Man stelle sich vor: 25.000 Jahre, bevor die ersten Menschen von Schottland über den Nordkanal nach Irland übersetzten, saßen im Hohlen Fels von Blaubeuren schon Menschen zusammen und spielten Flöte. Gestern präsentierten Archäologen in Tübingen in Südwestdeutschland der Öffentlichkeit das älteste Musikinstrument der Welt: eine 35.000 Jahre alte, aus Gänsegeierknochen gefertigte Fünfloch-Flöte – gefunden in einer Höhle in Blaubeuren bei Ulm.

Die Ur-Flöte dürfte der Prototyp für die irische Blechflöte, die Tin-Whistle, sein. Auch wenn wir geneigt sind, dem vermeintlich ur-irischen Musikinstrument Tin Whistle eine lange Tradition beizumessen – die Neigung gründet auf Unwissen. Die irische Sechslochflöte wurde gerade gestern erst erfunden: 1843, vom Engländer Robert Clarke; und erst im irischen Folk-Revival der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts setzte sich die Penny Whistle aus Blech (heute Messing) als oft genutztes und beliebtes irisches Musikinstrument durch.
Was wohl in den 34.800 Jahren geschah, zwischen der geselligen Steinzeit-Musikrunde im Hohlen Fels und dem Tag, als Robert Clarke erstmals Löcher in eine Blechröhre stanzte, um ihr Töne zu entlocken? Brachten die ersten Ankömmlinge vor 10.000 Jahren bereits Musik auf die Insel mit? Wir wissen es nicht. Die Tübinger Forscher wollen jedenfalls wissen, dass die Musik als gemeinschaftserzeugende, expansive kulturelle Tätigkeit dem Menschen einen Überlebensvorteil sicherte und dass er deshalb den Neanderthaler im Evolutionskampf ausstach. Und noch eine Aussage der Forscher gibt zu denken: Prinzipiell beherrschten die Menschen musikalisch vor 35.000 Jahren bereits alles, was wir heute auch beherrschen.

Über den Fund berichten die Forscher Nicholas Conard und andere in der aktuellen Ausgabe der narturwissenschaftlichen Zeitschrift Nature.