Wer hat Angst vor dem „großen bösen Berlin“, also vor Deutschland, fragte die Irish Times* vor kurzem rhetorisch und schob eine vierteilige Serie nach, um den Iren Deutschland zu erklären: „Germany now“. Auch diese Initiative zeigt: Es gibt Erklärungsbedarf auf der Insel über den großen europäischen Partner und über dessen „Wesen“.
Die Iren gelten als stolze Patrioten, und wenn es um Fragen von nationaler Bedeutung geht, wird es schnell einmal emotional. Keine 100 Jahre nach der Befreiung und der Unabhängigkeit reagieren Mary und Paddy allergisch, wenn fremde Mächte an der Souveränität der Nation kratzen. So wurde vor fast genau einem Jahr, nachdem sich Irland unter den Insolvenz- Schutz von EU, EZB und IWF, besser bekannt als „Troika“ geben musste, lang und breit „der Verlust der Souveränität Irlands“ beklagt. Von Schande und großem Versagen war die Rede — doch der Adressat der Lamentos und Anklagen blieb seltsam vage und angreifbar: Die Troika, eine anonyme Chef-Institution, die mehre andere anonyme Institutionen vertritt — war nicht gut geeignet als Hassobjekt.
Seitdem hat sich die europäische Finanzkrise dramatisch verschärft, die Machtverhältnisse in Europa treten klarer zutage.Als mit Anstand größte Wirtschaftskraft in Europa befindet sich Deutschland — zum Missvergnügen der Merkel-Regierung — im Fahrersitz, muss zusammen mit dem klammen Beifahrer Frankreich die Richtung für die ökonomische Nebelfahrt vorgeben und soll auch noch den Sprit für die kollektive Schuldensause der letzten Jahre aus der eigenen Tasche bezahlen. Was die einen in Europa von Deutschland einfordern — und was die Regierung nur zögerlich einzugehen bereit ist — machen andere „den Deutschen“ nun zum Vorwurf. In manchen Kreisen wird wieder vom hegemonialen Anspruch der „Germans“ in Europa gezetert, auch manche Iren glauben, die Bedrohung für ihre nationale Souveränität nun klarer beim Namen nennen zu können; Deutschland, statt „Troika“, oder „Europa“.
Die Deutschen regieren Irland? Na ja. Getriebene regieren nicht, und schon gar nicht über andere. Doch das ist hier nicht das Thema. Einzelne deutsche Auswanderer in Irland jedenfalls sehen die Stimmung auf der Insel gerade ins Deutschen-feindliche Ressentiment abkippen, fürchten stellvertretend in eine missliche Sündenbockrolle zu geraten. Und tatsächlich kann man im Pub oder auf der Straße krude Argumente hören wie dieses, dass Deutschland nun mit Wirtschaftsmacht auf kaltem Wege vollende, was dem Anstreicher aus Österreich und seiner braunen Gefolgschaft damals nicht gelungen sei. Sich diesen Unfug anhören zu müssen, ist schmerzlich, doch gleichzeitig ist wahr: Das Ressentiment gegen Ausländer wird auch in Irland nicht erst seit gestern gepflegt. In bestimmten Kreisen. Schon vor Jahren in den Zeiten des Keltentigers wurden Kinder von Deutschen in der Schule immer wieder mal als „Nazis“ verunglimpft oder als „the f***ing Germans“ beschimpft oder als „Herman the German“ auf ihre Außenseiterrolle hingewiesen — ohne dass das Verhältnis zwischen Iren und Deutschen ein schlechtes gewesen wäre. Im Gegenteil: Jenseits des dumpf-dummen Bodensatzes, in dem Chauvinismus und Ressentiment so prächtig gedeihen, kamen und kommen Iren und Deutsche gut und respektabel miteinander aus.
Ob sich das nun ändern wird angesichts der anhaltenden globalen und europäischen Verwerfungen? Kann sein, muss aber nicht. Die großen systemischen Finanz-Mechanismen wie auch den Gang der internationalen Politik kann der Einzelne nicht ändern, solange die großen Paradigmen nicht wechseln, Und doch sind wir als Einzelne nicht machtlos oder gar ohnmächtig.
Es liegt an uns allen, wie sich das Verhältnis zwischen Menschen, zwischen Iren und Deutschen, zwischen Italienern und Franzosen, zwischen Polen und Holländern in der Zukunft gestalten wird. Es hängt ganz entscheidend davon ab, wie wir uns bei der Arbeit verhalten, wie wir mit anderen umgehen, was wir im Pub diskutieren und selbst, was wir in den Blogs schreiben. Wer den hässlichen Deutschen herauskehrt, mag hässliche Reaktionen ernten. Sicher ist auch: Eine gemeinsame Währung ist ein zu dünnes Eis, um ein gemeinsame europäische Identität zu stiften. Jenseits des Euros und jenseits der dumpfen Ressentiments aber gibt es genügend Einigendes und so viel Gemeinsames, um entschieden für Europa einzutreten. Wir sind Deutsche, wir sind Iren, wir sind Europäer, irgendwann vielleicht auch Weltbürger — nicht nur im Geldbeutel sondern vor allem im Geiste. Daran kann jeder arbeiten, Tag für Tag, und ganz nebenbei.
PS: Eine Frage an in Irland lebende Deutsche: Was sind Eure persönlichen Erfahrungen? Hat sich das Klima zwischen Iren und Deutschen verändert?
* Im Original klingt das besser: „Big Bad Berlin“
In Anbetracht dessen, dass sich Irland vom Rettungsschirm befreit hat, die Banken anfangen wieder schwarze Zahlen zu schreiben, dürfte der Tourismus auch wieder davon profitieren.
Sicher wird es aber ein Fokus auf den qualitativen Urlaub ausgerichtet sein, die Rucksacktouristen dürften zurückgehen, da der Preisstandard bzw. das Preis-Leistungsverhältnis ziemlich hoch bleiben dürfte.
Zusätzlich wird man sich auf Umweltprobleme bzw. dem Umweltschutz widmen müssen, diese planlosen Hausbauten an allen möglichen schönen Plätzen sollten der Vergangenheit angehören.
Last not least sollte man auch in Irland anerkennen, dass Deutschland erheblich zur Rettung der Wirtschaft beigetragen hat. Man sollte auch Frau Merkel dankbar sein.
Zu Rüdiger Steinbachs Bemerkung:
Es ist wohl das Schicksal der Deutschen, daß wir auch noch nach mehr als 60 Jahren mit der „braunen Vergangenheit“ konfrontiert werden. Was mich bedrückt, ist der Umstand, daß viele Iren, vorallem auch die jüngere Generation, nur schemenhafte Vorstellungen von dem haben, was im „3 Reich“ passiert ist. Wir treffen immer mal wieder auf Menschen, die rechts-radikal denken und für die Adolf ein Vorbild ist! LEIDER!!!
Da müßte schon in der Schule Aufklärung betrieben werden!
Zu Peter Bernhardt, muss ich leider anmerken, dass wir am Lough Key 1997 noch mit dem Hitlergruss von einem „lokalen“ Politiker begrüsst wurden, nachdem wir uns über die „Lough Key Boats“ beschwert hatten, die mit ihren Powerboats ständig hohe Wellen machten.
Wir leben seit 12 Jahren auf der Beara-Halbinsel! Von den, im Artikel angesprochenen, deutsch-feindlichen Ressentiments haben wir hier im Süd-Westen noch nichts verspürt. Im Gegenteil. Manche Stimmen haben großen Respekt vor Angela, weil sie (ihrer Meinung nach) einen festen Standpunkt vertritt und dem franz. Präsidenten nicht alles durchgehen läßt. Manche bewundern auch die Deutschen, weil sie jetzt für die „Unfähigkeiten“ mancher europ. Staaten, im Umgang mit Geldern, gerade stehen und zahlen müssen.
Als ich vor über 40 Jahren Irland zum ersten Male bereiste, wurde ich auf spaßige Weise von den Iren „angemacht“, warum Adolf nicht doch noch den Endsieg errungen hat. Man hätte es gerne gesehen, wenn er den Britts eins auf die Mütze gegeben hätte. Heute muß Adolf offensichtlich wieder einmal herhalten, um Stimmung gegen Deutschen anzuheizen. Es gibt leider immer und überall Stimmungsmacher, die ihr Süppchen kochen wollen oder müssen. Wir lassen uns nicht beirren. Zum Glück gibts genug Iren, die bei klarem Verstand sind und recht wohl wissen, wo die eigentlichen Übeltäter sitzen.
Liebe Irlandfreunde,
wenn man die Wochenend SZ Nr. 273 im Wirtschaftsteil aufschlägt, dann fällt der Artikel „Endspiel um den EURO“ auf.
In der Tat, wenn Merkel nicht Führungsstärke weiterhin beibehält, dann geht es mit dem EURO den bach runter.
Die Folgen wären eine Katastrophe für Europa und auch die Welt.
Also liebe Kritiker, Ihr könnt nur hoffen, dass Merkel und Deutschland weiterhin das Richtige tut, sonst ist auch Irland verloren, denn das Pfund (Sterling) wird auch nicht mehr lange leben.
Ihr Artikel ist sehr ausgewogen und zeigt eben, dass es nicht so einfach ist, die Beziehung der Iren zu Deutschland in einem Satz zusammenzufassen. Ich lebe ebenfalls in Nordirland – und da sind viele der Medien eher „britisch“ als „irisch“ – was die „Daily Mail“ von den Deutschen hält ist ja bekannt. In 15 Jahren habe ich natürlich nicht nur Positives erlebt – in der Schule / auf der Straße wurden meine Kinder auch schon mal verbal angeriffen und als „Nazis“ beschimpft. Allerdings konnte Deutschland 2006, im Jahr der Fußballweltmeisterschaft, auf einer Welle des Wohlwollens schwimmen und jeder, der nach Deutschland fuhr und mich nach einem Besuch traf, machte mir über Deutschland unheimlich tolle Komplimente. Viele junge Leute und vor allem Künstler finden Deutschland – und besonders Berlin einfach „Suupa!“ Einige haben sogar Eigentum dort erworben und lieben den gutfunktionierenden öffentlichen Verkehr, die Sauberkeit und den ersichtlichen Wohlstand einer breiten Bevölkerungsschicht. Das positive Image des „gutmütigen Riesen“ scheint jetzt in Vergessenheit zu geraten und hämischgrinsende Kommentare machen sich breit: „Jeder Deutsche kann bald Urlaub auf einer eigenen Insel machen – die Griechen müssen die ja an Merkel abtreten.“ Dass wir das Inselreich gar nicht wollen, glaubt uns Deutschen leider keiner so richtig. Sloch böse Spitzen kommen aber nur von Leuten, die ich garnicht oder nur flüchtig kenne. Mein grosser Familien,-Freundes,- und Bekanntenkreis schaut weniger auf meine Nationalität und sieht mich als die individuelle Person, die ich bin – und dazu gehört eben auch meine Deutschsein – etwas, was ich bestimmt nicht aufgeben werde, egal was man über die Deutschen in Irland (und in meinem Fall Nordirland) auch immer denken und sagen will.
Ich habe mein Herz an einen Iren und and Irland verloren; der Kreis in dem ich mich bewege würde in Deutschland als upper middle-class bezeichnet werden: ich habe noch nie irgendwelche Antistimmungen oder schlechte Gefühle wg. meines „deutschseins“ erlebt. Im übrigen sind viele Iren meines Umfeldes manchmal deutscher als deutsch, worüber ich mich lustig machen kann. Die sind nämlich alle sehr fleißig, strukturiet, haben ihre Schäfchen im Trockenen und ihr Leben im Griff.
Viele Iren haben Interesse an Deutschland, an der Sprache, Kutlur und Geschichte; sie gehen auch mit unserer jüngeren Geschichte wesentlich unverkrampfter um als wir das tun. Hüben wie drüben sind die Mitverursacher von Ressentiment und Mißverständnissen einmal mehr die sog. tabloids, die Bildzeitungen dieser Welt.
Es liegt an jedem einzelnen Unstimmigkeiten entgegenzutreten; nicht nur im Deutsch-Irischen Verhältnis.
Ein sehr nachdenkenswerter Artikel, den ich mit Interesse gelesen habe. Ich selbst kann das oben Gesagte für Nordirland nicht so bestätigen. Hier ist das Verhältnis zu Deutschland eh etwas gespalten, weil – angeblich – die IRA im 2. Weltkrieg Hitler unterstützt hatte. Tatsächlich sind auch einige Iren (auch in meiner nordirischen Familie) damals von deutschen Bomben getötet worden. … Trotzdem sind die Nordiren Deutschland gegenüber aufgeschlossen, sie haben groẞes Interesse an der deutschen Sprache und Kultur. Ich wundere mich immer wieder, wie freundlich vor allem die Nordiren mir (als Deutsche) begegnen. Nicht zuletzt habe ich hier in Nordirland sehr viel Lob und Anerkennung der Einheimischen für mein Buch „Jokes and More from Ireland“ erhalten und damit auch dazu beigetragen, das Bild der „humorlosen Deutschen“ zu revidieren.