Arbeiten in Irland

Ja wo bleiben sie denn, die Irland Nachrichten am Sonntag? Sie kommen heute mal in anderem Gewand, und das hat seinen Grund. Denn Tom Brütting, der Nachrichtenschreiber und Autor des wöchentlichen Nachrichtenüberblicks an dieser Stelle, ist unterwegs. Sein aktueller Kurs wurde auf www.marinetraffic.com heute morgen mit 50.280491 / -5.8896031 angegeben, das liegt nördlich von Penzance, Cornwall, in der irischen See (Grafik oben). Tom ist Passagier auf der Autofähre Oscar Wilde und wird heute nachmittag in Rosslare auf irischen Boden rollen. Gelobtes Land?

Nun, in seinem Facebook-Status vom Freitag notiert Tom: “Nervosität mach sich noch breiter, als sie eh schon ist. Irland wartet, ein neuer Job, ein neues Abenteuer.” Der Betreiber des Irland-Blogmagazins www.gaelnet.de hat also offensichtlich genug davon, über Irland aus der Distanz zu schreiben, jetzt will er auch Irland leben und erleben. Wir wünschen ihm viel Erfolg und alles Gute auf der Insel und fragen uns schon einmal ganz vorsichtig: Wer schreibt dann künftig unsere Sonntags-News? Liebe Irland-Fans da draußen: Vorschläge sind immer willkommen! Heute jedenfalls kommen die Irland Nachrichten vom Wanderer — vorgetragen im leichten Arbeitstrab.

Das große Medien-Thema in Irland ist seit Freitagnacht natürlich die irische Fußball-Nationalmannschaft und deren Trainer Trapattoni. Die Boys in Green wurden von Deutschland bekanntlich mit 6:1 abgewatscht, und während die Germans sich ihre Mini-Krise vom Hals ballesten, stecken die irischen Kicker nun tief in der Malaise. Irlands Medien überboten sich mit dramatischen Beschreibungen: Von der größten Demütigung, seit es in Irland Fußball gibt, ist die Rede, vom Abschlachten und vom totalen Scheitern. Die Irish Times schrieb, Halloween, das Fest des Schreckens, sei für Irland in diesem Jahr allzu früh eingetroffen — und es fiel selbst den Iren, die auch der schlechtesten Sache meist noch eine gute Seite abgewinnen können, in diesem Fall schwer, noch etwas Positives zu erkennen.

So wirkte der Versuch der Irish Times geradezu niedlich, die Clew Bay Pipe Band aus Mayo zum Gewinner des Abends zu stilisieren. Die Dudel-Pfeifer aus dem Westen, die es bislang allenfalls zu lokaler Berühmheit gebracht hatten,  durften nämlich die National-Hymnen im Stadion an der Lansdowne Road spielen. Dass Trapattoni nach dem Debakel mal wieder einen Flasche-leer-ähnlichen Wutanfall zelebrierte und dass die Rücktrittsfoerderungen an den Trainer-Senior nun im Format der Fischer-Chöre skandiert werden, dürfte in den deutschen Medien zu lesen gewesen sein. Und dass Trap sich standhaft weigert zu gehen (und sein Traumgehalt gehen zu lassen) sicher auch.

Noch mehr Empörung als eine sportliche Klatsche kann in Irland eigentlich nur der Bierpreis auslösen – was er denn auch tat: Der Getränke-Multi Diageo hat angekündigt, den Preis für ein Pint Guinness um 5 Cent zu erhöhen. Nach vier Jahren sehen sich die Produzenten der braunen Sauce gezwungen, den Preis erstmals leicht anzuheben. Als Grund wird angegeben, dass sich die Preise für den Bier-Rohstoff Gerste seit 2009 verdoppelt hätten. Die Funktionäre der irischen Pubs jedenfalls rufen “Skandal” und sehen in Diageos Preistreiberei den nächsten Sargnagel für die kriselnden Tränken auf der Insel. Der Preis für ein Pint Guinness liegt in den Pubs von Dublin aktuell zwischen vier und fünf Euro. Machen da fünf Cents das feine Braune wirklich noch unbezahlbarer als ohnehin schon?  Wer das eher preisgünstige Pint sucht, kann immerhin das Pub wechseln, und die Richtung dorthin findet er auf der Pint-Vergleichsseite Publin.ie problemlos. Der Preis für das berühmte Stout lag übrigens 1969 auf der Insel bei etwa 20 Euro Cent. Im Jahr 1996 kostete es durchschnittlich 2,50 Euro. Tja, alles wird teurer und auch Guinness feiert seit 253 Jahren ständig steigende Preise.

Gestern wurde in Dublin wieder demonstriert. Nein, nein, nix Anti-Merkel und nix Anti-Europa, dafür sind die Musterschüler auf der Insel viel zu brav. Es waren die ehemaligen Bewohner von Priory Hall und deren Sympathisanten, die in Donaghmede im Norden Dublins auf die Straße gingen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. 300 Einwohner des Wohnkomplexes Priory Hall wurden vor genau einem Jahr auf gerichtliche Anordnung aus ihren Eigentumswohnungen in Donaghmede evakuiert. Das neue Gebäude gilt als gefährlich, weil der Bauherr den Branschutzauflagen nicht nachgekommen war. Priory Hall wird deshalb gerne “Feuerfalle” oder “Todesfalle” genannt. Die armen Menschen von Priory Hall jedenfalls wurden in Wohungen der Bad Bank Nama und des City Councils umgesiedelt und sollten dort während der Bauarbeiten drei Monate lang bleiben. Da in Irland aber die Uhren bekanntlich anders gehen, wurde aus den drei Monaten nun bereits ein Jahr. Während sich die Beteiligten vor Gericht ohneAussicht auf ein Ergebnis streiten, nimmt der unbewohnte Bau weiteren Schaden. Das Dublin City Council hat mittlerweile zwei Millionen Euro für Mieten und Sicherungsmaßnahmen ausgegeben  — doch ein Ende des Dramas um Priory Hall ist nicht in Sicht.

Politisch war die Woche in Irland eher ruhig. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, man wirft sich im politischen Raum die Bälle zu über Kürzungen und Steuererhöhungen für den irischen Staatshaushalt 2013. Das Budget wird im Dezember diskutiert und verabschiedet, und schon jetzt kursieren viele Details über das neuerliche finanzielle Blutbad, das auf die Insel-Bürger zukommen soll. Gleichzeitig gibt es einige Anzeichen, dass die wahren Herrscher in Irland, die Finanzkontrolleure der Troika aus Vertretern der EU, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds IWF, mit den Musterschülern von der Insel nicht mehr richtig zufrieden sind. Den Spar-Kommissaren missfällt zunehmend, das in Irland viele Bürger Opfer bringen müssen, dass andere aber fast komplett verschont bleiben.

Die Rede ist vom Öffentlichen Dienst, für den Regierung und Gewerkschaften angesichts der aufziehenden Großkrise im Jahr 2009 noch schnell ein Schonungs- und Bestandsschutzabkommen verhandelt hatten. Das unrühmliche Croke Park Agreement verspricht öffentlich Bediensteten bis zum jahr 2014 den weitgehenden Schutz ihrer Einkommen und Interessen. Der großzügige Deal sollte im Gegenzug Reformen des “Public Service” ermöglichen. Ergebnisse können allerdings bis heute kaum vorgewiesen werden. Das marode und finanziell in dramatische Schieflage geratene Gesundheitssystem des Landes  und andere Public-Service-Dauerbaustellen dürften deshalb die Troika bei ihrem nächsten Besuch in Dublin in der kommenden Woche auf den Plan rufen — und das birgt politisches Dynamit. Manche Beobachter hatten schon orakelt, dass der Konflikt um das Croke Park Agreement die Regierungs-Koalition aus Labour und Fine Gael scheitern lassen würde. Warum auch nicht.

Und sonst? Das Herbstwetter auf der Insel war ganz angenehm diese Woche. Die Nächte sind kühl geworden, doch die Sonne lässt sich tagsüber öfter blicken als im vergangenen Nebel-Sommer. Zeit für einen Sonntags-Spaziergang also!