute morgen mit dem Gefühl aufgewacht: Das alles ist ein großes globales Missverständnis. Eine panische, angstgetriebene und zunehmend orientierungslose Menschheit hat den Pausenknopf gedrückt, weil sie nicht mehr weiter weiß. Auf dem  Pausenknopf steht ein großes rotes C.  Es geht um mehr . . .

Die Augen aufgemacht: Heute ist May Bank Holiday. Montag. Und täglich grüßt der Esel: Ein neuer Morgen. Und abermals willkommen in der Zweikilometer-Zone.

Doch halt: Es geht mir gut. Meine innere Freiheit war selten größer. Was ich in den vergangenen Wochen auf 12,6 Quadratkilometern Frei-Fläche (hurra, ich habe die Kreisfläche berechnet . . . ) plus dem dazugehörigen Frei-Raum alles gesehen, entdeckt, wieder-entdeckt und mit ganz neuen Augen gesehen habe – es hat mich bereichert.

Noch am Freitag hat uns Leo persönlich auf RTÉ das Zückerchen verabreicht, bevor er wieder die Samt- Peitsche (“Gemeinsam schaffen wir das”) heraus holte: Ab Dienstag, also ab morgen, werden wir aus unserem Zwei-Kilometer-ums-Haus-Käfig ins Fünf-Kilometer-Freigehege gelassen. So muss sich Freiheit anfühlen – die Freiheit der Onager (das sind die wilden Brüder des irischen Esels) im Safari-Park zumindest.

Irlands Premierminister Leo Varadkar hat noch vor dem langen Wochenende die Corona Roadmap für die kommenden Monate bekannt gegeben. Wir gehen erstmal bis zum 18. Mai im milden Hausarrest in die Verlängerung. Zum Besserfühlen, dürfen wir jetzt in einem Umkreis von fünf Kilometern um die Wohnung spazieren, laufen und kraxeln. Die Alten über 70 dürfen jetzt auch wieder auf die Straße (was man ihnen die letzten Wochen über verboten hat, obwohl die irische Verfassung die Diskriminierung qua Alter nicht zulässt).

 

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Irland öffnet wieder. Vielleicht, und ganz langsam. Nach dem 1. Mai soll die Republik in fünf jeweils dreiwöchigen Phasen behutsam wieder gestartet werden, um im August oder September in einer anderen Normalität anzukommen. Das alles natürlich unter dem Vorbehalt des Gesundungs-Fortschritts, der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und des Wohlverhaltens der Bevölkerung. Das Heimbüro soll bleiben, und wenn wir Glück haben, werden am 19. Mai die Park-, Tennis- und Golfplätze wieder geöffnet, die Strände, die Naturschutzgebiete, die Schulen – die allerdings nur für die Lehrer. Bis zu vier Menschen dürften dann im Fünf-Kilometer-Freigehege wieder in einer Gruppe unterwegs sein, verschiedene Geschäfte von der Kfz-Werkstätte über den Optiker bis zum Haushaltswaren-Laden dürften wieder öffnen, und manche Menschen dürften wieder raus zur Arbeit: Gärtner und Bauarbeiter (im Freien).

Einige andere Meilensteine, die wir vielleicht pünktlich erreichen werden: Ab dem 8. Juni soll sich das Freigehege auf 20 Kilometer um die eigene Wohnung vergrößern. Bibliotheken und Märkte sollen wieder öffnen. Ab dem 29. Juni sollen Cafés und Restaurants wieder öffnen, soweit sie die Regeln der sozialen Distanzierung (zwei Meter Abstand, Hygiene etc.) garantieren können. Die Spielplätze könnten wieder öffnen.

Erst ab dem 20. Juli können der Roadmap zufolge Hotels, Camping-Plätze und Caravan-Parks wieder eröffnen. Sie dürfen nur eine bestimme Anzahl von Gästen aufnehmen. Die Hotel-Bars bleiben geschlossen. Ab dem 10. August sollen die Schulen und Universitäten wieder öffnen.  Das Reisen innerhalb von Irland soll dann wieder möglich sein, und die Pubs schließen ihre Türen wieder auf – zumindest die, die bis dahin überlebt haben und die genügend Platz haben, um durstige Gäste weit genug auseinander zu setzen. Wie Social Distancing wohl nach vier Pints funktionieren wird?

 

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Urlaub daheim. Die Regierung macht uns derweil keine Hoffnung auf Auslands-Urlaub. In diesem Jahr ist Heimat-Urlaub angesagt. Allein die Tatsache, dass Irland-Rückkehrer und Einreisende zwei Wochen in Quarantäne gehen sollen, ist eine hohe Hürde. Das lässt auch Rückschlüsse auf den Urlaubsverkehr nach Irland zu. Für unsere Wanderreisen  bedeutet dies: Bis nach den Sommerferien geht aufgrund von geschlossenen Hotels und von Reisebschränkungen erst mal gar nichts. Danach wahrscheinlich nichts oder nicht viel. Das bleibt abzuwarten.

Was es bedeuten wird, in Hotels nur relativ wenige Gäste unterbringen zu können, in Restaurants jeden zweiten oder gar zwei von drei Stühlen leer zu lassen, große Busse für wenig Menschen durch die Gegend zu schicken und die wenigen Gäste im Pub so aufzustellen, dass sie auch bei ausgestreckten Armen nicht miteinander anstoßen können – all das wird gerade erst gerechnet und kalkuliert. Gearbeitet wird noch an der Schutzmaske mit uni-direktionalem Guinness-Einfüllstutzen (Scherz ¿).

Es spricht jedenfalls nichts dafür, dass Ferien künftig billiger werden – was die Wertigkeit einer Urlaubsreise wieder stärken und die Exzesse von Dritt- bis Fünft-Urlauben beenden könnte.

 

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Unbehagen. Tagtraum. Sind wir möglicherweise auf dem unheilvollen Weg in die körperlose, bargeldlose, durchgeimpfte, getrackte und gechipte, im schlimmsten Fall freiheits-freie Zukunft? Werden wir bald ohne Smartphone nichts mehr sein? Bei aller Vorsicht vor C: Wir sollten vorsichtig sein. Es geht um mehr . . .

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Buch-Tipp: Dies ist die Zeit, Bücher zu lesen. Mir wurde wieder einmal klar: Wir Deutschsprachigen neigen zu einem sehr einseitigen Europa-zentrischen Blick auf die Welt. Es ist deshalb (beispielsweise) spannend, wie die indische Wissenschaftlerin und Umwelt-Aktivistin Vandana Shiva dieselbe Welt erklärt. Sie beschreibt sie im verzweifelten Kampf gegen den Club der Milliardäre (Das Buch dazu: Oneness vs The 1%). Fünf Ultra-Reiche (Amazon-Bezos, Microsoft-Gates, Facebook-Zuckerberg, Luxus-Arnaud, Monsanto-Buffet und Co) besitzen so viel wie die Hälfte der Menschheit (die ärmere). Die Ultras halten sich für “Menschenfreunde” (Philanthropen) und sie maßen sich an, das Leben von 7,5 Milliarden Menschen ohne jegliche demokratische Legitimation mit ihren der Steuer und damit den Gemeinwesen entzogenen Geld nach ihrem Belieben zu gestalten. Willkommen im Philanthro-Kapitalismus, dessen hässliche Fratze in Zeiten von C zunehmend sichtbar wird. Eine tages-aktuelle Liste des Clubs der Ultra-Reichen gibt es hier bei Forbes. (Für Nichtleser: Man findet im Internet gute Videos mit Vandana Shiva).

 

Und etwas Positives: Weil Ferien-Reisen hierher nach Irland in der nahen Zukunft nicht möglich sein werden, öffnen wir hier auf Irlandnews in den kommenden Tagen einen Sehnsuchts-Raum: Mein liebstes Irland-Foto. Mehr demnächst hier . . .

 

Fotos: www.2kmfromhome.com,  Markus Bäuchle; Vignette: Eliane Zimmermann