Bryce House Garinish Island

Bryce House: Die Geschichte von Garinish Island wird neu geschrieben

Wer schreibt, der bleibt ist eine vielseitig und auf viele Professionen anwendbare Redensart. Er gilt beim Skat genauso wie in der Autowerkstatt, Schriftsteller und Autoren können sich in ihm erkennen, und schließlich funktioniert auch die Geschichtsschreibung nach diesem Prinzip: Wer schreibt, der bleibt, oder: Die Geschichte ist immer die Geschichte der Mächtigen.

Tatsächlich lassen sich vergangene Ereignisse, Entwicklungen und Prozesse auf vielseitige Weise und aus vielerlei Perspektiven beschreiben. In der Regel setzt sich im öffentlichen Bewusstsein eine offizielle Version durch, die denen ganz gut schmeckt, die das Sagen und den größten Einfluss haben. Wer schreibt, der bleibt  bedeutet deshalb auch, dass die Geschichtsschreiber ihre Geschichten bewusst geformt, verformt, manipuliert und geschönt haben, um daraus Vorteile in der Gegenwart zu ziehen.

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Violet Bryce

Warum diese lange Vorrede? Gestern war ich wieder einmal auf Garinish Island, der weltbekannten Pflanzeninsel in unserer Bucht Glengarriff Harbour in der Bantry Bay. Viele bedeutende Menschen waren auf die Insel geströmt, lokale Promis und regionale Wichtigkeiten, die anglo-irische-Restgemeinde, und ein Politiker-Tross, angeführt von Michael Ring, dem Junior-Minister für Tourismus. Es gab etwas zu feiern: die Eröffnung von Bryce House, einem neuen Museum in einem alten Haus auf der Garteninsel. Gestern nachmittag wurde mir einmal mehr klar, dass auch die Interpretation der Vergangenheit ständigem Wandel unterworfen ist und dass es ein Jahrhundert und länger daueren kann, bis sich die Nebel der Geschichts-Modellierung und Mythenbildung verziehen, um endlich einen klaren Blick auf die Fakten und die Wahrheit frei zu geben.

Noch zum 100. Jubiläum von Garinish Island als Garteninsel im Jahr 2010 wurde die offizielle Version der Geschichte erzählt, man könnte sie auch die anglo-irische Version nennen. Demnach war Garinish Island, oder Ilnacullin, wie manche das 15 Hektar große Eiland nennen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ein unbewohnter nackter Felsen in der Bucht von Glengarriff.

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Junior-Minister Michael Ring und zwei Mitglieder der Bryce-Familie am 9. September 2015 bei der Eröffnung von Bryce House auf Garinish island

Die Zeit: Ein Jahrzehnt vor dem Unabhängigkeitskrieg. Die von den britischen Besatzern unterdrückte irische Bevölkerung litt, noch immer wohnten viele Menschen in der Umgebung in ärmlichsten Verhältnissen, noch immer starben Menschen an Hunger, schlechter Ernährung und fehlender Hygiene. In dieser Zeit verlangte die britische Upper Class Lady Violet Bryce von ihrem Gatten, dem schottischen Politiker John Annan Bryce einen materiellen Liebsbeweis: Sie wollte Garinish Island — und sie bekam es. Ob der einflussreiche Parlamentsabgeordnete John Annan die Insel jemals kaufte, also dem britischen Kriegsministerium, das die Eigentümerschaft beansprucht hatte, Geld für die Transaktion bezahlte, ist bis heute unbestätigt. Jedenfalls wurde das Paar, das seinen Erstwohnsitz in der feinsten Gegend Londons hatte und dort regelmäßig begehrte Parties und Empfänge für die Hundertschaften der Londoner High Society gab, im Jahr 1910 die neuen Besitzer von Garinish Island.

Ein einziger Buchstabe macht den Besitzer zum Besatzer und umgekehrt. Auf dem nackten Felsen jedenfalls, so ergaben unsere Recherchen im Jahr 2010, hatten im Jahr 1910 fünf Menschen gelebt, als das britische Paar anrollte, um sich den eigenen Gartentraum zu verwirklichen:  Fünf Iren, Mutter Mary und ihre vier Söhne, bekannt als die O’Sullivan Garnishes. Der Vater war zu jener Zeit bereits tot. Die Witwe und ihre Söhne Florence, Michael, Patrick und Timothy lebten in einem Cottage, das britische Soldaten im frühen 19. Jahrhundert gebaut hatten, sie fischten und betrieben auf der Insel eine kleine Landwirtschaft mit Rindern.

Die O´Sullivans mussten sich den neuen Besitzern fügen: Aus dem Torffeld wurde ein Tennisplatz, die Rinder-Weide wurde zur Heimat von exotischen Pflanzen aus aller Welt. Durch den Hinterhof der Familie drängte sich alsbald eine Straße, der diebeiden Piers der Insel verbinden sollte. Power-Frau Violet Bryce war andererseits kein Unmensch: Sie setzte sich für die Freiheit des irischen Volkes ein und nahm sich auch der armen Nachbarn an, spendierte den O’Sullivans ein neues Dach auf das Cottage und unterstützte sie.

Bryce House, RückansichtEiner Erwähnung würdig waren die irischen “Ur-Einwohner” in der offiziellen Story von Garinish Island allerdings nicht. Genauso wenig wie die Namen der vielen hundert irischen Arbeiter, die den Inselgarten und die Gebäude auf der Insel einst erschaffen hatten. Nun, fünf Jahre nach den großen Jubiläumsfeiern zum 100. Geburtstag der Garteninsel, sind wir einen Schritt weiter: In der neuen Info-Broschüre des Office of Public Works OPW (die staatliche Institution betreibt die Insel, die dem Staat nach der Schenkung im Jahr 1953 gehört) werden die O´Sullivan-Garnishes nun erstmals mit einer Erwähnung gewürdigt und bekommen so ein Stück weit ihre Würde zurück. Und dabei soll es nicht bleiben: Auch das alte Cottage der Familie ist bereits restauriert und könnte in absehbarer Zeit für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

So wird endlich auch die irische Seite der Inselgeschichte Stück für Stück sichtbar. Und wenn erst die ganze Wahrheit zutage gefördert ist, könnte die Zeit endlich reif sein, dass Iren, Anglo-Iren und Briten ohne Groll und vielleicht sogar mit ein wenig Stolz ihre gemeinsame Geschichte annehmen und zusammen in eine harmonische Zukunft blicken.

Das Zimmer von Violet Bryce

Das Zimmer von Violet Bryce

PS: Bryce House wurde vom OPW mit einem Aufwand von 2,4 Millionen Euro restauriert und gibt Auskunft über das Leben seiner Bewohner im 20. Jahrhundert (1923 – 1998). Bryce House war von der Famile Bryce eigentlich als Cottage für die Gärtner geplant und deshalb als “Gardener´s Cottage” bekannt. Das pompöse Herrenhaus der britischen Millionäre auf dem höchsten Punkt der Insel wurde allerdings nie gebaut. Die Familie scheiterte im Ersten Weltkrieg spektakulär, sie verarmte. Die einstige Salon-Dame Violet lebte eineinhalb Jahrzehnte bis zu ihrem Tod zusammen mit ihrem Sohn Roland, dem Gärtner Murdo und der Hausdame Maggie in sehr bescheidenen Verhältnissen im Gardener´s Cottage. Es bleiben die bunten Pläne von einem der prächtigsten Landsitze in Irland, die nie gebaut wurden. Sie erzählen die Geschichte des stilvollen Scheiterns der Bryces.

Ein schöner Plan – Zeugnis des stilvollen Scheiterns

Ein schöner Plan – Zeugnis des stilvollen Scheiterns

Bryce House wird bis Ende Oktober zweimal am Tag für jeweils eine Stunde für die Besucher geöffnet (11 und 14 Uhr). Der Personalmangel beim OPW lässt eine vollständige Öffnung nicht zu. Für das Jahr 2016 soll eine bessere Lösung gefunden werden.