Auswandern Irland

Mein Blick aus dem Fenster. Große Ruhe, traumhaft, Scottie . . .

Wenn Menschen ihre angestammte Heimat verlassen, um in einem anderen Land zu leben, wird das reflexartig mit dem Wort “Auswandern” beschrieben. Der Traum vom Auswandern hat längst Massenmedienreife erlangt, mit ihm lässt sich heute sogar Trash-TV, billigstes Unterhaltungsfernsehen produzieren. Dabei ist das Konzept kein Neues: Wenn nicht schon die große Wanderungsbewegung der “Ostsiedlung” im Mittelalter denselben Motiven folgte, so doch spätestens die großen Auswanderungswellen des 18. und 19. Jahrhunderts.

Wikipedia beschreibt die Auswanderung oder Emigration als “das Verlassen eines Heimatlandes auf Dauer. Emigranten oder Auswanderer verlassen ihre Heimat entweder freiwillig oder gezwungenermaßen aus wirtschaftlichenreligiösenpolitischen oder persönlichen Gründen. Auf die Auswanderung aus einem Land folgt die Einwanderung in ein anderes.

Die Autorin Petra Dubilski macht sich in ihrem lesenswerten neuen Buch, dem “Fettnäpfchenführer Irland” zwar gekonnt über die Haltung lustig, dass Leute so wie ich nicht traditionell auswandern sondern einfach nur umziehen – und doch irrt sie: Als wir vor genau 14 Jahren Deutschland verließen, um in Irland zu leben, veränderten wir unseren Wohn- und Lebensort eben nicht im Bewußstein, “auszuwandern”. Es war ein Umzug innerhalb Europas und es fühlt sich bis heute kein bisschen anders an. Das Identifikations-Projekt “Europa” ist tatsächlich stark genug, um unsere Gefühlslage und Befindlichkeit über die Jahre hinweg zu nähren.

Im Zeitalter der von Digitalisierung getriebenen Globalisierung wurden viele einst elitäre Privilegien geschleift und demokratisiert. Der linkischste Laie darf sich heute als Fotograf, Journalist, Grafiker, als Filmemacher, digitaler Entrepreneur oder komponierender Musiker fühlen. Langstreckenflugzeuge sind Massentransportmittel geworden, das weltweite Reisen (“Ich mach mal ab nach China”) ist längst kein Privileg von wenigen Wohlhabenden mehr — und “ausgewandert” wird massenhaft, selbst unter Medienbeobachtung per Fernseh-Projekt auf Pro 7.  Jeder Mitteleuropäer mit Durchschnitts-IQ kann sich heute morgen aus den Federn erheben und beschließen: “Ich kehre morgen Deutschland, der Schweiz, Österreich den Rücken und wandere aus nach Malle, in die Toscana, nach Irland”.  Und kann den Worten Taten folgen lassen, ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen.

Freunde und Bekannte haben unseren Schritt zur “Auswanderung” projektiv immer wieder als “mutig” oder “couragiert” beschrieben. Dabei hätte es nach eigener Befindlichkeit genauso viel Mut gebraucht, im überzivilisierten Südwesten von “Schland” zu bleiben. Schon der Umstand der leichten Verfügbarkeit, der niedrigen Hürden und des geringen Risikos nahm unserem Ortswechsel von Deutschland nach Irland jede Dringlichkeit und Dramatik, die sich mit dem Projekt einer Auswanderung verbinden mag. Deshalb: Es war ein Umzug innerhalb Europas an einen Ort unserer Wahl. Zugegeben: An einen Ort mit viel Natur, wenigen Menschen und einer mehr oder weniger permanenten Verbindung mit dem großen Netz, dem alten Lebensstil und den bestehenden sozialen Bezügen. Auswandern bedeutet Bruch und Neuanfang, Umziehen erlaubt Kontinuität und  sanfte Veränderung.

Allen Ortswechslern ist wohl gemeinsam, dass sie sich von ihrem Ortswechsel ein besseres Leben versprechen, dass sie ihren Traum leben können, dass alles traumhaft, oder doch wenigstens gut wird. Und ja: Viele Träume platzen, viele Umzugs- oder Auswanderungsprojekte scheitern. Doch Umziehende scheitern genauso wie Verharrende und Bleibende. Am Ende scheitern wir alle auf unsere eigene Art und so gut wir eben können. Hier, dort. Irgendwo.

Große Ruhe. Während ich diese Gedanken denke, sitze ich am Fenster und schaue aufs Meer. “Eine große Ruhe”, kommentiert Barbara in Brasilien das Foto vom Blick aus dem Fenster, das ich in Echtzeit auf Facebook gepostet habe, Dana entlockt das Bild ein “Traumhaft”. Kerstin ruft nach Scottie und möchte gleich hierher gebeamt werden. Ich sitze am Fenster in Irland am Meer und empfinde tatsächlich große Ruhe. Meine alte Freundin aus Frankfurt lässt sich von dieser  großen Ruhe, dieser “unheimlichen Stille”, dieser “öden Langeweile” nach spätestens drei Tagen vertreiben — zurück in die Stadt, in die bunte Kulisse, zu den vielen Menschen, in die alte urbane Vertrautheit.

Seid vorsichtig, was und wovon ihr träumt. Es könnte wahr werden. ( Nie war umziehen leichter als heute . . . )