Meine Sehnsucht nach den Inseln: Irlands vorgelagerte Inseln ziehen mich magisch an, das Leben dort, früher und heute, beeindruckt mich. Ich mag die eigenwilligen, derben und gleichermaßen freundlichen und redseligen Charaktere, bewundere die andere, abgeschiedene Lebensart – und finde dort zumeist die raue, wilde und ursprüngliche Natur, die ich vielerorts heute vergebens suche. Mein Interesse für den Roman „Der Felsengarten“ von Leo Daly war geweckt, als ich erstmals von dem Buch hörte, das 1984 im Original und im Jahr 2017 endlich auch in deutscher Sprache erschien. Hier der Irlandnews-Lesetipp für ein nicht ganz neues, aber ganz besonderes Irland-Buch.
Über Kurzgeschichten zum Roman
Die Aran Inseln wurden lange als der Schmelztiegel der Irischen Literatur wahrgenommen, wenngleich ihr Beitrag zur Romanform dürftig war. Diesen Mangel (es gibt Hunderte von Gedichten, Kurzgeschichten, Artikel und Reiseführern, welche die Inseln beschrieben haben) hat Leo Daly mit seinem Roman behoben.
Der in Mullingar, County Westmeath, geborene Autor hat die Erkenntnisse aus seinen Kurzgeschichten und Aufzeichnungen aus den späten 60er und frühen 70er Jahren aufgearbeitet und viele weitere Jahre verfeinert. Leo Dalys akribische Arbeit trug Früchte: Im Jahr 1984 wurde sein tragischer und dramatischer Roman „The Rock Garden“ , (deutsch: Der Felsengarten) veröffentlicht. Der Verlag Lilliput Press, Dublin, bezeichnete den Schauplatz gar als „halb Eden, halb Gethsemane“.
Der deutsche Verlag Edition Karo schreibt über das Buch: „Auf den Aran-Inseln im äußersten Westen Europas, einer irischsprachigen Region, lebte es sich in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts prekär. Die vom Festland stammende Krankenschwester Peig Flaherty, deren kinderlose Ehe Gerede erzeugt, und die schwermütige Schönheit der Aran-Inseln bieten die beeindruckende Kulisse für ein sophokleisches Drama.“
Die Handlung des Romans
„Der Felsengarten“, aus dem Englischen übersetzt von Chris Inken Soppa*, erzählt die Geschichte der Krankenschwester Peig Casey, einer Festlandbewohnerin, die den Insulaner John Michael Flaherty heiratet, und die Auswirkungen ihrer kinderlosen Ehe innerhalb einer Insel-Gemeinschaft, in der das Leben schwierig und „Fruchtbarkeit alles ist“.
In einem Interview mit dem Westmeath Examiner im Sommer 1984 beschreibt Leo Daly in seiner eigenen Zusammenfassung „die Geschichte einer Frau, die sich mit einem Mythos konfrontiert sieht, mit dem sie leben muss, als wäre es eine Tatsache. Das Thema, sagte er, ist eines „der Versöhnung durch Akzeptanz, es geht um Unfruchtbarkeit. Es ist ein heikles Thema, aber die Augen davor zu verschließen, ist wahrscheinlich der größte Bärendienst, den man den Menschen erweisen kann“.
Es gibt Gerede, da Peig für ihre vermeintliche Unfruchtbarkeit verantwortlich gemacht wird. In diesem Zusammenhang wird sie mit Ritualen und alten Mythen der Insel konfrontiert – und schwierig ist das Leben für die Zugezogene schon deshalb, „weil sich die Insulaner gegen Alle wehren, die von Außen kommen“.
Dann verändert sich John Michael durch einen tragischen Unfall, und Peig bleiben nur die Erinnerungen an ihren einst stolzen Gatten, der nicht mehr der gleiche ist. Als Peig sich auf die Suche nach der Wahrheit über die verstrickte Familien-Vergangenheit begibt, hat das beunruhigende Folgen für sie selbst und ihre Mitbewohner auf der Insel. Im Laufe des Romans werden viele Verschwörungen aufgedeckt und die Dorfgemeinschaft verschweigt Dinge oder hetzt gegeneinander. Auch geht es um zerstörtes Liebesglück.
Kapitel um Kapitel stellt ungeschönt die Lebensweise auf den Aran Islands dar, die Entbehrungen, die Fröhlichkeit und die Leiden der Inselbewohner, von der Geburt bis zum Tod und zurück, im Einklang mit Meer, Himmel und Stein.
Weitere Insel-Geschichten von Sandra Böttcher gibt es hier.
Wilde, unberührte Natur
Leo Daly liebte die karge Schönheit der Aran-Inseln. In vielen Passagen beschreibt er kraftvoll den Schauplatz seines Romans und das harte Leben mit den Elementen. Die folgenden Fotos stammen von Leo Daly.
„Das Meer spielte seine kraftvolle Hymne und Millionen Stimmen sangen im Gleichklang. Die Brandung überschlug sich, schäumte den steilen Kiesstrand empor und schleuderte die runden, glatten Steine wild durcheinander. Ihr Prasseln vereinte sich zu einem freudigen Chor, der allmählich leiser wurde, als das zurückfließende Wasser an Kraft verlor. Ein Atemzug noch und die Kiesel verstummten.“
Zwischen Steinmauern und Fischerbooten
„Um ihn herum lag das öde, zerklüftete Grau der Felsen und Steinmauern, dazwischen unzählige Blüten, farbenprächtig wie klösterliche Buchmalerei. Kaum zu glauben, dass diese Inseln je menschliches Leben angelockt hatten, doch ihre Schönheit war überwältigend. In einer Senke begrenzten große Felsbrocken die Straße…
Die graue Ödnis war von leuchtend grünen Flicken übersät… Grüne Flecken und Steinmauern in allen erdenklichen, geometrischen Formen, meilen- und abermeilen lang.
Am erstaunlichsten aber war die Stille, diese absolute Stille an einem Sommertag. Hier lag das Herz der Insel… und weniger als eine Meile entfernt donnerte der Ozean gegen die mächtige süd-westliche Küste. Dieser Gegensatz von Lärm und Stille! Formte er auch die Persönlichkeit der Inselbewohner?“
„Peig musste lächeln. Sie kannte das Meer so gut. Auf allen möglichen Booten war sie mitgefahren. Auf schlingernden Curraghs. Im Rettungsboot, wo sie schreiende Frauen trösten und auf der Pritsche festbinden musste, während der Sturm die Wellen peitschte. Auf schmutzigen Fischtrawlern, deren Gestank sich in Kleidung und Haut festsetzte.“
Zeitenwandel: Neue Sitten und Bräuche
John Daly, Sohn von Leo Daly, erzählt mir in einem Telefonat, warum das Foto von den jungen Frauen am Chip Shop (Frittenbude) eine Zeitenwende darstellte: „Die Mädchen am Hafen, in Miniröcken, das war für meinen Vater das Zeichen für kulturelle Vielfalt auf den Aran-Inseln. Das hatte er noch nicht gesehen“.
„Es waren die Zeiten, als er die Beatles-Songs rauf- und runter hörte. Der einstige Charme der „guten alten Zeit“ war nur noch schwer aufrecht zu erhalten bzw. auszumachen, denn auch Fernseher und Stereoanlagen beanspruchten die Augen und Ohren aller und erhielten Aufmerksamkeit. Die kulturelle Vielfalt traf die Inseln, und diese Veränderungen waren nicht aufzuhalten. Fortschritt und Tourismus hielten mehr und mehr Einzug und brachten in diesem Zuge auch viel Zerstörung“.
Familienzeit auf den Aran-Inseln
„Es waren schöne Zeiten, als wir unseren Familienurlaub auf den Arans verbrachten, das Geld war knapp und wir Kinder schliefen in Zelten, manchmal haben wir ein Haus gemietet oder in einem B & B übernachtet. Damals war es erschwinglich“, berichtet John.
John erinnert sich, wie die Liebe seines Vaters zu den Aran-Inseln entstand: „Leo war verzaubert, er fotografierte anfangs fast jeden Stein und jedes Fort. Er notierte, schrieb und war fasziniert von der Natur und dem Leben auf den Aran-Inseln und hat dort viele Freundschaften aufgebaut. Es waren mehr als 40 Jahre, in denen es ihn dorthin zog“. Leo reiste, so weit John sich erinnert und aus den Aufzeichnungen des Vaters nachlesen konnte, seit den späten 50er Jahren auf die Inseln. Leos letzter Besuch der Aran Islands war eine gemeinsame Reise mit John im Jahr 2002.
Die Übersetzung
Chris Inken Soppa stieß im Jahr 1988 in einer Dubliner Bücherstube auf Leo Dalys Roman The Rock Garden. Sie erinnert sich:
„Ich zog das Buch aus dem Regal und blätterte darin. Von den irischen Aran-Inseln las ich da, von Touristen, die ein Wolkenbruch scharenweise in die Kneipe trieb, wo sie den Einheimischen mit ihrem Geiz und ihrer Aufdringlichkeit die Laune verdarben…. und im Roman traf ich sie nun wieder; die bärbeißigen alten Männer an der Bar, die regenfeuchten Urlauber, die, genau wie ich, bloß auf eine Tasse vorbeischauten….“
„Für mich war es ein langer Weg von der ersten Lektüre bis zur Übersetzung des Buches. Im Jahr 2014 wagte ich mich endlich an eine erste Version. Speziell die direkte Rede, bei der im englischen Originaltext immer wieder die irische Syntax hervortritt, erwies sich bei der Übersetzung als knifflig. Ich versuchte dennoch, so nah wie möglich am Original zu bleiben.
Eigenwillig und leidenschaftlich ist der Text, derb und zugleich gefühlvoll wie die Inselbewohner selbst; er nimmt den Lesenden mit in eine aufregend unbekannte Welt, die aus der Zeit gefallen scheint“, schreibt Chris Inken Soppa. Sie lebt als freie Übersetzerin in Konstanz, studierte Anglistik und Romanistik am Trinity College Dublin und an der Universität Konstanz.
Mein Fazit zum Buch
Der Autor schreibt mit großer Menschenkenntnis und unvoreingenommen einen Roman über eine einzigartige Gegend und ihre Menschen. Ich hätte die Protagonistin Peig gern näher kennengelernt, empfand sie als starke Persönlichkeit. Ein kraftvoller Roman mit faszinierendem Schauplatz, auf den ich neugierig geworden bin: Die Aran-Islands stehen auf meiner Bucket List Reiseziele . . .
Der Felsengarten, Literaturverlag Josefine Rosalski, edition karo, Berlin 2020, 232 Seiten, BROSCHUR 15,00 € (Foto); Der Felsengarten, Literaturverlag Josefine Rosalski, edition karo, Berlin 2017, 202 Seiten, FESTEINBAND mit Lesebändchen, 23,00 €.
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Der Autor Leo Daly
Der irische Autor Leo Daly wurde am 23. Januar 1920 in Mullingar, Westmeath, geboren – während des Bürgerkriegs, der zur Unabhängigkeit Irlands führen sollte. Sein Vater William Daly und seine Mutter Rebecca hatten noch fünf weitere Söhne und eine Tochter.
Seinen Beruf als Pfleger im St. Loman’s Hospital in Mullingar, einem psychiatrischen Krankenhaus, gab er frühzeitig auf, um als Schriftsteller, Rundfunksprecher und Fotojournalist zu arbeiten.
Die Faszination, die er für das Leben auf den Aran-Inseln empfand, hatte entscheidenden Einfluss auf seine Arbeiten: Kurzgeschichten, Zeitungsbeiträge, kritische Beiträge zur Inselliteratur sowie den Reiseführer Oileáin Árann (1975) und den vorliegenden Roman THE ROCK GARDEN, der 1984 bei Lilliput Press, Dublin, erschien.
Leo Daly veröffentlichte als Autor außerdem James Joyce and the Mullingar Connection (1975), Titles (Essays, 1981) sowie Island Lovers (Kurzgeschichten, 1993) und war Herausgeber von Life of Colmán of Lynn (1993), einem Essay über das Leben eines irischen Heiligen aus dem 7. Jahrhundert.
Er war Gründungsmitglied des Mullingar Little Theatre sowie Schauspieler und Autor zahlreicher Theaterstücke, unter anderem dem Stück Ghost Strike Back, das er eigens zum Gedenken an James Joyce geschrieben hatte.
Leo Daly starb im Juli 2010 in Mullingar.
Credits:
Titelfoto ganz oben mit freundlicher Genehmigung von Micheál Ó Goill; Fotos Buchcover: Literaturverlag Josefine Rosalski, edition karo;
Original-Fotos von Leo Daly, Source Photographic Archives (Fotos aus Mitte der 1960er bis Anfang 1970er Jahre); Portrait Leo Daly und Mädchen am Chip Shop mit freundlicher Genehmigung von John Daly;
Foto Chris Inken Soppa: Chris Inken Soppa privat.
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Liebe Sandra,
gestern kam das Buch frisch aus Galway bei mir an und …. Überraschung: es hatte eine Widmung von Leo Daly auf der Innenseite. Welch ein Glücksgriff!
Herzliche Frühlingsgrüße aus Brandenburg von Anja
Lovely article Sandra. Great to talk with you and looking forward to a visit when we can all move freely again. Best Wishes, John Daly.
It was my pleasure, John!
All the very best,
Sandra
Liebe Sandra,
danke für den Tip, ich habe gleich eins bestellt und hoffe, es kommt bald bei mir an. Ich bin voller Vorfreude.
Liebe Grüße aus dem sonnigen Brandenburg
Hallo Sandra,
ich war schon auf den Aran Islands und sofort schockverliebt. Hast Du eine Idee, wo ich das englische Originalbuch herbekomme?
Liebe Grüße aus Brandanburg
Hallo Anja,
schau man unter diesem Link, dort werden einige gebrauchte Exemplare angeboten:
https://www.abebooks.co.uk/book-search/author/DALY,-LEO
Viel Erfolg und viele Grüße,
Sandra
Liebe Sandra,
danke schön für viele Details zu Leo Daly und seiner Familie in deiner Rezension, die ich noch nicht kannte! Vielleicht treffen wir uns einmal in B.?
Herzlichste Grüße, Josefine
Liebe Josefine,
das Gespräch mit einem Sohn des verstorbenen Autoren war sehr hilfreich und interessant – und die Original-Fotos haben seine Worte eindrucksvoll unterstrichen. Ich konnte mich gut in die Zeit der Romanhandlung versetzen.
Gern schau ich vorbei, wenn’s mal nach B. geht!
Viele Grüße aus Norddeutschland, Sandra
Sehr interessante Rezension des Buches und Beschreibung des früheren Lebens auf einer der sicher mystischsten Inselgruppen Irlands, wenn nicht sogar Europas.
Meine kleine Irland-Bibliothek wird wohl um ein weiteres Buch bereichert werden.
Ich finde, jede Insel hat und schreibt eigene Geschichte(n), auch bedingt durch Lage und Größe, Abgeschiedenheit. Das Buch wird sich in Deiner Irland-Bibliothek sicher gut machen, lieber Andreas!
Danke für den Tipp, ich werde mir das Buch kaufen.
Ganz viel Freude beim Lesen wünsche ich Dir, liebe Anita.
Liebe Sandra,
ich finde es großartig, dass du uns so kompetent und leidenschaftlich auf irische Literatur-Perlen hinweist. Eine wirkliche Bereicherung von irlandnews!
Vielen Dank für deine Arbeit.
Werner
Danke, lieber Werner! Es gibt so viel interessante und unbekannte Lektüre (welche mehr Aufmerksamkeit verdient). Mir macht es Spaß, darin einzutauchen.