Kühe in IrlandEine irische Geschichte von Marie-Louise Lagger*

Es war ein sonniger Sonntagmorgen. Johnnie ging gemächlichen Schrittes auf der Landstrasse, sein Banjo auf dem Rücken. Musik rieselte durch seine Gedanken. Es war eine schöne Session gewesen gestern abend. Nun war er auf dem Weg nach Westport, Connemara. Bis kurz vor Shrule hatte er es per Autostopp geschafft. Doch leider war nun weit und breit kein Auto mehr zu sehen. Da blieb nur der beruehmte Schuster’s Rappen.

Geschichten aus dem Glen, IrlandNach einer Weile traf Johnnie auf eine grosse Kuhherde, die herrenlos mitten auf der Strasse stand. Es handelte sich um etwa vierzig Tiere. Die Strasse war eng und die Kühe zeigten keine grosse Begeisterung, sich zu bewegen. Da stand er nun mit seinem Banjo inmitten der Herde. “Just great”, dachte er sich. Soll ich vielleicht für sie spielen? Wer weiss, vielleicht würde dies ja eine Bewegung bewirken?

Andererseits, dachte sich Johnnie, könnte sein Banjospiel die armen Tiere erschrecken und ein Szenario mit vierzig wild gewordenen Kühen mochte er sich gar nicht vorstellen. Nun ja, dann halt eben. Mit sanftem Puffen, Stossen und Gutzureden schaffte er es, an den Kühen vorbeizukommen. Es war allerdings kein leichtes Unterfangen. Er atmete tief durch und ging dann seines Weges.

Da hatte er jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die gesamte Herde folgte ihm. Er drehte sich um und begann wild zu fuchteln. Die Kühe blieben einfach stehen und glotzten ihn verwundert an. Als er weitergehen wollte, setzte sich die gesamte Herde wieder in Bewegung. Das gibt es doch nicht! Er begann laut zu rufen. Die Herde blieb verdattert stehen, doch sobald er weiter ging, trabte sie brav hinterher. Langsam wurde ihm die Sache zuviel. Johnnie versuchte jetzt, sich mit seinem Banjo Eindruck bei den Tieren zu verschaffen. Die Rindvicher sahen ihm interessiert zu und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Johnnie wirbelte sein Banjo drohend über seinem Kopf und sprang im Kreise. Doch es half nichts. Nur ein 40-faches unverständliches Glotzen war die Antwort. Wegrennen wäre doch auch noch eine Loesung? Er rannte plötzlich los, was das Zeug hielt. Die Herde, nun etwas aus dem Konzept gebracht, rannte hinterher. “O Mother of God”, murmelte Johnnie irritiert. So verfiel er wieder in Schrittempo und die Herde tat es ihm nach. Es half alles nichts.

Als er in Shrule eintraf, war die Sonntagsmesse gerade zu Ende und die Kirchentüre öffnete sich. Die Menschen traten heraus und erfreuten sich am schönen Wetter. Sie staunten jedoch nicht schlecht, als Johnnie an der Kirche vorbeimarschierte — mit vierzig Kühen im Schlepptau. Es war ihm sehr mulmig zu Mute. Viehdiebstahl wurde auf dem Land als Kardinaldelikt gehandhabt. Er hob verzweifelt seine Arme und fragte, ob jemand den Besitzer dieser Herde kennen würde. Da kam ein Bauer auf ihn zu und schlug im freundschaftlich auf die Schulter. “Thanks for bringing them home. Shall we go for a drink?” Na sowas: Der Bauer bedankte sich, dass Johnnie die Herde heimgebracht hatte und lud ihn auf einen Drink ein.

Doch Johnnie lehnte dankend ab, wanderte erleichtert weiter seines Weges, das Banjo auf dem Rücken — und Musik rieselte durch seine Gedanken.

* Marie Louise Lagger lebt seit dem Jahr 2006 im County Mayo in der Nähe von Westport, Irland. Die Schweizerin kennt Irland seit ihrem ersten Besuch im Jahr 1980. Seitdem ging ihr die Grüne Insel nicht mehr aus dem Kopf. Heute trotzt sie der massiven Rezession in der Wahlheimat mit  Optimismus.

Foto: Markus Bäuchle