„Was eigentlich passiert im Moment in Irland?“ wurde ich in den vergangenen Tagen einige Male von Besuchern gefragt. Nun, es wird wärmer, der Kuckuck ist tatsächlich zurück gekehrt, das Gras wächst endlich und das legendäre irische Grün klettert mit großer Verspätung und doch unaufhaltsam aus den Tälern in die Höhen der Berge. Diese Antwort ist allerdings nicht gemeint. Was ereignet sich gesellschaftlich und politisch? Schwer zu fassen, schwer zu sagen. Irland lebt wieder einmal in einer entscheidenden Zeit des Übergangs, vieles ereignet sich derzeit unter und hinter der Oberfläche, ohne direkt sichtbar zu werden. Hier ein paar Skizzen einer allenfalls vorläufigen Antwort:
* Die Fine-Gael-Labour-Regierung gibt den europäischen Musterknaben und bezahlt die Show mit dem Geld der einfachen Leute. In nur zwei Jahren hat sie sich fast so weit ins Abseits regiert wie das alte Fianna-Fail-Regime, das für den Absturz ins Bodenlose maßgeblich verantwortlich war. Das Wahlvolk allerdings scheint der traditionellen Zwei-Parteien-Dominanz nicht entkommen zu können und hält sich selber in Geiselhaft.
* Weite Teile der Bevölkerung leiden unter dem Verlust von Arbeit, Wohlstand und Komfort. Sie leiden in relativer Sicherheit, während eine wachsende Minderheit sich von oben oder unten an der neuen Armutsgrenze abarbeitet.
* Eine andere Minderheit am gegenüberliegenden Ende des Regenbogens hat ihre Schäfchen in den Celtic-Tiger-Jahren ins Trockene gebracht und lässt den erworbenen Wohlstand nun arbeiten, damit er sich vermehrt. Irland steht zum Verkauf, und wer jetzt einkauft, investiert in seine eigene Zukunft — nicht aber unbedingt in die Zukunft des Landes.
* In dieser Phase der Schwäche wird die Insel dem Ausverkauf ausgeliefert: Die Preise nähern sich allmählich dem Boden. Investoren aus dem In- und Ausland kaufen still und diskret zu kleinen Preisen: Ackerland, Zukunftsland, Häuser, Ernten, Ressourcen: Die Nouveau Riche erwerben und konfigurieren die Gewinnmaschinen der Zukunft: Hotels, Büroflächen, Ländereien, Estates, Gesetze und deren Vorteile. Das Meer und der darunter liegende Boden werden systematisch für die Ausbeutung vorbereitet: Lachsfarmen für China, Ölvorräte für die Mega-Konzerne. Der Wald des Staates: Er wird verhökert. Kunstvoll geöffnete Steuerschlupflöcher und Finanzkonstrukte lassen die Anteilseigner der Multinationals jubeln. Die Steuerquoten der in Irland agierenden Weltkonzerne gleichen einer Nullfolge.
* Eine Zukunft für das Gemeinwesen, für das „Common Good“, für die Gemeinde und das Gemeinsame, für das Gut der Allgemeinheit, lässt sich nicht erkennen: Der Staat zieht sich weiter denn je zurück und lässt den Interessen des privaten Kapitals freien Raum. Prinzipiell steht fast alles zum Verkauf und wird der Ausbeutung durch egoistische Interessen ausgeliefert. Obwohl wir schmerzhaft erfahren haben, dass die unsichtbare Hand des Marktes so gewalttätig wie deformiert ist, lässt man sie frei walten.
* Die hässliche Fratze des Keltentigers scheint in einer mutierten Version 2.0 am Horizont auf: Es kündigt sich ein Boom für die Wenigen an, an dem die Vielen nicht teilhaben. Man feiert schon wieder. Frivol, blasiert, im kleinen Kreis.
Was passiert gerade in Irland? Nichts großartig anderes als in vielen anderen Ländern Europas. Europa steht zur Disposition. Wir sind nun gefragt.
Na dann haben wir aber auch wirklich Glueck, dass es das Londoner Legatum Institut mit seinem Index gibt, nicht wahr?! Bildung, Unternehmertum, Innovation, Staatsführung, Gesundheit, bürgerliche Freiheit, Sicherheit, soziale Stabilität und Zusammenhalt sind wirklich DIE Aushaengeschilder Irrlands. Da mir das nicht schon frueher aufgefallen ist! Wo leb ich denn eigentlich?! Und die vielen tausend irischen Auswanderer, die eigentlich schon immer ihr Glueck woanders versuchen, muessen ja total bescheuert sein! Also echt, mir gehts jetzt wirklich viel besser … nachher gibts Kalbsschnitzel!
Ironiemodus? Was das denn?!
Hallo Markus,
ziemlich deprimierend fühlte sich das für mich an: am frühen Sonntagmorgen diese Lektüre.
Bis ich dann etwas Aufmunterung fand:
http://www.irlandnews.com/wohlstand-2012-irland-schlagt-deutschland/
Der entscheidende Satz für mich: „Das Wahlvolk …… hält sich selbst in Geiselhaft“.
(Sehr viel netter formuliert als der von den „dümmsten Kälbern …….“)
Herzliche Grüße aus Kenmare
Norbert
… es kling böse und bedrohlich was mit diesem wunderbaren Land passiert …
Solange es keine Revolution in diesem Lande gibt, die Leute nicht alle auf die Strasse gehen, aendert sich hier ueberhaupt nichts. Egal ob Labour, Fine-Gael oder Fianna-Fail. Ist alles das Gleiche. Veraenderung findet in den Koepfen der Menschen statt und da sind die Iren leider noch nicht angekommen. Man munkelt, dass Fianna-Fail wiedergewaehlt wird. Daran kann man sehen, dass sich hier ueberhaupt nichts veraendert. Raubtierkapitalismus ist angesagt. Ist oben schon richtig beschrieben. Ein Ausverkauf des Landes. Oder besser gesagt, das Land blutet solange aus, bis nicht mehr viel uebrigbleibt. Im Grunde ist es jetzt genauso wie damals in den fruehen Achtzigern nur mit dem Unterschied, dass Land und Leute hochverschuldet sind. Die Regierung arbeitet den Banken in die Haende und die Leute muessen blechen. Das wird solange weitergehen, bis auch der letzte faehige Arbeitnehmer ausgewandert ist und nur noch Asoziale hier rumlaufen. DAS passiert im Moment in Irrland!
Sarkasmus-Button an — Es wird Zeit, dass in Irland endlich mal die Labour Party an die Regierung kommt ! Die würden das Alles nicht zulassen ! — Sarkasmus-Button aus