Allihies hat eine Fußgänger-Ampel. Ein Postamt hat Allihies seit dem 29. Januar 2019 nicht mehr. Das am weitesten von der Haupstadt Dublin entfernte Postamt der Republik Irland schloss Ende Januar, als Posthalterin Eily Kelly in den Ruhestand ging. Lange vorbei die Zeiten vom Pony-Express, vorbei nun auch die Zeiten des Treffpunkts und der Info-Börse Postschalter. Wenn die Post geht, ist das kein gutes Zeichen für eine Gemeinde auf dem irischen Land. Es bedeutet, dass viele Menschen den Ort zuvor verlassen haben, es bedeutet, dass weitere ihn verlassen werden, um eine Zukunft zu suchen, wo die Arbeit ist. Doch immerhin: Das größte Dorf der Beara Peninsula westlich von Castletownbere hat auch ohne viel Verkehr eine Ampel, einen Kinderspielplatz, ein Museum, drei Pubs, ein paar gute B&Bs und vielleicht bald wieder ein Hostel. Und es hat eine lebendige Musik-Tradition.
Der Wild Atlantic Way, diese genialische Marketing-Maschine, die die Herzen von zahlenberauschten Tourismus-Werbern in Dublin höher schlagen lässt, führt durch Allihies. Die Einheimischen wissen nicht so recht, ob ihnen das wirklich hilft. Ein Alteingesessener meint lakonisch, den Touristen werde hier ein in Schönheit sterbendes Dorf vorgeführt. Tatsächlich nimmt die Bedeutung des Ortes seit 1884 ständig ab. Damals schlossen die Kupferminen und eine Massenauswanderung setzte ein. Von den einstmals über 3000 Einwohnern, darunter viele Minenarbeiter aus Wales und dem Cornwall, bleiben heute keine 100.
Eine Grundschule gibt es noch: Sie liegt im Nachbardorf Cahermore und kämpft seit Jahren gegen den Schülerschwund. Wenn die Mädchen und Jungen mit der Schule fertig sind, verlassen die meisten die Gegend und ziehen Richtung Zukunft.
Musikalisch waren Allihies und Umgebung im vergangenen Jahrhundert fest in der Hand einer Familie: den O´Dwyers. An sie erinnert heute jedes Jahr am zweiten Juni-Wochenende das Michael Dwyer Festival. Michael war vor der Milenniums-Wende ein auf der ganzen Insel bekannter Musiker. Er spielte die Tin Whistle (die irische Blechflöte) und die Trad-Geige virtuos, war der Bekannteste einer großen Musikerfamilie von der Beara Halbinsel. Heute spielen die O’Dwyers der jungen Generation andernorts auf der Welt – sie kommen auch über zwei Jahrzehnte nach Michaels Tod gerne zum Festival ins Dorf zurück.
Und doch: Die traditionelle irische Musik lebt hier draußen am Atlantik weiter. Die musikalische Tradition der Jigs und Reels vom südwestlichen Ende der grünen Insel pflegt der deutsche Musiker Ecki Krupp. Er bringt den Kindern von Allihies und Umgebung das Musizieren mit Flöte, Geige, mit Gitarre, Mandoline und Bodhran bei. Er spielt mit ihnen die Lieder der Väter und Großväter und führt sie ein in die Welt der Traditional Irish Music. Der Multi-Instrumentalist unterrichtet die Kinder und Jugendlichen privat und im Lehanmore Community Center. In diesem Jahr unterrichtet Ecki erstmals auch Schülerinnen und Schüler an der Grundschule im nahen Städtchen Castletownbere.
Es scheint, dass das Interesse in der Land-Bevölkerung an der eigenen Volks-Musik gerade wieder etwas zu nimmt. Sie galt nicht allen Iren viel in den Jahren des Celtic Tiger, wurde in der Heimat fast verachtet, während sie gerade in Deutschland große Erfolge feierte. So musste eben der Blow-in, der hereingewehte Fremde, ran. Ecki Krupp, geboren Ende Mai 1962 in eine Kölner Kohlenhändler-Dynastie, kam nach einem kurzen Abenteuer als Kneipenwirt (die Szene-Kneipe „Durst“ in der Kölner Weidengasse gibt es noch heute) im Jahr 1996 nach Irland. Er verließ Köln an einem Rosenmontag. Ecki hat es nicht bereut, lebt immer noch hier am Atlantik. Er hat in Irland Familie und verdient sein Geld mit der Musik und mit seinem Job als Project Worker im Lehanmore Community Center. Heute sprechen irische Mütter schon einmal positiv von der Arbeit des Deutschen, der viel dafür tut, dass die musikalischen Wurzeln der Einheimischen nicht in Vergessenheit geraten.
Wer zum Dursey Sound fährt, kommt kurz vor dem Ziel am Gemeindezentrum von Lehanmore vorbei. Wir haben kürzlich auf ein Schwätzchen rein geschaut. Es war kurz vor dem Patrick´s Day, deshalb trug der Kölsche Jung den jahreszeitenbedingten grünen Kopfschmuck (Foto unten).
Ecki hat den Wandel im Westen der Beara-Halbinsel in über zwei Jahrzehnten miterlebt, die Landflucht, den Strukturwandel. Es gibt immer weniger Einheimische, dafür immer mehr Ferienhäuser, die ein paar Wochen im Jahr genutzt werden. Die Dörfer sterben und leben als untote Geister-Gemeinden weiter. Die Idylle entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Kulisse. Die Zahl der Einwohner auf der gesamten Peninsula ist von einst 40.000 auf heute 6.000 geschrumpft. Für den Lehrer heißt das, immer wieder von vorne anzufangen: All die Jugendlichen, die bei ihm Musik gelernt haben, ziehen früher oder später weg . . .
Ecki bleibt. Immer am Sonntagabend kann man ihn und seine Musiker-Freunde bei der Session in O’Neills Bar in Allihies (gleich an der Ampel) sehen und hören. Was spielt er dann so? Man lässt sich überraschen. Auch ein Kölsches Karnevalslied kann mal dabei sein, wenn es passt. Eckis All-Time-Favorite jedenfalls ist der Song Dirty Old Town, den Ewan MacColl im Jahr 1949 schrieb und den die Dubliners und die Pogues populär machten. Seine irischen Lieblings-Songs: Galway Races (von den Dubliners), Lakes of Pontchartrain (Paul Brady), The Blacksmith (Planxty), und „alles von der Bothy Band, die sind unerreicht“.
Allihies hat eine Ampel, keine Post mehr, aber immer noch eine Grundschule – und die traditionelle Musik. Am zweiten Juni-Wochenende wird die Trad Music im Dorf wieder mit einem Festival gefeiert. Der Besuch lohnt sich.
Fotos: Markus Bäuchle (3); privat (2.v.u.).
Vor 20+ Jahren hatte Allihies auch mal einen Tante Emma Laden, in dem wir Ausflügler gegen Mittag angesichts geschlossener Pubs nach einem Snack fragten und kirzerhand von der schon hochbetagten Chefin mit sensationellen Ham-Sandwiches mit Salatgurke und Zwiebel versorgt.
Beim letzten Besuch vor ein paar Monaten haben wir uns daran erinnert und nachgesehen, aber der Laden ist heute ein Wohnhaus…
Es gibt tatsächlich auch heute einen Shop in Allihies: John Terry O`Sullivan´s hat alles, was man zum (Über-)Leben braucht.