Bantry IrlandDie Krise in Irland. Mary macht sich große Sorgen: “Wie sollen wir bloß den kommenden Winter überstehen”. Das Frühjahrsgeschäft mau, das Sommergeschäft dünn — und nun stehen die ohnedies mageren Monate bevor. Kaum jemand kommt in diesen Tagen ins Geschäft, noch nicht einmal, um ein wenig zu schnuppern. Die Nachfrage ist zusammengebrochen Die einizgen Hoffnungen der Modeladen-Besitzerin ruhen auf dem Weihnachtsgeschäft. In unserer kleinen Stadt in Irland hat sich in den vergangenen fünf Jahren vieles verändert — und vieles nicht zum Guten. Seit die große Wachstums- und Wohlstand-Party des Keltischen Tigers im Jahr 2007 über Nacht zu Ende ging, schlich sich der Niedergang ein. Langsam erst und kaum bemerkbar. Geschäfte schlossen, Unternehmen verkleinerten erst die Belegschaft, gaben dann komplett auf. Die Zahl der brandneuen Autos und der fetten Geländewagen auf den Straßen schrumpfte. “Das ist in der Rezession so,” sagt Pat der Baumeister, “da verschwindet alles, was nicht benötigt wird”. Nichts Ungewöhnliches eben. Ein Ab im Zyklus der Konjunktur.

Doch nun, nach fünf Jahren Rezession, nach fünf Jahren Abspecken und Kürzertreten, nach fünf Jahren Gürtelengerschnallen und geschicktem Haushalten, hinterlässt die tiefe Wirtschaftskrise in Irland auch dort ihre tiefen Spuren, wo die Menschen traditionell weniger den Trends, Hypes und Moden folgen und deshalb für Gewinn und Verlust weniger anfällig sind als die Stadt-Iren im dichtbesiedelten Osten der Insel: auf dem Land, in der Provinz, fernab der Hauptstadt und der schicken Einkaufsstraßen. Dort, wo Angebot und Auswahl auch in den fetten Jahren eher begrenzt waren. Jetzt geht die Krise auch in den Städtchen und Dörfern im ländlichen Irland ans Eingemachte, an die Substanz. Die Krise frisst sich tief und tiefer in die Infrastruktur.

Im Ausland und in den Reden der Politiker wird Irland seit Monaten als Musterschüler im Sparen, Erdulden und Erholen gefeiert. Die Zweck-Optimisten vom Dienst feiern die Wende, das Ende des Abstiegs, den Neubeginn. Im Alltag der Menschen ist davon nichts erkennbar. Unsere kleine Stadt am Meer hat in den vergangenen fünf Jahren die wichtigsten Arbeitgeber und damit hunderte Arbeitsplätze verloren: Die Bauunternehmer haben dicht gemacht. Die Seafood-Fabrik wurde nach Südamerika verlegt, all die Nice-to-have-Shops sind verschwunden. Die verlorene Kaufkraft  bedroht nun die lokale Wirtschaft: Autohändler, Versicherungs-Agentur, Pubs, Restaurants, Lebensmittelläden, der Küchen-Shop, ja selbst die Fastfood-Bude, die Tankstelle und der Metzger kämpfen gegen den sich verschärfenden Abwärtssog. Und überall, wo der Staat finanzieren muss, ist ohnedies der Wurm drin: Polizeiposten, kleine Schulen, Krankenhaus, das Ärzte-Zentrum und die Notarztversorgung sind von Schließung oder weiteren Kürzungen bedroht. Im Gegenzug werden Steuern und Abgaben erhöht, die Sozial- und andere staatliche Hilfen gekürzt. Ein Ende der Durststrecke scheint nicht in Sicht, auch wenn Irlands Regierungs-Chef im Ausland bereits als großer Meister der Wende gefeiert wird. Das neue Staatsbudget, das im Dezember verabschiedet wird, kennt für die Menschen auf der Insel nur eine Richtung: Belastungen weiter rauf, Unterstützung und Hilfe drastisch runter.

Die Kehrseite der Krise: Die Natur gewinnt. Viele kleine und große Menschen-Projekte, die Natur in Kapital verwandeln, die natürlichen Resourcen des Landes zerstören und das quantitative Wachstum befeuern, haben derzeit keine Chance auf Verwirklichung. Das Buddeln und Bauen, das Betonieren und Versiegeln, das Zurückdrängen und Zerstören der Landschaft hat Pause, Auszeit. Atempause. Es wäre die Aus-Zeit, um über die eigentliche Großkrise hinter der Wirtschaftskrise nachzudenken: Die vom Wachstums-Dogma programmierte ökologische Katastrophe, die uns allen droht. Es wäre die Zeit, um die Weichen für ein neues Wirtschaften zu stellen: Doch wer interessiert sich dafür, wenn gerade der Olivenhändler und das Lieblings-Pub dicht machen?

 

Foto: Bantry – von Peter Zoeller