Seit ein paar Jahrzehnten wird der reisende Urlauber gerne als Tourist verunglimpft, als vermeintlich Illusions-geleiteter Wenigwisser, als Projektionsflächen-Polierer, als Doofmann in Sandalen. Tourist, das ist immer der Andere; meistens der eigene Landsmann, die eigene Landsfrau, die man schon 100 Meter gegen den Wind als irrlichternde Reisekrücke aus der eigenen Heimat zu erkennen glaubt.
Interessanterweise sind es meist gar nicht die besuchten Einheimischen sondern andere Freizeit-Fremde, die im Parallel-Reisenden den dummen Touristen-August ausmachen. Man selber reist ja gepflegt und gebildet, man selber wird garantiert nicht als Tourist erkannt, allenfalls als „Fast-schon-Einheimischer“. Dümmer, peinlicher und verachtenswerter als der Tourist ist diesem Verständnis zufolge nur noch der Pauschal-Tourist.
Der Großmeister unter den Touristen-Auspeitschern aber ist der Dauer-Tourist, dem das selbstzweckhafte Motiv abhanden gekommen ist: der expatriierte Landsmann (kurz Expat), der eingewanderte Auswanderer mit dem gnadenlosen Durchblick. Den geisselnden Expat gibt es in verschiedenen Formen und Mischformen: als Oberlehrer pur, als pedantischen Sarkast, als zweigesichtigen Heuchler, der bevorzugt diejenigen in die Pfanne haut, von denen er lebt, oder als dilettantischen Epigonen Jakob Holdts.
Frustrierte Landsleute im Ausland stehen frustrierten Landsleuten zuhause in nichts nach. Diese Sorte Sauertopf würde einem glatt empfehlen, sich in der Suppenküche von Limerick zu ernähren, sein Urlaubsbsgeld in der Schlange vor dem Sozialamt in Mayfield zu erstehen und seine zwei Wochen Ferien im Abwrack-Estate von Ballymun zu verbringen, um endlich reinste Wirklichkeit zu inhalieren. Nur gut, dass man sie so selten trifft unterwegs, diese gurkensauren „Realisten“ aus der Expat-Szene — sowohl im physischen als auch im virtuellen Leben.
Das heutige Foto ist unseren expatriierten Schwarzgrau-Sehern gewidmet. Keep up the woozy work, wailer!
Also, ich bin ausgesprochen gerne Tourist und beschäftige mich gerne mit Leuten, mit denen ich eine Wellenlänge teile und das sogar im Ausland erleben darf. Die meisten sind zu mir freundlich, da ich auch freundlich bin. Welcome Human Beings!
Wenn du es noch eine Ebene höher bringst, sind wir also die eingewanderten Auswanderer auf diesem Stein, welcher durch die Milchstrasse schwebt. In diesem Sinne sind wir alle Touristen mit einem Heim auf dem Stein – im pauschalen Verständnis wie auch aus der individualisierten Erfahrungswelt ;D
Alles Touristen oder gar keiner!
Schön getoppt, Madeleine, Natürlich sind wir alle Touristen und es gibt keinen Grund für Hochmut.
Hi Markus,
a.) was sind dilettantische Epigonen Jakob Holsts? Meinst wohl Gustav Holst.
b.) was ist doppel-S cavanesischer Geissler? Geissler kann man auch mit dreierles S schreiben so viel ich weiss.
Sonst spot on.
Dude
Jakob Holst, ein dänischer Traveller, hat in den 70-er Jahren die „Bilder aus Amerika“ fotografiert. Die USA von unten. Radikal und erschreckend.
Ich hatte einen Schreibfehler im Wort „geisseln“, und der Mützenmann aus Cavan hat mich freundlicherweise korrigiert.
Danke für das Doppel-S, cavanesischer Geissler. Und immer schön redlich bleiben: Dies ist ein Beitrag über einige wenige Expats, Du darfst Dich natürlich angesprochen fühlen.